BrüsselEU-Parlament zweifelt an Ungarns EU-Reife – Ratsvorsitz in Gefahr?

Brüssel / EU-Parlament zweifelt an Ungarns EU-Reife – Ratsvorsitz in Gefahr?
Ungarns Premier Viktor Orban hat nicht mehr viele Freunde in der EU Foto: AFP/Attila Kisbedenek

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Es ist eine denkwürdige Premiere: In einer rechtlich nicht bindenden Erklärung hat das Europaparlament die Eignung Ungarns für den kommenden EU-Vorsitz infrage gestellt. Es sei zweifelhaft, ob die Regierung von Viktor Orban diese wichtige Aufgabe übernehmen könne. Ungarn soll die EU-Geschäfte im zweiten Halbjahr 2024 führen.

In der EU übernimmt alle sechs Monate ein anderes Land den Vorsitz im Ministerrat. Die sogenannte Ratspräsidentschaft hat die Aufgabe, die EU-Agenda zu planen und wichtige Beschlüsse vorzubereiten. Dabei ist Verhandlungsgeschick, aber auch Unparteilichkeit gefragt. Bisher ist noch nie eine Regierung übergangen worden.

Mit Ungarn kommt nun aber ein Land an die Reihe, das nach Ansicht vieler Abgeordneter gegen Grundwerte verstößt und die Arbeit blockiert. Angesichts der eingefrorenen EU-Gelder und der zunehmenden Rechtsverstöße stelle sich die Frage, ob Ungarn glaubwürdig den Vorsitz übernehmen könne, meinen 442 Parlamentarier. 144 stimmten dagegen.

In der Resolution werden die EU-Staaten aufgefordert, „so rasch wie möglich eine angemessene Lösung“ zu finden. Andernfalls werde das „Parlament geeignete Maßnahmen ergreifen“. Die Abgeordneten mischen sich damit in die Angelegenheiten des Rates ein – ein bisher einmaliger Vorgang. Zudem riskieren sie einen Konflikt mit Orban.

Vor der Abstimmung waren vor allem deutsche Abgeordnete auf Konfrontationskurs gegangen. Dies ist bemerkenswert – denn noch vor wenigen Jahren haben CDU/CSU einträchtig mit der ungarischen Fidesz-Partei zusammen gearbeitet. Nun wollen Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne verhindern, dass Orban die EU-Geschicke lenkt.

„Im Grunde Putins bester Freund“

Besonders unnachgiebig zeigt sich Daniel Freund von den Grünen. Orban verdiene „diese Bühne“ nicht, sagte er. Dabei gehe es nicht nur um Rechtsstaat und Korruption, sondern auch um die Außenpolitik. Wenn man „im Grunde Putins bestem Freund“ die Ratspräsidentschaft überlasse, dann bestehe „ein Sicherheitsrisiko“ für Europa.

Tatsächlich hat Ungarn immer wieder EU-Beschlüsse zu Russland oder zur Ukraine blockiert. Allerdings ist es Orban noch nie gelungen, Sanktionen zu verhindern oder Waffenlieferungen zu stoppen. Die ungarische Justizministerin Judit Varga erklärte, ihr Land könne sehr wohl als „ehrlicher Makler“ die Ministertreffen vorbereiten. Die Bedenken seien politisch motiviert und „Blödsinn“.

Ungarn dürfte aber dennoch Probleme bekommen. Denn nicht nur die EU-Abgeordneten, auch einige Europaminister rütteln am Ratsvorsitz. Die deutsche Staatsministerin Anna Lührmann (Grüne) sagte am Dienstag in Brüssel, sie habe „Zweifel daran, inwieweit es Ungarn gelingen kann, eine erfolgreiche Ratspräsidentschaft zu führen“. Der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra sprach von einem „Unbehagen“ über Ungarns Rolle in der EU.

Das letzte Wort haben die Staats- und Regierungschefs. Bisher haben sie versucht, Probleme beim EU-Vorsitz einvernehmlich zu regeln. Einige Länder haben freiwillig ausgesetzt, etwa bei kurzfristig angesetzten Wahlen. Ausgeschlossen wurde jedoch noch kein EU-Mitglied. In der konsensorientierten Union wäre das ein Tabubruch.