Wohnen in EschDie WG-Debatte beschäftigt den Gemeinderat

Wohnen in Esch / Die WG-Debatte beschäftigt den Gemeinderat
Die zweite Demo von „safe co-housing in Esch“ fand am Freitagmorgen vor dem Rathaus statt. Ein paar der Demonstranten besuchten im Anschluss die Gemeinderatssitzung.  Foto: Editpress/Julien Garroy

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Es war die letzte Gemeinderatssitzung vor der Sommerpause. Nachdem der „Plan d’aménagement général“ (PAG) der Stadt aufgrund der Punkte bezüglich Wohn- und Mietgemeinschaften ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war, verlegte der Schöffenrat die Abstimmung auf den Herbst. Dennoch wollten „déi Lénk“ und LSAP wissen, wie es bis dahin weitergeht – und ließen den Punkt auf die Tagesordnung setzen.

Marc Baum („déi Lénk“) berief sich auf das Tageblatt-Interview mit dem Stadtarchitekten Luc Everling, als er sagte: „Wenn die Diskussion lächerlich ist, dann bin ich eben lächerlich.“ Nachdem viele verschiedene Menschen in die Diskussion eingegriffen hätten, darunter auch Ministerien, sei er jedenfalls nicht der Meinung, dass sie lächerlich sei. „Ich frage mich, in wessen Namen der Stadtarchitekt in diesem Interview spricht“, sagte Baum. Everling treffe dort Aussagen, die eigentlich dem Verwaltungschef, der Sozialschöffin oder dem Bautenschöffen zustehen müssten.

Marc Baum kritisierte zudem die Rhetorik des Schöffenrates in der Debatte. Zum Beispiel sei in einem RTL-Interview davon gesprochen worden, die Stadt zu „botzen“. Jedenfalls hoffe er, dass die Diskussion in den kommenden Wochen weitergeführt wird. Wichtig sei ihm jetzt aber zu wissen, wie das Bürgeramt bis dahin mit der Situation umgeht. Personen, die in einer Wohngemeinschaft leben, hätten Briefe zugeschickt bekommen, in denen steht, „vous venez d’être dégradé sur le registre d’attente“. Damit verlieren sie eine ganze Reihe Rechte, sie können zum Beispiel keine „Vignette“ beantragen und bekommen keinen Mülleimer. Viel schlimmer jedoch: Ihre sozialen Rechte gehen verloren. „Im Hauptregister zu stehen ist eine Voraussetzung, um ‚Revis‘ oder ‚allocation de vie cher‘ beantragen zu können“, sagte Baum. In den Augen der Opposition sei eine solche Degradierung nicht akzeptabel.

59 Personen im Warteregister

Wie Line Wies („déi Lénk“) zuvor in Erfahrung bringen konnte, stehen derzeit 59 Personen durch diese Anwendung auf dem „Registre d’attente“. „déi Lénk“ reichte deshalb eine Motion ein. Das Gesetz zur Wohnhygiene und Sicherheit vom Dezember 2019 habe einen Paradigmenwechsel herbeigeführt. Seitdem liege die Verantwortung klar beim Eigentümer, die Kontrolle obliege dem Bürgermeister. Wenn festgestellt wird, dass die Wohnbedingungen nicht konform sind, sei der Eigentümer verantwortlich und müsse eine neue Wohnung für seine Mieter finden. „Was das Bürgeramt aber tut, ist das Gegenteil. Der Mieter kommt auf eine Warteliste und verliert seine sozialen Rechte“, sagte Baum.

Andere Gemeinden würden anders mit der Situation umgehen. Zum Beispiel Luxemburg-Stadt: Dort würden die Menschen zuerst sicher eingeschrieben und behalten dadurch ihre Rechte. Erst dann könne der Bürgermeister kontrollieren, ob die Wohnung den Anforderungen entspricht – tut sie das nicht, ist der Vermieter in der Verantwortung. „Das ist der richtige Weg, um Vermieter vor Schlafhändlern zu schützen“, betonte Baum. „Wir fordern, dass die 59 Personen vom ‚registre d’attente‘ heruntergenommen werden!“ Diejenigen, die kurz zuvor noch vor der Gemeinde demonstriert hatten und im Publikum Platz genommen hatten, applaudierten.

