Dienstag28. Oktober 2025

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CCDHMenschenrechte: ein guter Kompass in Krisenzeiten

CCDH / Menschenrechte: ein guter Kompass in Krisenzeiten
Die Informationspolitik der Regierung war in den letzten zwölf Monaten nicht immer unumstritten. Laut Menschenrechtskommission darf das Recht der Bevölkerung auf ordentliche Informationen nicht infrage gestellt werden. Foto: Editpress/Julien Garroy

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Noch ist die Pandemie nicht ausgestanden und sind die Folgen nicht alle absehbar. Dennoch versucht sich die luxemburgische Menschenrechtskommission an einer ersten Bestandsaufnahme der Folgen dieser sanitären Krise. Ihr Fazit: Während manche Menschen gut mit den Maßnahmen zurechtkommen, werden vor allem bereits bestehende Probleme weiter verstärkt.

„Es sind die Schwächsten, die am stärksten unter den Folgen der sanitären Krise leiden.“ Von Anfang an sei man aufseiten der Luxemburger Menschenrechtskommission CCDH („Commission consultative des droits de l’Homme“) von dieser Hypothese ausgegangen, so Gilbert Pregno. Und man habe recht behalten. „Wobei die Folgen aber weitaus schlimmer und konsequenter waren als ursprünglich erwartet“, fährt der Präsident der CCDH fort.

Die Krise ist noch nicht überstanden, die Folgen der Pandemie sind noch längst nicht alle absehbar. Eine umfassende Analyse der Auswirkungen auf die Menschenrechte wäre verfrüht und entsprechend unvollständig. Dennoch lassen sich auch zum jetzigen Zeitpunkt bereits wichtige Schlussfolgerungen festhalten, wie die Menschenrechtskommission in ihrem jüngsten Bericht zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Menschenrechte festhält.

Mit dem Start der Impfkampagne macht sich innerhalb der Bevölkerung nach einem langen, meist trüben Jahr voller Entbehrungen nun langsam etwas Optimismus breit. „Jeder findet Trost in der Hoffnung, dass das Impfmittel das Virus auf Dauer ausrottet“, betont CCDH-Präsident Gilbert Pregno. Die Folgen der Pandemie aber werden die Menschheit noch lange beschäftigen, und das auf mehreren Ebenen. „Et il faudra composer avec la découverte de notre propre fragilité, celle de l’humanité toute entière“, so der Psychologe.

Seit einem Jahr stellt die Pandemie mit ihren Folgen, Auswirkungen und Einschränkungen die Menschenrechte auf die Probe. Ein richtiges Zurück gibt es nicht mehr, wie auch Pregno feststellt. Vielmehr sei es nun an der Zeit, sich als Gesellschaft neu zu (er)finden. Genau dort will auch der jüngste Bericht der Menschenrechtskommission ansetzen, der absolut keinen Anspruch auf Ausführlichkeit erhebt, sondern vielmehr die Komplexität der Folgen in den Mittelpunkt rückt und einen Blick in die Zukunft wagt.

Zu Beginn der sanitären Krise sei man noch der Meinung gewesen, das Virus schnell in den Griff zu bekommen. „Doch je länger die Pandemie, umso komplexer ihre Folgen“, schlussfolgert Jurist Max Mousel von der CCDH. So haben Maßnahmen nicht immer die gleichen Auswirkungen. Während eine Ausgangssperre etwa manchen Menschen nichts anhaben kann, stellt sie andere Mitglieder am Rande der Gesellschaft vor fast unüberbrückbare Probleme: „Was sollen Obdachlose tun, wenn sie eigentlich um 23 Uhr von der Straße sollen?“, so Mousel.

Fragen wie diesen will der jüngste Bericht der Menschenrechtskommission Rechnung tragen. „Wir müssen uns an Spuren orientieren, die Covid-19 hinterlassen hat, und jene Menschen auffangen, die am meisten unter der Pandemie leiden“, betont Pregno. „Auch wenn jeder irgendwie von der Pandemie betroffen ist, können sich Art und Tragweite der Auswirkungen je nach persönlicher Lage auf ganz unterschiedliche Weisen äußern. Auch auf den ersten Blick neutrale Maßnahmen können bereits vorhandene Ungleichheiten fördern oder gar verstärken“, heißt es in dem Dokument mit dem passenden Titel „La crise sanitaire et ses conséquences: Quels impacts sur les droits humains?“

Ein Recht auf Informationen

Zehn Themengebiete umfassen die Überlegungen der CCDH, darunter zum Beispiel das Recht der Bevölkerung auf Informationen. Mehrmals schon wurde die diesbezügliche Politik der Regierung von Medienvertretern und Interessengruppierungen kritisiert. Dabei sei es die Presse, die die Öffentlichkeit mit Informationen füttert, den öffentlichen Diskurs fördert und es den Bürgern erlaubt, Politiker zur Rechenschaft zu ziehen, so die Menschenrechtskommission. Deshalb fordert die CCDH ein gesetzlich verankertes Recht auf Informationen, was der Presse bislang aber verwehrt wurde.

