Lokalwahlen in LondonEin Mittelmäßiger auf dem Weg zur dritten Amtszeit

Lokalwahlen in London / Ein Mittelmäßiger auf dem Weg zur dritten Amtszeit
Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan  Foto: AFP/Daniel Leal

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Das Filmchen zeigt panische Menschen auf der Flucht in einem Tunnel. „Unter Labour ist London zu einer Verbrechensmetropole geworden“, berichtet der Erzähler, weshalb die Bewohner der britischen Hauptstadt „zu Hause bleiben oder in den Untergrund abtauchen“. Bürgermeister Sadiq Khan habe „die Macht ergriffen“, seine „maskieren Gebühreneintreiber terrorisieren“ unschuldige Autofahrer.

Der Werbespot stammte nicht etwa von Rechtspopulisten, sondern wurde diese Woche auf dem X-Account der konservativen Regierungspartei von Rishi Sunak veröffentlicht – rechtzeitig zum Kommunalwahlkampf, bei dem es Anfang Mai in England nicht zuletzt um die Rathäuser wichtiger Millionenstädte wie Birmingham, Manchester und London geht.

Dumm nur, dass die dramatischen Schwarz-Weißbilder in New York gedreht worden waren. Zudem gibt es keine maskierten Kommunalbeamten. Und von einer „Machtergreifung“ kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil Khan in London zweimal ordentlich gewählt wurde.

Eilends musste die Tory-Parteizentrale den Spot überarbeiten, flugs distanzierte sich das Lager der konservativen Kandidatin Susan Hall von dem schmuddeligen Machwerk. Das Kommunikationsteam um den australischen PR-Guru Isaac Levido spiele, so lautet der Verdacht unter Londoner Torys, mit den Ressentiments, die in weiten Teilen Englands gegen die multikulturelle, politisch und wirtschaftlich übermächtige Metropole bestehen. „Die London-Wahl haben sie längst verlorengegeben“, glaubt ein Insider.

Zahlreiche Angriffspunkte

Tatsächlich deuten alle Umfragen darauf hin, dass der Sohn armer Einwanderer aus Pakistan eine dritte Amtszeit erhalten wird. „Khan wird wahrscheinlich gewinnen, aber nicht mit einem Erdrutschsieg“, glaubt Elizabeth Simon von der Queen-Mary-Universität. Große Begeisterung über den 53-jährigen Bürgermeister herrscht nicht in London; doch macht seine weithin unbekannte Konkurrentin, 69, höchstens mit missglückten Medieninterviews von sich reden. Der Kommunikationschef des früheren Bürgermeisters Boris Johnson (2008-16) zeigte sich kürzlich „schockiert“ über Hall. Dabei habe man es mit einem „mittelmäßigen Amtsinhaber“ zu tun, glaubt Guto Harri.

Angriffspunkte bietet Khan tatsächlich zur Genüge. Zwar liegt die Kriminalitätsbelastung keineswegs höher als in vergleichbaren Millionenstädten. Doch bleiben allzu viele Einbrüche unaufgeklärt, häufen sich die Messerstechereien, breitet sich an etlichen Stellen der Stadt der Drogenhandel aus. Mit einiger Berechtigung verweist der Labour-Mann darauf, dass die konservative Zentralregierung der Polizei eine radikale Schrumpfkur angedeihen ließ. Auch teilt er sich die Aufsicht über den Polizeipräsidenten mit dem Innenminister, eine landesweit einmalige Konstellation.

In der Umweltpolitik immerhin geht Khan neue Wege, die Atemluft in der Hauptstadt zu verbessern ist sein erklärtes Ziel. Deshalb wurde vor fünf Jahren zunächst in den inneren Stadtbezirken eine „Ultra Low Emission Zone“, kurz Ulez, eingeführt. Seither dürfen dort alte Autos und Lieferwagen mit schlechten Abgaswerten nur noch gegen Entrichtung einer Tagesgebühr von 12,50 Pfund (14,61 Euro) gefahren werden. Als dieses Gebührensystem 2023 auf Gesamt-London mit seinen neun Millionen Einwohnern ausgedehnt wurde, hagelte es monatelang Proteste.

Der Weg scheint frei

In der Baupolitik hat Khan seine Handhabe nicht ausreichend genutzt, um der schreienden Wohnungsnot in der Stadt abzuhelfen. Dafür werden die Londoner mit Mitteilungen überschüttet, in denen der Bürgermeister die Sunak-Regierung für dieses und jenes kritisiert. Auch bei internationalen Themen redet er gern mit; so gehörte er zu den ersten Labour-Leuten, die sich entgegen der vorsichtigen Linie des Parteichefs Keir Starmer für einen sofortigen Waffenstillstand im Gaza-Krieg einsetzten.

Die performative Politik ist Khans Spezialität: Keine religiösen Feiertage, keine Demos zugunsten ethnischer oder sexueller Minderheiten vergehen ohne sein Grußwort. Die mit S-Bahnen vergleichbaren Züge der Overground erhielten für umgerechnet 7,4 Mio. Euro neue Namen wie Windrush (nach karibischen Einwanderern), Lioness (nach dem englischen Frauenfußballteam) oder Suffragette (nach den Kämpferinnen fürs Frauenwahlrecht). Die Haupteinkaufsstraße Oxford Street zieren während der Osterfeiertage bunte Lichter mit dem Slogan „Happy Ramadan“, entzündet vom muslimischen Bürgermeister höchstselbst.

Eine Zeit lang bestand für Khan noch die Gefahr eines Angriffs von links: Öffentlich liebäugelte der frühere Labour-Chef Jeremy Corbyn mit der Möglichkeit, als Unabhängiger ins Rennen zu gehen. Damit wäre der 74-Jährige in die Fußstapfen seines alten Freundes und altlinken Gesinnungsgenossen Ken Livingstone getreten. Dieser hatte den damals neu geschaffenen Bürgermeister-Posten 2000 als Unabhängiger ergattert und anschließend acht Jahre – die zweite Legislatur wieder als Labour-Mann – erfolgreich regiert.

Freilich ist die Kandidatur gegen einen hervorragend vernetzten und von der Partei gestützten Amtsinhaber eine ganz andere Angelegenheit, weshalb Corbyn am Gründonnerstag auf der offiziellen Liste aller Kandidatinnen nicht auftauchte. Damit scheint sechs Wochen vor dem Urnengang der Weg für Khan frei. Daran dürften auch schlecht gemachte Werbespots der Torys wenig ändern.