IndopazifikFrankreichs Kampf mit dem Erbe des Kolonialismus

Indopazifik / Frankreichs Kampf mit dem Erbe des Kolonialismus
Blick auf die Hauptstadt von Neukaledonien, Nouméa Foto: Barbara Barkhausen

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Frankreichs Kampf mit dem Erbe des Kolonialismus spielt sich derzeit im strategisch wichtigen Indopazifik ab. Macron möchte das Überseeterritorium Neukaledonien enger an Paris binden, die indigene Bevölkerung dagegen will sich lieber loslösen. Nun werden anstehende Wahlen zunächst verschoben.

Neukaledonien steht vor einem schwierigen Jahr: Ein letztes von drei Referenda, bei denen die Bevölkerung über die Unabhängigkeit ihres Archipels im Pazifik abstimmte, ging 2021 – wie auch die beiden zuvor – zugunsten Frankreichs aus. Die indigene Bevölkerung, die Kanaken, die die Unabhängigkeit vorantreiben wollen, boykottierte die letzte Abstimmung. Sie strebt weiterhin nach Eigenständigkeit.

Doch die meisten französisch-stämmigen Siedler in Neukaledonien wollen näher an Frankreich heranrücken. Nun plant die französische Regierung, die Verfassung zu ändern, um Tausenden französisch-stämmigen Wählern das Wahlrecht zu geben, die seit über zehn Jahren ununterbrochen in Neukaledonien gelebt haben. Bisher waren Stimmen von Bürgern, die nicht schon vor 1998 in Neukaledonien lebten oder ein Nachfahre solcher sind, „eingefroren“.

Diese Regel war ursprünglich eingeführt worden, damit die indigene Bevölkerung nicht zur „Minderheit“ im eigenen Land wird. Damit durften aber Tausende Wahlberechtigte in den lokalen Wahlen nicht abstimmen – etwas, das Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ändern möchte. Um die Thematik zu klären, werden die anstehenden Wahlen im Überseegebiet nun aufgeschoben – von Mai bis spätestens Mitte Dezember.

Es kam schon einmal zur Eskalation

Bei der indigenen Bevölkerung kommen diese Entwicklungen alles andere als gut an, da die Macht der Französischstämmigen auf diese Weise automatisch ausgebaut würde. „Derzeit herrscht eine soziale Krise und die Spannungen werden weiter zunehmen“, warnt Raphaël Mapou, einer der führenden Kanak-Politiker Neukaledoniens, der sich für die Unabhängigkeit seiner Heimat einsetzt. Anfang des Jahres kam es bereits zu ersten Protesten, bei denen Transparente geschwenkt wurden, eines mit der Aufschrift: „Wir werden die Träume unserer Väter niemals aufgeben.“

Zur Verärgerung um das Wählerverzeichnis kommt, dass Frankreich zwar die Möglichkeit einer weiteren Unabhängigkeitsabstimmung in ein oder zwei Generationen offen gelassen hat, die Unabhängigkeitskoalition diesen Zeitplan jedoch ablehnt. Sie fordern neue Optionen für eine Unabhängigkeit sowie die Übertragung weiterer Zuständigkeiten von der französischen Regierung an die lokalen Behörden. Möglicherweise brauche es eine neue Vereinbarung zwischen den Parteien, um alle zufriedenzustellen, glaubt Mapou. „Die französische Regierung kann nichts erzwingen.“ Wie brisant das Thema ist, zeigt, dass es Mitte der 1980er Jahre schon einmal zu blutigen Zusammenstößen zwischen Unabhängigkeitsaktivisten und Polizei und Militär sowie zu Gewalt zwischen Ureinwohnern und Europäern gekommen ist. Damals starben bis zu 70 Menschen. Die Eskalation der Gewalt war eine Geiselnahme während der französischen Präsidentschaftswahlen 1988, bei der über 20 Menschen ums Leben kamen. Obwohl Mapou nicht glaubt, dass sich solche Szenen noch einmal wiederholen könnten, sagt er auch: „Es ist eine heikle Situation.“

