ForumDie Fata Morgana von Dubai: Der Abschied von der fossilen Energie wird sehr lang werden

Forum / Die Fata Morgana von Dubai: Der Abschied von der fossilen Energie wird sehr lang werden
 Foto: AFP/Jewel Samad

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Ein Neuling in der Öl- und Gasförderung, der westafrikanische Staat Senegal, schickt sich an, ein auf 4,2 Milliarden Kubikmeter geschätztes Gas- und Öl-Feld im Atlantik „offshore“ auszubeuten. Nachbarstaat Mauretanien prospektiert nunmehr sein Hoheitsgebiet im Atlantik, um dort gegebenenfalls ebenfalls Gas und Öl zu fördern.

Die britische und die neuseeländische Regierung erteilten letzten Herbst neue Permits zur Erschließung von Erdgas oder Öl in ihren Hoheitsgewässern. Die norwegische Regierung vergab diesen Monat 62 neue Lizenzen, um selbst im nördlichen Eismeer nach Erdgasvorkommen zu suchen.

Im Mittelmeer streiten sich die Türkei, Griechenland, Zypern, Israel und Libyen um die Ausbeutung der nachgewiesenen Vorhaben vor ihren respektiven Küsten. In den USA erteilte Präsident Biden neue Förderrechte in Alaska bis zum Jahr 2050.

In vielen Teilen der Welt sind Öl- und Gasvorkommen umkämpft. So droht Venezuela dem kleinen Nachbarstaat Guyana, ebenfalls ein Neuling unter den Erdöl-Produzenten, diesem einen Teil seines ölreichen Territoriums mit Gewalt zu entreißen. Dabei haben die USA gerade erst die Sanktionen gegen Maduros „Schurkenstaat“ für sechs Monate gelockert. Um es der US-Firma Chevron zu erlauben, wieder venezolanisches Öl zu fördern. Was Entspannung brachte an der Ölpreis-Front. Durch die westlichen Sanktionen gegen Russland unter Druck gesetzt.

Abschied auf Raten

Wie reimt sich das alles zusammen mit dem gefeierten Beschluss der COP28 in Dubai, weltweit ein „Weg von fossilen Brennstoffen“ durchzusetzen? Es scheint ein sehr langer Abschied zu werden. Zumal die COP den fossilen Brennstoff Erdgas als „Übergangs“-Energie von der angestrebten Dekarbonisierung ausnahm. Der „historische Beschluss“ von Dubai bleibt ein winziges Feigenblatt, das die Abhängigkeit der Menschheit von Erdöl und selbst von Kohle nicht einmal kaschiert.

Die Wahrheit ist, dass letztes Jahr der Anteil der fossilen Energien am globalen Energiebedarf nicht gefallen ist. Auch 2024 wird das nicht der Fall sein. Laut der Internationalen Energieagentur IEA bleiben weiterhin über 80% der global genützten Primärenergie fossilen Ursprungs. Der Bundesanstalt für Geowissenschaften zufolge liegt der Anteil von Erdöl bei 31%, von Kohle bei 27% und von Erdgas bei 25% der globalen Energienutzung.

Zwar sind die erneuerbaren Energien auf dem Vormarsch. Dank fallender Kosten für Windanlagen und vor allem für Solarmodule stieg von 2022 auf 2023 laut IEA die Produktion durch Erneuerbare um fast 50%. Das größte Wachstum gab es in China. Das 2023 so viele neue Photovoltaik-Anlagen in Betrieb nahm, wie der Rest der Welt im ganzen Jahr 2022.

Chinas preisgünstige Solarindustrie dominiert zu 80% den globalen Markt. Besonders die letzten europäischen Produzenten von Solar-Panels sind unter Druck. So will der größte Produzent von Solarzellen in der EU, die schweizerische Firma Meyer Burger, ihr modernstes Werk in Deutschland schließen. Um in die USA zu emigrieren. Wo die Energiekosten niedriger sind. Zudem der Markt gegenüber den billigeren chinesischen Produkten abgeschottet bleibt.

Dennoch kann die zunehmende Nutzung von Sonnen- und Windkraft den ständig steigenden Bedarf an Energie, vor allem an elektrischer Kraft, nicht abdecken. Die elektronischen Gadgets, vom Smartphone über Tablet bis Personal Computer, fressen bereits mehr Energie, als Schiff- und Luftfahrt in einem Jahr verbrauchen. Die zunehmende Nutzung der „Künstlichen Intelligenz“ wird den Stromverbrauch erneut steigern. Es dauerte zehn Jahre, bis 25 Millionen Elektroautos über den Globus rollten. Bleiben weltweit 1,4 Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Deren Ersatz durch E-Mobile wird Jahrzehnte dauern. Und viel Strom kosten.

