SerieHistorisches und architektonisches Esch (76): „Cité des sciences, de la recherche et de l’innovation“ in Belval

Serie / Historisches und architektonisches Esch (76): „Cité des sciences, de la recherche et de l’innovation“ in Belval
Das Zentralgebäude der Universität – eine technische Meisterleistung. Architekten: Baumschlager Eberle/Christian Bauer & associés Foto: Christof Weber, 2015

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Die im Jahr 2000 begonnene Umwandlung der Industriebrache Belval im Südwesten Luxemburgs ist eines der größten städtebaulichen Projekte im Großherzogtum. Das Areal rund um die 1997 stillgelegten Hochöfen ist heute Standort der Universität Luxemburg und einer Reihe hochkarätiger Forschungsinstitute. Das insgesamt 120 Hektar große Gelände wurde nach dem Masterplan des holländischen Büros Jo Coenen in vier Zonen eingeteilt, von denen sich drei auf dem Gebiet der Gemeinde Sanem befinden: Belval Nord/Belval Sud – vorwiegend Wohngebiet, Park Belval – großer Landschaftspark, Square Mile – gemischtes Viertel mit Wohnungen, Büros und Geschäftsflächen. Die vierte Zone, die als „Terrasse des hauts fourneaux“ bezeichnet wird, liegt auf dem Gebiet der Stadt Esch. Hier befinden sich die meisten Gebäude der „Cité des sciences“.

Die „Cité des sciences, de la recherche et de l’innovation“ besteht aus 25 Gebäuden auf einer Fläche von 27 Hektar, die der Fonds Belval als staatlicher Bauträger für verschiedene Nutzer ausgeführt hat und verwaltet bzw. noch baut. Im nördlichen Teil des Areals befinden sich u.a. das emblematische Hauptgebäude der Universität („Maison du savoir“), Forschungslabore und das Kulturzentrum der Studenten („Maison des arts et des étudiants“, Architekturbüro Witry & Witry/Jim Clemes), das wie ein kleines Juwel in die umliegenden Gebäude eingebettet ist. Im südlichen Teil der „Terrasse des hauts fourneaux“ bilden Start-ups, Universitätsbibliothek, die Konzerthalle Rockhal und Industriedenkmäler ein spannendes Ensemble.

Das von den Architekten Baumschlager Eberle/Christian Bauer & associés entworfene Zentralgebäude der Universität („Maison du savoir“) beherbergt sämtliche Hörsäle und Seminarräume sowie die Universitätsverwaltung und angegliederte Dienste. Das Audimax verfügt über 750 Plätze. Das Gebäude besteht aus einem 180 Meter langen Riegel auf zwei Sockeln und einem 84 Meter hohen Turm. Die Konstruktion, die in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Jan Van Aelst geplant wurde, stellt eine technische Meisterleistung dar. Die Fassade ist von einer Metallstruktur umgeben, die dem Bau eine elegante Leichtigkeit verleiht. Ein praktischer Nutzen des Gerüstes ist die Begehbarkeit zur Fassadenreinigung.

In der südlichen Hälfte der „Terrasse des hauts fourneaux“ sind die Hochöfen und die unmittelbar angrenzenden Gebäude hervorzuheben. Teile der aus den Jahren 1965 und 1979 stammenden Industrieanlage sind nach einem ungewöhnlichen Konzept erhalten und in den neuen Stadtteil integriert worden. Zusammen mit der auf den spezifischen Kontext hin entwickelten minimalistischen Architektur der „Maison de l’innovation“ (Architekturbüro BSARC Bourguignon Siebenaler) und der Universitätsbibliothek bilden sie ein unnachahmliches Ensemble. Als Konservierungsmaßnahme wurden die Stahlstrukturen teils mit einer transparenten Lackschicht, teils mit einem Farbanstrich in Grautönen behandelt. Besonders zu empfehlen ist ein Aufstieg auf die Plattform des Hochofens A in 40 Meter Höhe, von wo aus man eine unvergleichliche Aussicht auf das neue Viertel und die weitere Umgebung hat. Auf dem Rundgang erfährt man, wie der Hochofen funktioniert hat. Die Neugestaltung der Besucherräume erfolgte durch die Architekten Beiler & François. Bei Nacht und zu besonderen Anlässen wie dem alljährlich im Sommer stattfindenden Hochofenfest erstrahlen die Hochöfen in unterschiedlicher Beleuchtung.

Bei einer Tour durch die „Cité des sciences“ darf ein Besuch im Learning Centre der Universität, direkt an der place des Hauts Fourneaux, nicht fehlen. Der Bau wurde von dem Architekturbüro Hermann & Valentiny et associés entworfen. Hinter der marmorierten Fassade verbirgt sich ein spektakulärer Innenraum. Modernste Bibliothekstechnik ist hier mit Elementen des ehemaligen Industriegebäudes „Möllerei“ auf unvergleichliche Weise verbunden. Sieben Achsen des über 150 Meter langen Gebäudes wurden erhalten. Im Rahmen der Kulturhauptstadt Esch2022 wird das Gebäude unter größtmöglicher Beibehaltung der vorhandenen Substanz instand gesetzt und als Raum für digitale Kunst genutzt. Der übrige Teil der Möllerei wurde unter Einbeziehung einiger Konstruktionsteile, wie z.B. dem Skip-Aufzug zum Befüllen des Hochofens, umgebaut. Durch die Gestaltung der Bibliothek mit offenen Plateaus, die in die Struktur eingehängt wurden, entstand ein faszinierender Innenraum. Die Fassade besteht aus unterschiedlich zusammengesetzten, prismaförmigen Elementen, die, je nach Ausrichtung mehr oder weniger transparent, die Lichtzufuhr im Gebäude optimal gestalten. Bei Dunkelheit wirkt das Gebäude wie ein riesiger Leuchtkörper, der am Fuß der Hochöfen gestrandet ist. Die Dachterrassen der Anbauten auf der Westseite sind als „Jardin du livre“ angelegt und stehen den Nutzern und Besuchern der Bibliothek zur Verfügung.

Im südlichen Bereich der „Terrasse des hauts fourneaux“ befinden sich außerdem u.a. die Rockhal (Architekturbüro BENG) und das Verwaltungsgebäude (Architekturbüro Bruck & Weckerle), in dem auch der Fonds Belval untergebracht ist. Zwei Gebäude stammen noch aus der Ursprungszeit der Adolf-Emil-Hütte, die Gebläsehalle und die frühere Hochofendirektion, in der die Entwicklungsgesellschaft Agora ihre Büros hat.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die spezifische Ästhetik der Freiraumgestaltung. Der gesamte Bereich der „Cité des sciences“ wurde nach einem Entwurf des Pariser Landschaftsarchitekten Michel Desvigne ausgeführt, der sowohl die Industriedenkmäler als auch die zeitgenössische Architektur auf interessante Weise in Szene setzte. Drei Elemente charakterisieren die Gestaltung: ein durchgehender Bodenbelag aus dunklen Ziegelsteinen, ausgedehnte Wasserbecken und sogenannte „städtische Wälder“ an mehreren Standorten. Vor allem die lichtreflektierenden Wasserbecken üben eine große Anziehungskraft auf die Besucher und täglichen Nutzer des Areals aus. Dazu kommen die ausgefallenen Leuchten des deutschen Designers Ingo Maurer (1932-2019), die dem Außenraum bei Tag und bei Nacht eine poetische Note verleihen.

In dem neuen Stadtführer werden einzelne Gebäude der „Cité des sciences“ ausführlicher behandelt.