Dienstag28. Oktober 2025

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Covid-Demo„Eine Frage der Zeit“: Nachbarn reagieren auf Proteste vor Bettels Wohnung

Covid-Demo / „Eine Frage der Zeit“: Nachbarn reagieren auf Proteste vor Bettels Wohnung
Am Montag erinnern in Bonneweg nur noch Kratzer am Autolack an die Geschehnisse des Wochenendes Foto: Editpress/Alain Rischard

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Zwei Tage nach den Protesten ist in Bonneweg wieder Ruhe eingekehrt. Vor der Wohnung des Premierministers sieht die Polizei nach dem Rechten. So unterschiedlich die Meinungen zur Corona-Politik der Regierung auch ausfallen, so ist sich ein Großteil der Anwohner aber einig: Das private Domizil eines Politikers ist tabu.

Es ist ein normaler Nachmittag in Bonneweg. Der gewöhnliche Hauptstadt-Trubel scheint kilometerweit entfernt, in der Nachbarschaft gehen die Bewohner ihrem Alltag nach. Das Viertel wirkt zwar nicht wie ausgestorben, allzu geschäftig geht es an diesem Wochentag allerdings auch nicht zu. Nur vereinzelt huschen Fußgänger an den Häusern vorbei zur Bushaltestelle, während der Mitarbeiter eines Paketdienstes nach erfolgreicher Zustellung wieder in seinen Lieferwagen steigt. Eine ältere Dame geht die Treppen zu ihrer Wohnung hoch, stellt die Einkaufstaschen ab und schließt die Eingangstür auf. Gleich nebenan laden Handwerker Material aus einem Firmenwagen. Einer der Männer blickt hinüber zur Gaststätte und lächelt freundlich zwei Gästen zu, die vor Tür dem Tabakgenuss frönen.

Kaum etwas erinnert an diesem Nachmittag noch an die aufgeheizte Stimmung am Wochenende, als aufgeregte Demonstranten durch die Straße zogen, um ihrem Unmut über die Covid-Maßnahmen der Regierung freien Lauf zu lassen. Ihr Ziel: ein unauffälliges Gebäude am Ende der Straße, in dem sich der wohl prominenteste Vertreter der Luxemburger Politik niedergelassen hat. Mit lautstarken Parolen versuchten sie sich dort Gehör zu verschaffen, während Beteiligte Eier auf die Fassade des Wohnhauses von Premierminister Xavier Bettel warfen.

Knapp 48 Stunden später sind die Schmutzflecken wieder beseitigt. Doch die tiefen Kratzer, die wütende Gesellen auf der Fahrerseite einer schwarzen Limousine hinterlassen haben, sind immer noch sichtbar. Das Fahrzeug steht in unmittelbarer Nähe des Wohnhauses, gleich gegenüber eines Einsatzwagens der Polizei, in dem sich zwei Beamte etwas aufwärmen. Nur Augenblicke später aber haben die Polizisten wieder Posten auf dem Bürgersteig bezogen, um die Nachbarschaft weiter im Auge zu behalten.

„Tabu für Demonstranten“

Eigentlich wird das Wohnhaus des Luxemburger Regierungschefs nicht rund um die Uhr bewacht – zumindest nicht offensichtlich. Nach den Vorkommnissen der letzten Woche aber wollen die Ordnungskräfte Präsenz in der Straße zeigen. Um bei möglichen Zwischenfällen rasch eingreifen zu können. Schließlich war es am Samstag bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage der Fall, dass Demonstranten das private Domizil des Staatsministers aufgesucht hatten.

Nicht zuletzt auch zum Unmut mancher Nachbarn, wie ein Anwohner im Gespräch mit dem Tageblatt erklärt. „Ich war gerade dabei, ein neues Möbelstück im Zimmer meines Sohnes aufzustellen, als es vor der Tür plötzlich laut herging. Da macht man sich schon seine Gedanken“, so Christian. Er sei noch nie gut darin gewesen, Teilnehmerzahlen einzuschätzen. „Es dürften aber mehr als hundert Demonstranten gewesen sein, die laut die Demission des Premierministers forderten und andere Parolen skandierten.“