Unverzichtbare Fossile

Laut IEA totalisieren die Erneuerbaren derzeit einige 3.650 Gigawatt Kapazität. Eine Verdreifachung bis 2030, wie in Dubai feierlich beschlossen, müsste also in den nächsten sechs Jahren zu einer Kapazität von etwa 11.000 Gigawatt führen. Die IEA hält 7.300 Gigawatt in 2028 für realistisch. In ihrem optimistischsten Szenario für 2030 rechnet die IEA mit einem Anteil der fossilen Brennstoffe von 73% zur Abdeckung des globalen Bedarfs an Primärenergie.

Trotz der hehren Absichtserklärung von Dubai werden somit nicht nur Gas, sondern auch Erdöl noch lange Jahre genutzt. Weshalb weiterhin in die Recherche neuer Vorkommen und in die Gewinnung von Öl, Gas und selbst Kohle investiert wird.

Fossile Brennstoffe liefern nicht nur Energie für Autos, Lastwagen, Lokomotiven, Schiffe, Flugzeuge. Sie sind der Stoff, aus dem die Petrochemikalien bestehen. Die wiederum zu Kunststoffen, zu Dünger und vielen anderen unverzichtbaren Produkten weiterverarbeitet werden. Etwa Wachse und Schmieröle, oder Asphalt für Straßen wie für Velo-Pisten. Selbst in vielen Medikamenten stecken fossile Bestandteile. Aspirin wurde ursprünglich aus Kohle gewonnen.

Das lesenswerte Buch „Material World“ von Ed Conway über die sechs Rohstoffe, welche die Geschichte der Menschheit prägten, liegt nunmehr in deutscher Übersetzung vor. Der Autor unterstreicht beispielsweise, dass der Hauptbestandteil der Anoden von Lithium-Ionen-Akkumulatoren aus synthetischem Grafit besteht, einem Öl-Nebenprodukt. Die Akkus in unseren Smartphones und Elektroautos funktionieren dank seltener Erze und noch seltener Erden, enthalten gleichzeitig eine große Portion Rohöl. Die fossile Energie steckt in so vielen Gebrauchsgegenständen, dass sie weiterhin benötigt wird, selbst wenn es der Menschheit gelingen sollte, Kohle, Öl und Gas als Energieträger völlig zu ersetzen.

Conway belegt, dass der angestrebte Verzicht auf das Fördern von Erdöl und -Gas sowie das Ausbuddeln von Kohle nicht zu weniger Eingriffen in die Erdkruste führt, sondern den Bedarf auf andere Rohstoffe verstärkt: „Auf jede Tonne fossiler Brennstoffe beuten wir sechs Tonnen anderer Materialien aus – vorwiegend Sand und Gestein, aber auch Metalle, Salze und Chemikalien.“

Gerade der angestrebte Umbau auf Erneuerbare geht einher mit einem verstärkten Verbrauch von Eisen, Beton, Kupfer, Silizium, Lithium und vielem mehr. Zum Ersetzen einer 100-Megawatt-Erdgasturbine sind laut Conway rund 20 große Windräder notwendig: „Um sie zu bauen, braucht man etwa 30.000 Tonnen Eisen und fast 50.000 Tonnen Beton, außerdem 900 Tonnen Kunststoff und Fiberglas für die Rotorblätter sowie 540 Tonnen Kupfer“. Ein Offshore-Windpark ist ergiebiger, erfordert aber das Dreifache an Material.

Für Conway ist derzeit „eine Massenproduktion von Windrädern (oder von Siliziumsubstrat für Solarzellen) ohne die Nutzung fossiler Brennstoffe nicht möglich“!

Dennoch besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einer solchen Verwendung fossiler Brennstoffe und der jetzigen Nutzung von Kohle, Öl und Gas. Conway: „Hier verbrennen wir sie nicht, sondern wir bauen mit ihnen!“ Fossile Brennstoffe werden in Produkte verwandelt. Nicht mehr in einen Energiestrom, der Kohlenstoff in die Atmosphäre abgibt.

Für Conway darf man auf ein Zeitalter hoffen, in dem die Menschheit den größten Teil der fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Alternativen sowie durch Nuklear, den Träger mit der größten Energie-Dichte, ersetzt: „Für einige Produkte, so das Grafit für die Batterien, werden wir vermutlich noch immer Öl brauchen. Ein wenig Kohle brauchen wir für einige industrielle Prozesse und ein wenig Erdgas auch – aber in viel, viel geringeren Mengen als heute.“

Wenn der Beschluss von Dubai über das Ende der fossilen Energie so zu verstehen und umzusetzen ist, wird die Geschichtsschreibung ihn wohl rückwirkend als „historisch“ feiern.

Robert Goebbels ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter
Robert Goebbels ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter Foto: Editpress/Didier Sylvestre