Mike Hansen (LSAP) wollte ebenfalls wissen, welche Anweisungen das Bürgeramt nun kriege und wie bis November mit Anmeldungen in Wohngemeinschaften umgegangen würde. Sowohl Innen- und Wohnungsbauministerium als auch die „commission d’aménagement“ hätten den PAG und das darin festgehaltene Konzept der Wohngemeinschaften stark kritisiert. Mike Hansen wies auf das Gesetz von 1988 hin, das die Bürger vor jeder Dysfunktion der Gemeinde schützt. „Dass nicht auf die Kritikpunkte eingegangen wird und keine Modifizierung vorgeschlagen wurde, könnte so eine Dysfunktion darstellen“, sagte der LSAP-Rat und wies die Gemeinde auf ihre Verantwortung hin. Seit dem „avis“ des Innenministeriums seien zwölf Monate vergangen. „Wir dürfen nichts anwenden, das klar nicht legal ist“, sagte Hansen und bat darum, das Versetzen von Bürgern auf das „registre d’attente“ nicht weiter zu applizieren.

Rückwärtsgewandte Politik

Zudem regte Mike Hansen sich darüber auf, dass der „lien affectif“ im PAG steht. Das sei eine Philosophie aus vergangenen Zeiten und ein Eingriff in die Privatsphäre. 2018 habe Bürgermeister Georges Mischo in einem Wort-Interview davon gesprochen, dass die CSV ihr Opa-Image loswerden wolle, dies sei jedoch jetzt eine rückwärtsgewandte Politik. „Politisch getroffene Entscheidungen können revidiert werden, das ist kein Zeichen von Schwäche“, erinnerte er. Erneuter Applaus aus dem Publikum.

Henri Hinterscheid (LSAP) stellte sich ebenfalls die Frage, in wessen Auftrag der Stadtarchitekt das Interview gegeben habe und ob es die offizielle Stellungnahme des Schöffenrates sei, dass die Diskussion lächerlich ist. „Wenn ein hoher Beamter die Qualität hat, eine politische Diskussion als lächerlich zu betiteln, stelle ich mir Fragen über unsere Demokratie“, sagte Hinterscheid.

2004 sei es der damaligen Mehrheit darum gegangen, dass Einfamilienhäuser und große Wohneinheiten in ihrer Substanz geschützt werden, damit Großfamilien auch eine Chance haben, im Stadtzentrum unterzukommen. „Das war der Wille – wir haben uns damals nicht in Wohngemeinschaften eingemischt“, betonte er.

Dan Codello zeigte sich aufgebracht über die Aussagen von Luc Everling. Als Beamter hätte dieser 2001 einen Eid geleistet, in dem er unter anderem Unparteilichkeit geschworen habe. „Ich lasse mich nicht als lächerlich abstempeln, der Einzige, der lächerlich ist, ist er“, sagte Codello. 2004 sei es niemandem darum gegangen zu wissen, wer mit wem geht. „Es wurde parteiübergreifend über die Bausubstanz gesprochen.“ Codello echauffierte sich zudem über die Rhetorik des Schöffenrates. „Wenn ich nur höre, dass 59 Menschen ‚degradiert‘ wurden. Das ist skandalös“, sagte er. Auch die Aussagen von Martin Kox, der von „Kernfamilie“ spricht, seien mehr als bedenklich. Für den Gebrauch des Wortes „botzen“ gegenüber von Escher Bürgern müsse der Schöffenrat sich politisch schämen.

Aus Privatleben raushalten

Codello gab dem Lëtzebuerger Land recht, als dieses letzte Woche titelte „Mischo zieht die Reißleine“. Genau so sei es, denn seiner Meinung nach hätte der PAG, so wie er jetzt ist, keine Mehrheit gefunden. Außerdem zeigte sich Codello schockiert zu lesen, dass im Escher Bürgeramt schon immer nach dem „lien affectif“ derer, die sich anmelden wollten, gefragt wurde. „Wir müssen uns aus dem Privatleben der Menschen raushalten.“ Auch nach seiner Rede war lauter Applaus aus dem Publikum zu hören.

