Hustend und vor Frost bibbernd reihten sich rund 500 verbliebene Insassen in Bosniens ausgebrannten Flüchtlingslager Lipa nach einer weiteren eiskalten Nacht am Sonntag vor der Essensausgabe des Roten Kreuzes auf. Auf bis zu 1.000 Menschen wird die Zahl der Flüchtlinge geschätzt, die in den Wäldern um das am Mittwoch in Flammen aufgegangene Lager im bosnisch-kroatischen Grenzgebiet unweit von Bihac unter freiem Himmel biwakieren: Starke Schneefälle und die auf unter den Gefrierpunkt gesackten Temperaturen haben ihre prekäre Lage drastisch verschärft.
Mehrere nationale und internationale Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder das UN-Flüchtlingswerk UNHCR haben gestern in einer gemeinsamen Erklärung von Bosniens Behörden erneut die sofortige Bereitstellung von Ausweichquartieren gefordert. Wegen der fehlenden Heizmöglichkeiten würden diese vermehrt an Unterkühlungen und „ernsthaften“ Gesundheitsprobleme leiden: Trotz der Nothilfe humanitärer Organisationen sei ihr Leben „in direkter Gefahr“.
Es ist eine Katastrophe mit Ansage: Seit der Eröffnung des umstrittenen Skandallagers während der Corona-Krise im April hatten Hilfsorganisationen immer wieder darauf hingewiesen, dass das provisorische Lager ohne Strom- und Wasseranschluss nicht winterfest sei. Nationale, regionale und kommunale Behörden schoben sich zwar gegenseitig die Verantwortung zu, doch die notwendige Aufrüstung des Lagers blieb aus.
Geschätzte 3.000 Menschen leben im Freien
Erst als die Internationale Organisation für Migration (IOM) Mitte Dezember entnervt mit der einseitigen Schließung des Lagers drohte, sicherte Bosniens Zentralregierung in Sarajevo einen Wasser- und Stromanschluss zu. Nachdem die Stadt Bihac sich aber der Regierungsanordnung verweigerte, rund 1.400 Menschen bis zur Überholung des Lagers vorübergehend in einem erst vor wenigen Monaten geräumten Aufnahmezentrum im Stadtgebiet unterzubringen, kündigte die IOM die sofortige Lagerschließung an. Kurz darauf ging das Lager in Lipa an Heiligabend in Flammen auf: Die Polizei geht von Brandstiftung durch aufgebrachte Bewohner aus.
Seit fast vier Jahren ist Bosniens Westzipfel zum Flaschenhals der sogenannten Balkanroute geworden. Die zumeist aus Serbien eingereisten Transitmigranten versuchen, vom Kanton Una-Sana über Kroatien und Sloweniens nahe Schengen-Grenze nach Westeuropa zu gelangen. Hilfsorganisationen klagen seit Jahren über das rüde Zurückprügeln der Migranten durch Kroatiens Grenzpolizei. Mit der Unterbringung der gestrandeten Migranten zeigt sich die Stadt- und Kantonverwaltung in Bihac völlig überfordert: Die Zahl der im Freien und in Ruinen biwakierenden Flüchtlinge im Kanton wird nach Abfackeln des Lagers in Lipa mittlerweile auf über 3.000 Menschen geschätzt.
Wenn wir auf hohem Niveau klagen, dann sollen wir an diese hilflosen Menschen, die von einem Elend in ein noch grösseres geflüchtet sind und die sich von Gott und der Welt verlassen fühlen müssen. Wenn es keinen Gott gibt, so gibt es doch Mitmenschen, die helfen können. Und wenn wir dann 217 Asylanten bei uns aufnehmen, dann werden Stimmen laut, die fürchten diese Ärmsten der Armen könnten uns auf der Tasche liegen und unseren Wohlstand gefährden. Etwas mehr Wärme, etwas mehr Mitgefühl, etwas mehr Grosszügigkeit, etwas mehr Menschlichkeit, mehr ist nicht gefragt . Es gibt einfach keine billigen Ausreden.