Ukraine-KonfliktEU will russische Profite für ukrainische Waffen nutzen

Ukraine-Konflikt / EU will russische Profite für ukrainische Waffen nutzen
Regierungschef Denys Schmyhal bei seinem Besuch Anfang der Woche in Luxemburg Foto: Editpress/Alain Rischard

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Die EU will unkonventionelle und umstrittene Wege gehen, um die Ukraine weiter aufzurüsten und die europäische Verteidigung zu stärken. Brüssel erwägt, die Profite aus dem eingefrorenen russischen Zentralbankvermögen abzukassieren und für Waffenkäufe zu nutzen. Auch die Schaffung einer „Kriegswirtschaft“ ist im Gespräch.

„Wenn wir Frieden wollen, müssen wir uns auf den Krieg vorbereiten“, schrieb der EU-Ratsvorsitzende Charles Michel kurz vor dem EU-Gipfel, der am Donnerstag in Brüssel beginnt. „Wir müssen daher verteidigungsbereit sein und in einen ‚Kriegswirtschafts‘-Modus übergehen“, so der Belgier, der das Gipfeltreffen leitet.

Ein konkreter Vorschlag kommt vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Der Spanier will Zinsgewinne aus dem russischen Vermögen abschöpfen; es geht um mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr. Das Geld soll zu 90 Prozent in Waffen und Munition für die Ukraine fließen, die restlichen zehn Prozent in die Rüstungsindustrie des Landes.

Allerdings bildet sich Widerstand gegen beide Vorstöße. Zweifel gibt es nicht nur, weil die EU erst im Januar eine 50 Milliarden Euro schwere Finanzspritze an die Ukraine beschlossen hat und sich nun herausstellt, dass das Geld immer noch nicht ausreicht. Am Mittwoch wurden erstmals 4,5 Milliarden Euro aus dem neuen Programm ausgezahlt.

Viele EU-Politiker fragen auch, ob die Ideen politisch und rechtlich vertretbar sind. So ist es nach dem EU-Recht eigentlich ausgeschlossen, dass Geld aus dem Gemeinschaftsbudget für Waffenkäufe eingesetzt wird. Zudem könnte es politisch nach hinten losgehen, kurz vor der Europawahl mehr Geld für Kriegszwecke auszugeben, aber beim Klima und Sozialausgaben zu sparen.

Waffenlieferungen statt Wiederaufbau?

Die Finanzierung von Waffenlieferungen für die Ukraine habe Vorrang, sagte Kanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung vor dem EU-Gipfel. Auch die „Windfall Profits“ aus den russischen Vermögen müssten genutzt werden. Doch eine Einigung zeichnet sich nicht ab. Diesmal liegt es allerdings nicht nur am erwartbaren „Nein“ des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban.

Auch andere EU-Staaten haben Bedenken. Wenn man russisches Vermögen nutze, das in Europa angelegt ist, könne dies zu einem Vertrauensverlust in den Euro und Verwerfungen auf den Märkten führen, so eine Sorge. Zudem wenden sich Irland oder Österreich dagegen, die russischen Profite für Waffen zu verwenden, und nicht – wie zunächst geplant – für den Wiederaufbau in der Ukraine.

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Etwa 70 Prozent aller im Westen eingefrorenen russischen Vermögenswerte liegen bei der belgischen Finanzinstitution Euroclear

Auch in Luxemburg wird der Schritt kontrovers diskutiert. Im Rahmen der Sanktionspolitik gegen Russland blockiert Luxemburg momentan knapp sieben Milliarden Euro von Privatpersonen und Unternehmen. Mehrere ukrainische Politiker forderten bei ihren Besuchen im Großherzogtum, diese Gelder für die Ukraine zu nutzen – erst diese Woche auch Regierungschef Denys Schmyhal.

Etwa 70 Prozent aller im Westen eingefrorenen russischen Vermögenswerte liegen bei der belgischen Finanzinstitution Euroclear. Dort sind Wertpapiere und Bargeld der russischen Zentralbank im Wert von 190 Milliarden Euro gelagert. Euroclear hatte zuletzt mitgeteilt, 2023 rund 4,4 Milliarden Euro an Zinseinnahmen gemacht zu haben, die in Verbindung zu Russlandsanktionen stehen.

Warnungen aus Russland

Schrille Warnungen kommen aus Moskau. Borrells Vorschlag käme „Banditentum und Diebstahl“ gleich, erklärte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Der Vorschlag sei nicht mit internationalem Recht vereinbar, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow. Der Kreml hat bereits damit gedroht, im Gegenzug in Russland angelegtes westliches Vermögen zu beschlagnahmen.

Die EU will sich davon aber nicht abschrecken lassen. Man werde die Ukraine „so lange wie nötig“ unterstützen und die Waffenlieferungen „intensivieren“, heißt es im Entwurf der Gipfelerklärung. Wie lang der Krieg noch dauern könnte und ob es auch diplomatische Bemühungen zu seiner Beendigung gibt, wird aus dem Entwurf nicht deutlich. Auch der Streit über die Strategie, der das deutsch-französische Verhältnis belastet, wird ausgeblendet.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bereitet sein Land auf einen möglichen Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine vor, Scholz lehnt das ab. Macron fordert auch einen schuldenfinanzierten europäischen Rüstungsfonds, der durch „Verteidigungs-Anleihen“ finanziert werden könnte. Ratspräsident Michel unterstützt diesen Plan – doch Scholz sagt auch hier Nein. Man müsse sich auf das Machbare konzentrieren, heißt es in Berlin.

Einigkeit besteht immerhin darin, dass auch die Europäische Investitionsbank für die Aufrüstung genutzt werden soll. Allerdings ist dies nach dem Mandat der EIB bisher verboten. Deutschland, Frankreich und zwölf weitere Länder wollen nun durchsetzen, dass die EU-Hausbank zumindest mehr zivil wie militärisch nutzbare „Dual-Use“-Güter finanziert. Mehr Kriegswaffen, so schnell wie möglich – so das unausgesprochene Motto dieses EU-Gipfels.

Der Vorschlag des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell (r.) stößt europaweit auf Widerstand
Der Vorschlag des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell (r.) stößt europaweit auf Widerstand Foto: AFP/Pool/Virginia Mayo