Donnerstag23. Oktober 2025

Demaart De Maart

Nach Brexit-DealPremier Boris Johnson betont Großbritanniens Freiheit

Nach Brexit-Deal / Premier Boris Johnson betont Großbritanniens Freiheit
Der Weg für das von Premierminister Boris Johnson in Aussicht gestellte „Global Britain“ – was auch immer es sein mag – ist nun frei Foto: Paul Grover/Pool/AFP

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Mit Pathos und Wortspielen haben führende Vertreter der konservativen Regierung über die Feiertage den am Heiligabend vereinbarten Handelsvertrag mit der EU angepriesen.

Auf ein „besseres und gesünderes Verhältnis“ zur Europäischen Union freut sich der britische Premierminister Boris Johnson. Neue Handlungsfreiheit zur Angleichung der Lebensverhältnisse auf der Insel beschwört Kabinettsbürominister Michael Gove. Und Finanzminister Rishi Sunak erklärte den fünf Jahre währenden Streit zwischen Brexiteers und EU-Freunden (Leavers and Remainers) kurzerhand für beendet: „Im neuen Jahr gibt es nur noch Believers, die an Großbritannien glauben.“

Was machte den Kompromiss möglich? Ob nun als Teil einer ausgeklügelten Choreografie oder echtes Krisenzeichen – zu Beginn der vergangenen Woche verdeutlichte das persönliche Engagement von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Johnson eine neue Dringlichkeit. Beide Seiten standen unter erheblichem Zeitdruck: Zum Jahresende scheidet das Königreich aus der Übergangsfrist aus, die seit dem formellen EU-Austritt Ende Januar sämtliche Vorschriften und Kosten der Mitgliedschaft fortschrieb.

Wie chaotisch der von London vielfach beschworene „No Deal“ ausgefallen wäre, führte den Briten die Grenzschließung für jeglichen Güterverkehr durch Frankreich vor Augen. Offiziell wurde die Blockade in der Nacht zum Montag mit der neuen Mutation des Coronavirus begründet, die auf der Insel für einen rasanten Anstieg der Infektionszahlen verantwortlich ist. Ganz unlieb dürfte dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron aber nicht gewesen sein, dass die schlimmen Zustände in Dover und dem gesamten Südosten Englands als Menetekel zukünftiger Probleme wirkte.

EU-Fischer haben das Nachsehen

Bis zuletzt rangen die Delegationen der beiden Chefverhandler Michel Barnier und David Frost um die Quoten für europäische und britische Fischkutter in der Nordsee und dem Ärmelkanal, wo das Königreich große fischreiche Abschnitte als territoriale Gewässer beansprucht. Die Einigung sieht nun vor, dass die EU-Fischer schrittweise über fünfeinhalb Jahre ein Viertel des Wertes ihrer bisherigen Fänge aufgeben. Die Quote der Briten erhöht sich dadurch von bisher etwa der Hälfte auf zwei Drittel. Kompromisse über die beiden anderen zuletzt noch umstrittenen Themen – faire Konkurrenzbedingungen für Unternehmen, das sogenannte „Level Playing Field“ sowie das Verfahren zur Schlichtung zukünftiger Konflikte der Vertragsparteien – waren bereits vorher gefunden worden.

Wie kommentiert Premier Johnson die schließlich getroffene Vereinbarung? Natürlich spricht der Regierungschef und einstige Brexit-Vorkämpfer von einem großartigen Deal. Im Interview mit seinem früheren Arbeitgeber Telegraph, seit drei Jahrzehnten die publizistische Herzkammer aller Anti-EU-Trommler, verwendete er mehrfach das Bild der EU als einem Gefängnis; nach der Entlassung werde sein Land die „Freiheit“ erlangen und wieder „völlig souverän“ sein.

Am Heiligabend hatte sich der Abkömmling der französischen Adelsfamilie de Pfeffel, einer illegitimen Tochter des Prinzen Paul von Württemberg sowie eines 1922 ermordeten türkischen Dichters noch deutlich versöhnlicher positioniert. Er bekannte sich ausdrücklich zu Großbritanniens „kultureller, emotionaler, historischer, geologischer Nähe“ zum Kontinent. Das Abkommen biete beiden Seiten eine neue Gewissheit und Stabilität: „Wir bleiben Ihre Freunde, Ihr Partner und Ihr größter Absatzmarkt“, sagte er an die Brüsseler Verantwortlichen gewandt: „In Zukunft wollen wir noch mehr Geschäfte machen mit unseren europäischen Freunden.“