Um den Nachwuchs macht sich die Menschenrechtskommission auch Sorgen. Jedes Kind habe das Recht auf eine ordentliche Ausbildung. Während viele Schüler gut mit dem Distanzunterricht zurecht kommen, wird die Chancen-Ungerechtigkeit bei manch anderen Kindern und Jugendlichen deutlich verstärkt. Bereits in normalen Zeiten steht die Leistungsschere in Luxemburg weit offen. Durch die Pandemie wird diese noch weiter auseinandergetrieben. So hat nicht jedes Kind Zugang zu schnellem Internet oder ordentlichem IT-Material. Auch müssen sich manche Schüler den Raum zu Hause mit den Geschwistern oder Eltern teilen, worunter wiederum Leistung und Konzentration leiden.

Die Regierung muss Kindern und Jugendlichen auch künftig die nötigen Instrumente an die Hand geben, damit sie in der Schule nicht ins Hintertreffen geraten, den Anschluss an Gleichaltrige nicht verlieren und nicht in die soziale Isolierung abrutschen. Gleichzeitig sei es wichtig, bei etwaigen Entscheidungen sämtliche Akteure mit einzubeziehen: Lehrer, Erzieher, Pädagogen, Schüler und Eltern.

Auch sollte die Regierung den Sorgen vieler Kinder und Jugendlicher Rechnung tragen. Sie machen sich Gedanken um die eigene Gesundheit, das Wohl der Familie und die berufliche Zukunft. „La CCDH incite le gouvernement à garantir l’accès à des services de prévention et d’aide pour promouvoir le bien-être des jeunes et leur santé mentale sur le long terme, notamment en veillant à une prise en charge psychologique et psychiatrique adéquate“, stellt der Bericht in dieser Hinsicht fest.

Die Schwächsten leiden am stärksten

Indessen befürchtet die Luxemburger Menschenrechtskommission, dass die aktuellen Statistiken in puncto häusliche Gewalt nicht die Realität wiedergeben. Auf den ersten Blick nämlich scheinen die Übergriffe auf Partner oder Kinder trotz aller Befürchtungen nicht weiter zugenommen zu haben. „Verschiedene Dienste haben aber andere Erfahrungen gemacht, wobei der Zugang zu den Opfern viel schwerer geworden ist“, so die Feststellung. Die CCDH begrüßt die bereits bestehenden Initiativen, plädiert aber für langfristige Angebote und ausreichend Mittel für bereits bestehende Dienste. Auch sei es wichtig, Mitglieder der LGBTIQ+-Gemeinde bei diesen Überlegungen mit einzubeziehen.

Tatsächlich sind es die Schwächsten, deren Probleme von der Pandemie deutlicher zum Vorschein gebracht werden, respektive stark unter den Auswirkungen bestimmter Maßnahmen zu leiden haben. So befasst sich die CCDH u.a. auch mit der ungewöhnlichen Lage vieler Heimbewohner. „La CCDH regrette l’absence de règles claires et transparentes pour les institutions pour personnes âgées ou en situation de handicap. Ceci a conduit à ce que chaque institution a pris les mesures qu’elle estimait nécessaires et le personnel encadrant a été confronté à des décisions et obstacles difficiles, aggravés par un manque de personnel et un accès insuffisant aux formations. Par conséquent, un certain nombre de personnes concernées ont souffert sous des mesures jugées comme abusives“, so das Fazit.

In ihrem Bericht erinnert die Menschenrechtskommission unter anderem noch an das Recht jedes Bürgers auf eine ordentliche Wohnung („Le droit de disposer d’un logement convenable fait partie intégrante du droit à un niveau de vie suffisant“), die Lage von Obdachlosen („le droit à la santé est un droit fondamental de tout un chacun“) und die Sorgen von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Auch dürfe die Kultur während der sanitären Krise nicht zu kurz kommen. „Le rôle de la culture a été sous-estimé et réduit, alors qu’il s’agit d’un droit humain qui aurait pu être un vecteur important pour aider les personnes souffrant des restrictions à accéder à un enrichissement“, schlussfolgert die CCDH.

Ein gutes Leitsystem

Die Einschränkungen an sich seien a priori nicht zu verurteilen, meint Max Mousel. „Einschränkungen müssen in einer Krise erlaubt sein. Auch Menschenrechte kann und muss man einschränken können, insofern diese Maßnahmen angemessen und proportional bleiben“, so der Jurist. Gefährlich werde es, wenn Routine einsetzt und Maßnahmen nur hingenommen werden, weil die Situation es erfordert, diese aber zu einem späteren Zeitpunkt nicht nachgebessert werden. „Wegen der gebotenen Eile neigen wir nämlich zu einer gewissen Akzeptanz von einschränkenden Maßnahmen, die nicht immer mit den Menschenrechten übereinstimmen“, gibt Mousel zu bedenken.

Dabei seien die Menschenrechte ein wichtiger Kompass für Krisensituationen. Die Gesellschaft könne bei einer systematischen Berücksichtigung dieser Rechte nur gestärkt aus der Pandemie hervorgehen, so der Jurist weiter. „Une politique fondée sur le respect des droits humains sera non seulement bénéfique pour chacun, mais à court, moyen et long terme, elle profitera à la société toute entière“, hält die CCDH in ihrem Bericht fest. „Um weitere Ungleichheiten zu verhindern, sollten die Menschenrechte den Entscheidungsträgern als eine Art Leitsystem dienen“, so die CCDH abschließend.