EditorialDer „Orban-Flüsterer“: Friedens Anbiederung schlägt hohe Wellen

Editorial / Der „Orban-Flüsterer“: Friedens Anbiederung schlägt hohe Wellen
Plakatkampagne der ungarischen Regierung im Jahr 2019 mit George Soros und Jean-Claude Juncker: „Auch Sie haben ein Recht, zu erfahren, was Brüssel vorbereitet“, steht dort auf Ungarisch geschrieben Foto: AFP/Attila Kisbenedek

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Der „Orban-Flüsterer“ – diesen Titel hat die politische Tageszeitung Politico Luxemburgs neuem Staatsminister Luc Frieden verpasst. Das, nachdem der CSV-Premier gegenüber Journalisten von Politico angegeben hat, als Brückenbauer zwischen der EU und dem autoritär anmutenden ungarischen Regierungschef fungieren zu wollen. 

„Wenn jemand mit einer bestimmten Politik nicht einverstanden ist, sollten Sie versuchen zu verstehen, woher er oder sie kommt“, gab Frieden weiter zu Protokoll. Ein eigentlich löblicher Ansatz – wären da nicht die vergangenen 13 Jahre, in denen Viktor Orban mehrfach aufgezeigt hat, wohin er mit seiner Politik will – und was er von der EU hält.

Nach seinem Erdrutschsieg im Jahr 2010 wollte Viktor Orban quasi als erste Amtshandlung die ungarische Presse mit der Androhung von Sanktionen gefügig machen. Nachdem der Chef der Fidesz-Partei auf Druck der EU hin sein Vorhaben aufgegeben hatte, nahm er sich im Jahr danach die Justiz und die Zentralbank zur Brust. Diesen Angriff auf die Unabhängigkeit der Zentralbank und die Gewaltenteilung im ungarischen System untermauerte Orban dann im Jahr 2013 mit einer Verfassungsreform, die die entsprechenden Institutionen erneut schwächen sollte.

Der nächste Eklat folgte sogleich: das Verbot der „Central European University“ und die gezielte Schwächung und Diskreditierung von NGOs in Ungarn. Das führte dazu, dass in der Geschichte der europäischen Integration erst zum zweiten Mal Artikel 7 der Europäischen Verträge aktiviert und somit ein Untersuchungsverfahren gegen Ungarn in die Wege geleitet wurde, das feststellen soll, ob eine schwerwiegende Verletzung europäischer Werte vorliegt. Ein Urteil im Verfahren steht bisher noch aus, weil sich die ehemalige polnische Regierung und Ungarn gegenseitig gedeckt haben. Das aber störte Orban nicht, in der Zwischenzeit repressive Maßnahmen gegen Homosexuelle in Ungarn zu erlassen und mit einer Hetzkampagne gegen Friedens ehemaligen Regierungskollegen und damaligen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker Ressentiments gegen die Brüsseler Politik zu schüren.

Und zu guter Letzt bleibt noch die enge Freundschaft mit Wladimir Putin. Als letzter europäischer Regierungschef weigert sich Orban, die Invasion Russlands als Krieg zu bezeichnen, und bevorzugt stattdessen den Duktus des russischen Präsidenten: „Operation“. Und solange Ungarn die derzeit blockierten 21 Milliarden aus EU-Töpfen nicht zugesprochen bekommt, werden wohl auch die für die Ukraine vorgesehenen Hilfegelder in Höhe von 50 Milliarden nicht so schnell in Kiew ankommen. Das ist nichts anderes als Erpressung.

„Ungarn ist pro-europäischer, als wir manchmal denken, und ich denke, wir sollten versuchen, unterschiedliche Ansichten zu unterstützen, damit wir ein gemeinsames Ziel erreichen können“, wird Frieden von Politico zitiert. Die EU sei demnach teilweise selbst schuld an Ungarns Isolation. Nicht nur sind das überraschende Worte von dem gleichen Premierminister, der im Dezember noch klar zu verstehen gab, dass Orban aus rein innenpolitischen Gründen handele und nicht das große Ganze im Blick habe. Inwiefern eine Stärkung der ungarischen Position den anstehenden Verhandlungsrunden um die Deblockierung der Ukraine-Hilfen zuträglich ist, wird sich dann auch noch zeigen. Nur eins ist sicher: Mit seinen Äußerungen dürfte Frieden in der EU relativ isoliert dastehen. Orban und Putin wird’s freuen.

Zeltzaam
25. Januar 2024 - 13.26

Wäre die EU ein sichselbst respektierende Organisation, denn hätte Ungarn schon lange kein Stimmrecht mehr, noch zu schweigen von ein Veto Recht. Ist Sie aber nicht, und deshalb ist alles was die EU macht, zu spät, zu wenig, unbedeutend. Keine in der Welt interessiert es was die EU sagt oder macht.

