SerieHistorisches und architektonisches Esch (41): Architektonisches Ensemble rue Pasteur

Serie / Historisches und architektonisches Esch (41): Architektonisches Ensemble rue Pasteur
Charmante Häuser in der rue Pasteur Foto: © Christof Weber, 2019

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Hinter dem Stadttheater liegt etwas versteckt eine Straße, deren Häuser sich von der übrigen Bebauung rundum unterscheiden. Abgesehen von einigen ähnlichen Bautypen in der rue C. M. Spoo besteht das zentral gelegene Brillviertel nämlich hauptsächlich aus Geschäfts- und Mehrfamilienhäusern sowie Stadthäusern. In der rue Pasteur wurde dagegen eine Reihe sehr charmanter Einfamilienhäuser mit nur einem Obergeschoss und Ziergärten zur Straßenseite gebaut, wie sie sonst außerhalb des Stadtzentrums anzutreffen sind. Obwohl die Häuser in der Pasteurstraße weder den gleichen Auftraggeber hatten noch vom gleichen Architekten oder Bauunternehmer errichtet wurden, bilden sie ein homogenes architektonisches Ensemble. Diese Homogenität ist zum einen auf die von der Stadt Esch vorgeschriebenen Baubedingungen zurückzuführen, die verlangten, „die Fluchtlinie des Hauses und der Zaunmauer nach den Angaben des städtischen Geometers auszurichten, dem der Beginn der Arbeiten mitzuteilen ist; (…) den Garten vor dem Haus mit einer Mauer von maximal 0,70 m Höhe einzufassen und mit einem nicht mehr als 1,30 m hohen Zaun zu versehen; (…) den Balkon nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Nachbarn zu bauen; (…) das Hauptgesims auf gleicher Höhe wie das des Nachbarhauses zu halten; (…)“.

Andererseits ergibt sich die harmonische Wirkung des Ensembles aus der regelmäßigen Anordnung der Fassaden und der Verwendung der gleichen Materialien, in diesem Fall durchgehend Werkstein für die Verkleidung und Schiefer für die Bedachung. Die Fassade jedes Hauses besteht aus zwei Fensterachsen. Die erste Achse wird durch einen Erker im Erdgeschoss und meist dreiteilige Fenster betont sowie durch einen großen Giebel in Dachhöhe. Im oberen Stockwerk bilden die abgeschrägten oder abgerundeten Erker jeweils einen Balkon. Bei einigen Häusern sind die ursprünglichen Steinbalustraden oder Geländer aus Schmiede- bzw. Gusseisen erhalten geblieben.

Es sind vor allem die verschiedenen Giebelformen, die zum malerischen Bild dieser Straße beitragen: dreieckig (Nr. 12, 18), gebrochen (Nr. 8), glockenförmig (Nr. 4, 6, 14, 16) und trapezförmig (Nr. 22). Sie sind meist mit Doppel- oder Dreifachfenstern versehen, die Licht in den Dachraum lassen. Die zweite Achse der Fassade umfasst den Eingang des Hauses zum Hochparterre, das über eine Steintreppe zugänglich ist. Die Architekten haben ihrer Fantasie freien Lauf gelassen, um einladende Eingänge zu schaffen. Besonders hervorzuheben sind einige kleine Loggien und ihre raffinierte architektonische Umrahmung.

In dieser Straße waren mehrere Bauunternehmer aus Esch am Werk. Die Firma Crolla Frères baute die Häuser Nr. 4 (Zahnarzt Jos. Nilles), Nr. 6 (Henri Kayser, Direktor des Gaswerkes) und Nr. 8 (Jean Pütz, Gemeindesekretär). Der Bauunternehmer Antoine Caffaro errichtete das Haus Nr. 12 nach den Plänen des Architekten Albert Thill (1883-1924). Dies war offenbar eines seiner letzten Projekte, da der Architekt früh verstarb. Caffaro verkaufte das Haus an den Vertreter von Eisenbahnmaterial Léon Boever. Auch der Unternehmer Alfred Lefèvre setzte hier seine zahlreichen Investitionen im Brillviertel fort, wieder in Zusammenarbeit mit dem Architekten Gust. Schopen (1890-1931), einem seiner Favoriten. Im Jahr 1926 baute er die Häuser Nr. 14 und 18. Letzteres wurde von den Schwestern Léonie und Cécile Carmes erworben. Sein Sohn Julien Lefèvre war Auftraggeber der Häuser Nr. 20 und 22 sowie des Eckhauses an der rue du Brill, das er 1934 mit Schopens Nachfolger Alfred Jack plante. Das Gebäude Nr. 20 wurde von dem Industriellen Eugène Jacques Franck erworben, um dort zu wohnen. Er war bereits Eigentümer des Hauses Nr. 16, das er 1926 hatte erbauen lassen. Es ist das einzige in der Reihe, das keinen Erker im Erdgeschoss hat, sondern nur einen Balkon.

Die Fassaden sind mit in Stein gemeisselten Ornamenten übersät: Rosen und Gänseblümchen – ein Spiegelbild der Blumen in den Gärten –, Kartuschen, Voluten, Akanthusblätter und Medaillons. Diese Motive und ihre Formen sind noch dem Historismus zugehörig. Die in den 1930er Jahren gebauten Häuser sind dagegen leicht vom Art déco beeinflusst. Das vom Baustil her überraschendste Haus ist die Nr. 10. Es wurde 1924 für den Bahnhofsvorsteher und Bürgermeister der Stadt Esch Victor Wilhelm (1886-1967) erbaut und ist ein spätes, aber sehr schönes Beispiel für den Jugendstil. Die fließenden Formen des Giebels mit dem Monogramm des Eigentümers und seiner Frau Thérèse Georges ziehen den Blick auf sich. Bemerkenswert sind auch das Balkongeländer und das schmiedeeiserne Fenstergitter im Erdgeschoss. Die Eingangstür liegt in einer kleinen, von Säulen eingerahmten Loggia. Weitere bemerkenswerte Elemente sind die Fußbodenmosaiken vor dem Eingang.

Der Name des Architekten und Ingenieurs P.M. Winandi, der das Haus plante, ist durch eine Inschrift in der Fassade in Erinnerung geblieben. Die Baupläne sahen ein Büro im Erkerzimmer im Erdgeschoss vor und ein Esszimmer auf der Gartenseite nach hinten, wo sich auch die Küche befand. Im ersten Stock lagen ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, ein Arbeitszimmer sowie ein Badezimmer.

Alle beschriebenen Häuser in der rue Pasteur verfügten über Keller mit Waschküche sowie Zentralheizung. Die Häuser hatten noch keine Garagen. Der Dachboden wurde als Speicher genutzt und beherbergte ein weiteres Schlafzimmer von geringerem Komfort.

Im Großen und Ganzen sind diese Häuser in der rue Pasteur heute gut erhalten. Die Beseitigung einiger Gärten ist jedoch bedauerlich.