Christian Weis (CSV) wies darauf hin, dass die Diskussion sich um ein enorm komplexes Thema drehe. Er habe sich vom Bürgeramt erklären lassen, dass es in Esch das Phänomen gibt, dass Menschen anrufen und ein Einfamilienhaus einteilen wollen, um es an mehrere Personen zu vermieten. Nachdem ihnen gesagt wurde, dass das nicht geht, rufen sie einige Tage später an und sagen, dass sie eine Wohngemeinschaft in demselben Haus gründen wollen. „Das sind keine tollen WGs, sondern versteckte ‚chambres meublées‘“, sagte Weis.

„Ein ‚avis‘ von der ‚commission d’aménagement‘ und ein Brief der Innenministerin haben absolut keinen Wert. Es wäre super, wenn sie das hätten, denn dann wären unsere Probleme gelöst“, sagte Weis. Die CSV sei bereit, die Bürger über den Sommer weiter zu informieren und schnellstmöglich über den PAG abzustimmen. Zudem erwarte er, dass der Schöffenrat sicherstellt, dass alle Mitarbeiter der Gemeinde die gleichen Informationen dazu bekommen, wie sie vorgehen sollen, bis der PAG gestimmt wurde.

Schöffe Pim Knaff (DP) analysierte die Position der Politik aus den vergangenen Jahren und kam zu dem Schluss, dass die aktuelle Diskussion benutzt würde, um die Mehrheit zu diskreditieren und in eine Ecke zu drängen. Damals sei die Politik sich einig gewesen, dass etwas gegen die Zerstückelung von Einfamilienhäusern gemacht werden müsse. Es würde katastrophale Situationen in Esch geben, er sei selbst schon in solchen Kaffeezimmern gewesen und die Maßnahmen, die genommen wurden, seien richtig gewesen, sagte Knaff.

Georges Mischo ging auf die Kritik gegenüber dem Stadtarchitekten ein. Luc Everling sei genervt von der Desinformation gewesen, die überall zirkuliert habe. Vieles sei nicht geschrieben und gesagt worden. Er sei als Stadtarchitekt gefragt worden, Stellung zu beziehen, und der Schöffenrat habe ihm grünes Licht gegeben. „Im Interview schildert er seine persönliche Meinung zur Thematik“, so Mischo. Der Schöffenrat nehme die Diskussion sehr ernst. Beweis dafür sei, dass die Abstimmung des PAG verschoben wurde. „Wir wollen, dass eines der wichtigsten Dokumente der Stadt quasi einstimmig angenommen wird.“ Im Herbst würden der „lien affectif“ sowie die 100-Quadratmeter-Regelung Gesprächsthema sein.

Mischo las mehrere Briefe vor, die zwischen 2008 und 2016 an Mieter verschickt wurden. Darin stand mehrmals geschrieben, dass ihr Zusammenleben nicht genehmigt werden könne, weil sie nicht einer Familie angehören. „Damals waren wir noch nicht in der Verantwortung“, so Mischo. Der Bürgermeister versprach, dass spätestens ab dem 15. September eine Infokampagne gestartet würde, anhand derer den Bürgern die Thematik erklärt wird. „Wir sind offen für Diskussionen“, schloss er das Gespräch am Freitag ab. Die Motion, in der „déi Lénk“ fordert, dass die 59 Personen vom Warte- ins Hauptregister aufgenommen werden und niemand mehr beim Bürgeramt angeben müsse, mit wem er geht, wurde von „déi Lénk“, LSAP und dem unabhängigen Rat Dan Codello angenommen. CSV, „déi gréng“ und DP stimmten mit Nein.