Zentrale Säule der Pariser Indopazifik-Strategie

Hinzu kommt, dass Neukaledonien wirtschaftlich ebenfalls am Kämpfen ist, nachdem die wichtige Nickelindustrie schwächelt. Denn obwohl Nickel aufgrund der Elektrifizierung weltweit gefragt ist, sind die Preise gefallen und die hohen Produktionskosten und starker Wettbewerb aus Indonesien machen Neukaledonien zu schaffen. Im September gab das Schweizer Bergbauunternehmen Glencore dann auch noch bekannt, die Finanzierung des defizitären Koniambo Nickel SAS (KNS)-Unternehmens, dessen Miteigentümer es ist, im Februar dieses Jahres einzustellen. Dies hat den ohnehin schon angeschlagenen Nickelsektor weiter unter Druck gesetzt. Frankreich hat sich nun jedoch zum Retter aufgeschwungen und große Summen für die verlustbringende Industrie versprochen, um einen Zusammenbruch abzuwenden und vermutlich auch, um die Stimmung in der indigenen Bevölkerung wieder freundlicher gegenüber Paris zu stimmen.

Dass Paris unbedingt an seinem 20.000 Kilometer entfernten Südseeparadies festhalten will, liegt auch daran, dass die Inseln ein europäisches Bollwerk gegen den zunehmenden Einfluss Chinas im Indopazifik sind. Frankreichs pazifische Territorien – neben Neukaledonien auch Französisch-Polynesien sowie Wallis und Futuna – verleihen dem Land direkten Einfluss in der Region. „Die koloniale Kontrolle über Neukaledonien zu behalten, ist eine zentrale Säule in der Indopazifik-Strategie des französischen Präsidenten Emmanuel Macron“, hieß es 2021 in einer Analyse der australischen Denkfabrik Lowy Institute. Und der französische Botschafter für den Indopazifik, Marc Abensour, schrieb im Juni im Magazin The Diplomat, Frankreich wolle „als stabilisierende Macht fungieren“, die sich einem „wirksamen Multilateralismus verpflichtet“ fühle, der „auf Rechtsstaatlichkeit und der Ablehnung von Zwang“ basiere.

Angst vor chinesischem Einfluss

Letzteres ist ein recht unverhohlener Seitenhieb auf China, das sich gegenüber den kleinen Inselstaaten im Pazifik seit Jahren als großzügiger Freund präsentiert, der Krankenhausschiffe entsendet, Entwicklungshilfe in Form von Darlehen vergibt und in Straßen und Häfen investiert, im Gegenzug aber Loyalität fordert. Bisher müssen die Länder (nur) ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan kappen. Letzteres tat zuletzt Nauru Anfang dieses Jahres.

Auch Neukaledonien hat eine starke Beziehung zum Reich der Mitte. China ist wichtiger Handelspartner und Hauptabnehmer der Nickelproduktion im Land. Vor dem zweiten Referendum wurde in Neukaledonien deswegen bereits heftig darüber diskutiert, ob die Inselgruppe zur „chinesischen Kolonie“ werden würde, sollte sie die Unabhängigkeit von Frankreich erlangen. „Die Leute sagen: ,Wenn wir nicht mehr Franzosen sind, werden wir Chinesen sein‘“, sagte Catherine Ris, eine Wirtschaftsprofessorin an der Universität von Neukaledonien, damals im Interview mit der South China Morning Post. Es gehe die Angst um, dass China sich überall auf der Welt ausbreiten werde.

Auch Macron hatte bei seinem Besuch in Neukaledonien vor dem ersten Unabhängigkeitsreferendum 2018 bereits gewarnt, dass China „seine Hegemonie Schritt für Schritt aufbauen“ würde, „eine Hegemonie, die unsere Freiheit und unsere Chancen im Pazifik einschränken wird“. Dass der französische Staatschef damit nicht falsch liegen könnte, zeigt Neukaledoniens Nachbar Vanuatu. Der Pazifikstaat ist seit 1980 unabhängig von den einstigen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien. Dafür steht das Land inzwischen aber ganz unter den Fittichen Chinas. Die Chinesen schicken nach den häufigen Naturkatastrophen auf den Inseln aber nicht nur Hilfsmittel, sie haben auch die Sanierung eines Hafens finanziert und bauen über private Investoren an einem „Mini-Singapur“ auf der Hauptinsel – eine neue Stadt für Ausländer mit Wohnungen, Resorts und Einkaufszentren, die eine hohe Mauer von der einheimischen Bevölkerung trennt.

Blick auf eine Nickel-Fabrik in Nouméa
Blick auf eine Nickel-Fabrik in Nouméa Foto: AFP/Ludovic Marin