Der Bankkaufmann wohnt erst seit einigen Jahren in Bonneweg, fühlt sich laut eigenen Aussagen aber sehr wohl in dieser Nachbarschaft. „Bonneweg hat als Viertel zu Unrecht einen fragwürdigen Ruf. Unsere Erfahrungen waren bisher immer positiv“, so der zweifache Vater. Vorfälle dieser Art habe es bislang nicht in dem Viertel gegeben. „Zumindest nicht, seitdem wir hier wohnen. Jetzt aber gleich zweimal innerhalb weniger Tage … und bestimmt auch nicht zum letzten Mal, wenn ich den Gerüchten in den sozialen Netzwerken Glauben schenken kann.“

„Demokratische Freiheiten hin oder her – beim Privatleben ziehe ich eine Grenze. Eigentlich sollte die Wohnung eines Politikers tabu sein für Demonstranten“, betont Christian. Er bezweifle jedoch, dass die Beteiligten ihre Botschaft an den Mann bringen konnten: „Der Staatsminister ist doch dauernd unterwegs.“ Er selbst habe Xavier Bettel noch nie zu Gesicht bekommen in der Nachbarschaft. Nur seinen Ehemann sehe er ab und an auf dem Bürgersteig. „Eine äußerst angenehme Person. Freundlich und zuvorkommend“, so Christians Fazit.

„Es gibt Grenzen“

„Dass Demonstranten die Hausfassade des Premierministers mit Eiern beschmeißen, geht definitiv zu weit“, sagt indessen Marc. Der Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung wohnt zwar nicht in der Hauptstadt, arbeitet aber schon seit mehr als 20 Jahren in Bonneweg und kennt das Viertel aus dem Effeff. „Demonstrieren ist ein demokratisches Grundrecht. Doch es gibt Grenzen. Jeder darf seine Meinung äußern, doch nicht auf diese Art.“ Er finde es traurig, dass die Polizei jetzt rund um die Uhr Wache vor dem Haus schieben müsse. Auch wenn er durchaus Verständnis für Menschen aufbringen könne, die sich ausgegrenzt fühlen. „Doch das geht definitiv zu weit“, so Marc.

Dieser Meinung ist auch Léonie, eine direkte Nachbarin des Premierministers. Sie sei am Samstagnachmittag zu Hause gewesen, als sich die Straße plötzlich mit Demonstranten füllte. „Es war laut in der Straße. Vor der Wohnung des Premiers ging es plötzlich drunter und drüber“, so die Rentnerin. Auch sie habe solche Szenen noch nie in der Nachbarschaft erlebt, habe sich jedoch nicht unmittelbar in Gefahr gefühlt. Auch mache sie sich keine Sorgen, dass es irgendwann mal ausarten könnte. Im Gegensatz zu ihrer Schwester: „Die hat sich am Samstag richtig Sorgen gemacht.“

Nur einen Block weiter sieht die Welt ganz anders aus: Man habe Geschrei mitbekommen und Menschen gehört, die Parolen skandieren. Schlimm sei es aber nicht gewesen, meint eine Anwohnerin am Fenster ihrer Wohnung im Erdgeschoss. Als Politiker müsse man halt mit solchen Konsequenzen leben. Dem scheint auch eine junge Frau beizupflichten, die am anderen Ende der Straße wohnt: „Bettel wohnt seit jeher in diesem Haus, lange bevor er Premierminister wurde. Die Adresse ist bekannt. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis dort etwas passiert“, so die Ansprechpartnerin, die namentlich nicht genannt werden wollte.

Ihrer eigenen Auffassung nach sei es aber höchstens nur eine Handvoll Menschen gewesen, die vor dem Domizil des Staatsministers „etwas lauter“ demonstriert hätten. „Probleme gab es aber keine. Zumindest nicht für uns“, so die junge Frau. Dennoch wäre sie an Bettels Stelle wohl längst schon umgezogen.

„Ob er nun in Capellen, Bonneweg oder sonstwo wohnt … Das tut doch nichts zur Sache. Das, was letzte Woche hier passiert ist, geht einfach nicht“, wiederholt Marc. Es könne nicht sein, dass Politiker in ihrem privaten Domizil belästigt werden. Schlimmer sei eigentlich nur, dass am Samstag auch Familienministerin Corinne Cahen gezwungen gewesen sei, mit ihren Kindern das Haus zu verlassen. Und das aus den gleichen Gründen. „Dabei hat Cahen doch kaum etwas mit Covid zu tun“, so Marc.

Léonie fühlt sich wohl in unmittelbarer Nachbarschaft des Premierministers
Léonie fühlt sich wohl in unmittelbarer Nachbarschaft des Premierministers Foto: Editpress/Alain Rischard