DeutschlandDie Konflikte in der Ampelregierung mehren sich

Deutschland / Die Konflikte in der Ampelregierung mehren sich
Regierungsbank im Deutschen Bundestag: Die drei Regierungsfraktionen arbeiten noch gut zusammen, in der Regierung selbst knirscht und ruckelt es Foto: Tobias Schwarz/AFP

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Nach weniger als einem Jahr in der Regierung knirscht und ruckelt es in der Ampel-Koalition. SPD und Grüne nervt das Festhalten des FDP-Chefs und Bundesfinanzministers an der Schuldenbremse. Sie wollen die leidige Gasumlage loswerden, doch Christian Lindner will den Ampel-Partnern den Gefallen nicht tun.

„You never walk alone (Du bist nicht allein)“, wiederholt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gerne bei vielen Gelegenheiten. Es ist sein Satz, um den Bürgerinnen und Bürgern zu versichern, dass sie der Staat so gut es geht unterstützen wird in dieser großen Energiepreiskrise. Derzeit scheint es aber so, als sollte der Regierungschef diesen Satz auch seinen Stellvertretern und Ministerinnen von Zeit zu Zeit per SMS schicken. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagt es beim Thema Schuldenbremse ganz offen: „Ich habe gesehen, dass es einsamer um mich wird, nachdem auch Markus Söder jetzt gesagt hat, die Schuldenbremse sei eine Prinzipienreiterei.“ So lässt sich der FDP-Vorsitzende an diesem Donnerstag in einem Interview mit dem Portal „The Pioneer“ nach jüngsten Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden zitieren.

Der sich allmählich regende Widerstand in der Union ist allerdings nichts gegen die Widerstände in der eigenen Ampel-Koalition gegen Lindners Festhalten an der Schuldenbremse. Weder in der SPD noch bei den Grünen hat man Verständnis für dieses „Mantra“ der FDP, wie es in den Fraktionen immer wieder heißt. Die umstrittene Gasumlage, die die Gaskunden zusätzlich belasten wird, machen viele Grüne allein daran fest, dass Lindner unbedingt die Verfassungsregel der Schuldenbremse 2023 wieder erfüllen will – trotz aller krisenhaften Zuspitzungen in Deutschland seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Februar. Würde der FDP-Chef von der Schuldenbremse abrücken, wäre der Weg für die Finanzierung eines Gaspreisdeckels aus dem Bundeshaushalt frei – für SPD und Grüne die beste Lösung.

Doch Lindner bleibt dabei: Die Schuldenbremse werde eingehalten, sagt er auch im aktuellen Interview. SPD und Grüne unterstellen ihm hinter vorgehaltener Hand, nur wegen der Landtagswahl am 9. Oktober in Niedersachsen stur zu bleiben. Danach sehe die Lage anders aus.

Thema Gasumlage

Für die Grünen ärgerlich ist, dass die Gasumlage, die wegen der geplanten Verstaatlichung des Gasversorgers Uniper jetzt noch umstrittener geworden ist, mit ihrem Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Hause geht – und das vor der Niedersachsen-Wahl. Auch Habeck will die Umlage eigentlich nicht, muss jedoch an ihr festhalten, um Uniper und andere Gasversorger in diesen Wochen vor der Pleite zu retten. Dass die Union die missliche Lage Habecks ausnutzt, im Bundestag einen Antrag zur Abschaffung der Gasumlage stellt und ihn öffentlich vorführt, hat Habeck am Mittwoch zu einer Wut-Rede veranlasst. Statt in einer Zeit der multiplen Krisen an einem Strang zu ziehen, falle der Opposition nur ein, „Die Gasumlage muss weg!“ zu rufen, sagt Habeck in Richtung Union. „Sind wir denn hier im Fußballstadion, oder was? Ist das ’ne Demo? Muss weg! Sie sind die ,Muss-weg-Opposition‘! (…) Das ist doch keine Politik“, brüllt der Minister aufgebracht ins Mikrofon.

Dieser wütende Angriff gilt der Union, doch klar ist, dass die Nerven des Grünen-Politikers auch deshalb blank liegen, weil es in der Ampel nach weniger als einem Jahr knirscht und rumpelt, auch wenn die Zusammenarbeit der Fraktionen weiterhin als gut bezeichnet wird. Mancher in der Koalition fühlt sich angesichts der vielen Krisen schon überfordert. SPD und Grüne denken nach dem dritten Entlastungspaket, das am Donnerstag in erster Lesung im Bundestag debattiert wird, längst an ein viertes Paket für die Bürger, doch Lindners Fuß auf der Schuldenbremse ist hinderlich. Eher widerwillig tragen SPD und Grüne die von Lindner durchgesetzten Steuererleichterungen beim Abbau der kalten Progression mit, der Menschen mit höheren Einkommen absolut gesehen mehr entlastet als die mit geringeren Einkommen. Das empfinden viele bei SPD und Grünen als sozial ungerecht.

Thema Waffenlieferungen

Nicht eng beieinander sind die Ampel-Parteien auch in Sachen Waffenlieferungen an die Ukraine. Auch wenn nicht jeder die forsche Rhetorik des grünen Europaausschuss-Vorsitzenden Toni Hofreiter teilt: Die Forderung nach Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine machte sich in Interviews auch die grüne Außenministerin Annalena Baerbock zu eigen. Seit Sonntag allerdings sind ihre Aussagen zurückhaltender. Ob das bei einem Termin mit Scholz so besprochen wurde und danach ein Kurswechsel Baerbocks folgte, ist offen – wird aber von manchen in der Koalition so kolportiert. Böse Zungen bei den Partnern behaupten, die ehemalige Grünen-Kanzlerkandidatin hadere damit, nicht selbst im Kanzleramt zu sitzen.

Scholz jedenfalls beantwortet in New York die Frage nach den Kampfpanzern erneut mit dem Satz, dass Deutschland nicht alleine vorangehen dürfe. Seine Verurteilung des „brutalen Imperialismus“ Russlands und der geplanten Scheinreferenden in den besetzten ukrainischen Gebieten fällt dagegen sehr deutlich aus. Ob sich daraus ein von vielen Grünen ersehnter Kurswechsel des Kanzlers in Richtung mehr Härte Deutschlands im Ukraine-Krieg ergibt? Eher unwahrscheinlich.

Jill
24. September 2022 - 12.44

Grüne Ideologie und moralische Werte haben nun mal ihren Preis. Man sollte vorher bedenken ob man ihn sich leisten kann, bevor man die Wirtschaft an die Wand fährt.

Phil
24. September 2022 - 5.31

Der Fakt, dass die Politik einer Firma, in diesem Fall Uniper, absichtlich die Wirtschaftsgrundlage entzieht und sie damit in die Pleite treibt, welche wiederum von den Steuerzahlern per Gasumlage abgewendet werden soll, ist doch an Perversität nicht zu toppen.