EditorialEine Welt im Umbruch – und warum ein wenig Optimismus doch angebracht ist

Editorial / Eine Welt im Umbruch – und warum ein wenig Optimismus doch angebracht ist
Ein ukrainischer Soldat scheint zumindest für den Augenblick des Fotos die Schrecken des Krieges auszublenden Foto: AFP

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Ein Jahr mit zwei Wahlen, einer Tripartite und einer Wohnungskrise, die wie ein Damoklesschwert über Luxemburgs Wirtschaft hängt: Hätte sich Luxemburg 2022 nicht mit zwei Tripartite-Runden und wie der Rest Europas mit den Nachwehen des Ukraine-Krieges abgemüht, wäre 2023 wohl als eines der krisenreichsten Jahre der jüngeren Vergangenheit in die Geschichte eingegangen. Spätestens seit der Zäsur der Pandemie-Jahre aber ist man eher geneigt, sparsam mit solchen Urteilen umzugehen. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Geht es im neuen Jahr von Krise zu Krise weiter?

Die Herausforderungen für Luxemburgs neue Regierung sind ohne Zweifel groß, innerhalb der Europäischen Union erscheinen sie gigantisch und auf internationaler Ebene unüberwindbar. Reform des Rentensystems, der Wohnungsmarkt in Scherben und weiterhin hohe Energie- und Lebensmittelpreise – da soll es einem vergönnt sein, wenn man sich nicht unbedingt für weitere Krisen außerhalb der Luxemburger Grenzen interessieren will.

Eine EU zwischen ständiger Blockade und Ost-Erweiterung, Machtgelüste und geschichtsrevisionäre Theorien eines wahnsinnigen Diktators, der die Ukraine zum ersten Opfer auserkoren hat, türkische Opportunismusdiplomatie, die im Rahmen der NATO-Beitrittsverhandlungen die eigentlichen Verbündeten in Geiselhaft hält … Die Liste könnte beliebig weitergeführt werden. Kommen dann noch der schwelende Wirtschaftskrieg zwischen China und den USA sowie die schemenhafte Andeutung einer neuen Blockbildung zwischen „dem Westen“ und den Brics-Staaten sowie die drohenden Konsequenzen des Klimawandels hinzu, bedarf es nicht mal der Wiederwahl des Demagogen Donald Trump ins Weiße Haus, um die Vorfreude auf 2024 gen Null sinken zu lassen.

In der Tageblatt-Ausgabe des 31. Dezembers 1923 stehen folgende Zeilen geschrieben:
„Prosit Neujahr,
Mit gemischten Gefühlen rufen wir unseren Freunden seit neun Jahren bei der Jahreswende diesen Gruß zu. Als etwas, das gesagt werden muß, weil es nun einmal zum Leben gehört, bis zum Schluß an dasselbe zu glauben. Als ein Versuch zu künstlichem Optimismus, der ein paar Stunden lang über die Fährnisse und Plackereien der unmittelbaren Gegenwart hinweghilft. Denn darüber machen wir uns ja keine Illusionen, daß die Zeit nicht gekommen ist, wo man mit einigem Enthusiasmus den Eintritt in ein neues Jahr begehen kann. […] Die Kulturmenschheit hat nicht nur die schwersten materiellen und wirtschaftlichen Erschütterungen durchgemacht; sie hat – was viel schlimmer ist – eine moralische Einbuße erlitten, an deren Wiedergutmachung zum mindesten eine Generation lang ernsthaft gearbeitet werden muß. Die Welt ist nicht nur verarmt in finanziellem Sinne; sie hat auch alle ihre ethischen Reserven verpulvert.“

Der Autor beschreibt die gesellschaftliche Stimmung in Luxemburg nach einem Weltkrieg und einer Pandemie (Spanische Grippe). Es folgten in kürzester Abfolge eine der schwersten Wirtschaftskrisen des vergangenen Jahrhunderts (Börsenkrach 1929) und ein weiterer Weltkrieg. Der Autor meint abschließend: „Der Untergang des Abendlandes ist schon mehr als einmal prophezeit worden, aber das alte Abendland hat ein zäheres Leben, als die Untergangspropheten annehmen.“ Nach 100 Jahren ist man geneigt, dem zuzustimmen. Politische und gesellschaftliche Umbrüche hat es schon immer gegeben – das ist die wohl einzige historische Konstante der Menschheitsgeschichte. Und das sollte einen doch deutlich optimistischeren Blick auf 2024 erlauben.