Francois vum Tuerm
22. Januar 2024 - 21.44

Hätte die grüne Partei nicht so kolossal versagt, wäre die CSV noch in der Opposition.

dmp
22. Januar 2024 - 19.58

„Ungarn ist pro-europäischer, als wir manchmal denken, und ich denke, wir sollten versuchen, unterschiedliche Ansichten zu unterstützen, damit wir ein gemeinsames Ziel erreichen können“ … Wer sagt denn sowas? Der luxemburgische Premier Luc Frieden, der sich mit einem solchen Satz für jegliche europäische Politik disqualifiziert. Er schadet damit nämlich hochgradig der EU. Er zeigt nicht bloß deutlich seine eigene Gedankenwelt auf, nämlich konservativ und christdemokratisch. Frieden scheint sich auf einer politischen Ebene bewegen zu wollen, die der Herkunft seiner Partei, der CSV (christlich soziale Volkspartei) gefährlich nahe kommt. Die Vorläuferin der CSV war nämlich die 1914 gegründete „Rechtspartei“ (Rietspartei bzw. Parti de la droite). Konservativ ist immer rechts. Mal weniger, aber meistens mehr. Nun ist Frieden seit Ende November Premier Luxemburgs, und hat bereits ein paar „Böcke“ geschossen. Er arbeitet erfolgreich daran, sich als Premier Luxemburgs selber ins Abseits zu bugsieren. Hoffentlich bekommen das auch viele mit und konfrontieren Frieden mit seinen peinlichen Ausrutschern. Es ist nicht die Frage, ob resp. wie lange Frieden als Premier tragbar ist. Die erschreckende Frage ist: Warum konnte Frieden überhaupt Premier werden? Da haben die Wähler Luxemburgs versagt und müssen über die kommenden Jahre die Konsequenzen mittragen.

jupp
22. Januar 2024 - 18.11

Jo waat soll een dovunner haalen. Wann een dovunner ausgoen muss, datt den Frieden keen Dommen ass, kann daat jo keen Ausrutscher gewiecht sinn. Déi logesch Conclusioun wier dann, datt den Frieden den Kontakt zu den Autokraten vun dëser Welt sicht. Vlaicht ass daat jo fir hien éng Inspiratioun fir séng zukünfteg Herrschaft iwer Lëtzebuerg ze ënnermaueren.

Jeff
22. Januar 2024 - 16.38

@ luxmann/ Bravo richtig bemerkt. Genau das ist auch meine Meinung. Sinnlose Waffenlieferungen und verschwendetes Geld.

luxmann
22. Januar 2024 - 13.14

Das wahlplakat mit juncker und soros war uebrigens optisch gut gelungen...ich denke sogar dass JCJ ,der ja auch humor hat, dazu schmunzeln musste und er hat damit im fernen ungarn einen grossen bekanntheitsgrad erreicht.

luxmann
22. Januar 2024 - 10.35

Man braucht weder Frieden noch Orban freund zu sein und kann trotzdem gut finden, dass wenigstens ein land in der EU gegen die sinnlosen waffenlieferungen an das zelenski regime ist.

JJ
22. Januar 2024 - 9.44

"Nach seinem Erdrutschsieg im Jahr 2010 .." Die Ungarn wollen die EU nicht? Dann raus mit ihnen.Sie können die Engländer ja fragen.Denen tut der Austritt schon leid.

fraulein smilla
22. Januar 2024 - 9.02

Auf Politiker mit manichaeichen Weltbild ,die nur mit den Woelfen heulen , koennen wir gerne verzichten .

Robert Hottua
22. Januar 2024 - 7.38

Die 1945 aus der luxemburgischen rechtsextremen "Rechtspartei" nahtlos und kommentarlos hervorgegangene CSV hat sicherlich Erfahrung im Umgang mit unterschiedlichen Ansichten zu einem gemeinsamen Ziel. Am 6. April 2017 schrieb der "Spiegel"-Journalist Markus BECKER in seinem Artikel "Der Spalter": "Bei der Debatte soll es auch um den Brief gehen, den ORBAN kürzlich an ungarische Haushalte verteilen ließ. Unter der Überschrift 'Lasst uns Brüssel stoppen!' verbreitete der Regierungschef einen wilden Mix aus Verschwörungstheorien, EU-Bashing und Fremdenfeindlichkeit. 'In Europa hat es zuletzt eine Terrorattacke nach der anderen gegeben. Trotzdem will Brüssel Ungarn zwingen, illegale Immigranten ins Land zu lassen', hieß es. An anderer Stelle war davon die Rede, dass 'gewisse internationale Organisationen illegale Einwanderer ermutigen, illegale Handlungen zu begehen'." MfG Robert Hottua