Abrisud

Sozialschöffin Mandy Ragni („déi gréng“) stellte das Projekt des Abrisud in der rue de la Fontaine vor. In den Containern, in denen sich die Unterkunft für Obdachlose derzeit befindet, gebe es seit zwei Jahren ein Schimmelproblem. Außerdem müssten wichtige Gespräche aus Platzmangel regelmäßig im Wohnzimmer geführt werden, wodurch die Privatsphäre der Menschen gefährdet ist. Behindertengerecht sei die aktuelle Einrichtung auch nicht. „Wir müssen der katastrophalen Situation schnellstens ein Ende setzen“, sagte Ragni.
In der rue de la Fontaine stehen dem neuen Abrisud 12.000 Quadratmeter zur Verfügung. Hier soll ein Essensraum mit großer pädagogischer Küche und ein Gemeinschaftsraum entstehen. Das ganze Gebäude wird behindertengerecht gestaltet und es sollen zwei behindertengerechte Zimmer mit Badezimmer entstehen. Insgesamt sollen 25 Betten für Obdachlose geschaffen werden, zum Teil in Einzelzimmern, zum Teil in Doppelzimmern oder Schlafsälen. Im dritten Stockwerk soll das Personal ein Zimmer mit zwei Betten bekommen. Dort soll auch ein Krankenzimmer entstehen, in dem „médecins du monde“ ihre Untersuchungen anbieten können.
Auf den restlichen 3.000 Quadratmetern des Hauses sollen vier Gemeindewohnungen entstehen, die nach dem Konzept „housing-first“ genutzt werden. Demnach werden Menschen dort untergebracht, die sich in einer kritischen Lebenssituation befinden. „Sie werden dort untergebracht und dann wird geschaut, wie ihre Privatsituation verbessert werden kann“, so Ragni. Das Projekt schlägt mit über sechs Millionen Euro zu Buche, wovon das Familienministerium wohl drei Millionen Euro finanzieren wird. Auch das Wohnungsbauministerium wird 25 Prozent der Kosten für die vier Gemeindewohnungen übernehmen. LSAP und „déi Lénk“ stimmten gegen den Verkaufsakt – obwohl sie mit der Strategie einverstanden sind – mit dem Argument, nicht unterstützen zu wollen, dass Menschen aus dem Haus ausziehen müssen, damit das Projekt Abrisud dort entstehen kann. 

Realist
13. Juli 2020 - 8.15

Das Phänomen der Fake-WGs, der ebenso falschen "Chambres meublées" und der Gefälligkeitsanmeldungen für "Freunde in Not" kommt immer mehr auf. Es ist ja auch verlockend für Haus- und Wohnungseigentümer, ihre Adresse zur Verfügung von Leuten zu stellen, die bereit sind, pro Monat eine stattliche Summe zu bezahlen, nur um hierzulande gemeldet zu sein, während sie in Wirklichkeit irgendwo in Frankreich, Belgien oder sonstwo wohnen. Scheinbar ein klassisches "Win-Win". Aber eben nur scheinbar, denn wer ein grosses Haus hat und jetzt mit Dollarzeichen in den Augen in Versuchung gerät, sollte vorher bedenken, dass man sich mit dieser Masche zumindest der Täuschung der staatlichen Verwaltung schuldig macht, von der Gemeinde über die Krankenkasse bis zur Steuerverwaltung. Zudem droht jederzeit weiterer Ärger. Etwa wenn auf einmal der Gerichtsvollzieher oder gar ein grimmiges Inkassobüro klingelt. Insbesondere letzteren ist es egal, wer letztendlich zahlt; die halten sich an denjenigen, der an der Meldeadresse die Tür öffnet. Die meisten Leute, die - aus welchen Gründen auch immer - jemand anders bei sich anmelden bedenken nicht, dass es gar nicht so einfach ist, jemanden von der Gemeindeverwaltung als "rayé d'office" wieder abgemeldet zu bekommen, wenn diese Person erst angemeldet ist. Also aufgepasst und aufgemerkt: Leute, denen man die eigene Adresse zur Verfügung stellt, sollte man sich zumindest ebenso sorgfältig aussuchen wie diejenigen, die man ins eigene Schlafzimmer lässt.