Was sagen Wirtschaftsvertreter und Handelsexperten? Ein „Seufzer der Erleichterung“ kam in vielen Pressemitteilungen vor, wobei der langjährige Geschäftsführer der deutsch-britischen Handelskammer, Ulrich Hoppe, hinzufügte: „Es bleibt aber ein Seufzer, denn der Handel über den Kanal wird so oder so schwieriger und teurer.“ Für Unternehmen komme der Deal viel zu spät, kritisierte Tony Danker der Confederation of British Industry, CBI: „Das hat für ein fesselndes Politdrama gesorgt, aber die britische Industrie bestraft.“

Andauernde Unsicherheit für City of London

Anton Spisak von dem nach Ex-Premier Tony Blair benannten Institut für globalen Wandel wunderte sich darüber, „wie dünn der Vertrag ist“. Damit war natürlich nicht der Umfang des Schriftwerks gemeint, sondern seine weitgehende Beschränkung auf Güter, obwohl die britische Volkswirtschaft zu mehr als 80 Prozent auf Dienstleistungen beruht. Vor allem das Finanzzentrum City of London muss mit andauernder Unsicherheit über die Frage rechnen, wie umfangreich der Zugang zum größten Binnenmarkt der Welt zukünftig ausfällt.

Kurz und bündig fasste der frühere Leiter des linksliberalen Thinktanks IPPR, Tom Kibasi, seine Einschätzung zusammen. Es sei diesmal so wie bei jeder anderen Handelsvereinbarung: „Der größere Partner setzt sich durch und der kleinere gibt nach.“ Detaillierte Analysen blieben Mangelware, weil der insgesamt 1.246 Seiten umfassende Vertragstext mitsamt seinen mehrere Hundert Seiten umfassenden Anhängen erst am Samstag veröffentlicht wurde.

Wie reagiert die Opposition? Der Labour-Vorsitzende Keir Starmer hat schon seit Wochen seine Zustimmung zu praktisch jeder Vereinbarung signalisiert, die der Premierminister aus Brüssel mitbringen würde. Den Briten sei das Risiko des chaotischen Ausscheidens („No Deal“) aus dem EU-Binnenmarkt nicht zu vermitteln, lautete die Argumentation des überzeugten Pro-Europäers, Labour dürfe deshalb keinesfalls den Vertrag ablehnen. Mit seiner Zustimmung will Starmer zudem ein Signal an all jene früheren Stammwähler senden, die vor Jahresfrist wegen Labours unklarer Brexit-Linie erstmals ihr Kreuz bei den Torys gemacht hatten. Umstritten bleibt innerparteilich nur noch, ob der Parteichef seine Fraktion auf die Zustimmung festlegt oder allenfalls auch eine Enthaltung erlaubt.

Die Liberaldemokraten sowie die Nationalisten in Schottland und Wales hingegen dürften das Vertragswerk auf der Sondersitzung des Unterhauses am Mittwoch ablehnen.

Chef-Brexiteer Nigel Farage würde zustimmen

Triumphieren die überzeugten Brexiteers? Die Brexit-Ultras in bei den Torys hatten in der Verhandlungsphase stets einen eigenen Verbindungsmann in die Regierungszentrale. Dementsprechend zuversichtlich zeigte sich Johnson, dass ihm von den Hinterbänken der Fraktion kein nennenswerter Widerstand droht.

Immerhin haben die Vorsitzenden der notorischen Lobbygruppe ERG pompös eine sogenannte „Star Chamber“ von Rechtsexperten einberufen. Diese sollen den Deal auf „europäische Tricks“ durchkämmen, wie der frühere Tory-Parteichef Iain Duncan Smith erläuterte. Der alberne Rückgriff auf das notorische Geheimgericht englischer Monarchen des 15. und 16. Jahrhunderts passt zur Rückwärtsgewandtheit führender Protagonisten wie William Cash, 80. Dass der eingefleischte EU-Hasser 2010 den Vorsitz des EU-Prüfausschusses im Unterhaus übernehmen durfte, war wie der Austritt der Torys aus der EVP-Fraktion in Brüssel ein damals weithin übersehenes Menetekel für die Entwicklung der Partei von konservativem Pragmatismus zu englischem Nationalismus.

Ex-Tory Nigel Farage war sich schon an Heiligabend sicher: „Der Krieg ist vorbei.“ Später sprach der Chef der rechtspopulistischen Brexit-Party und notorische Angstgegner der Konservativen zwar davon, er habe durchaus Detailbedenken. „Aber im Prinzip würde ich dem Deal zustimmen, wenn ich Parlamentsmitglied wäre.“ Dies hatte die Wählerschaft bei allen sieben Kandidaturen Farages zum Unterhaus verhindert. Farages enger Weggefährte Richard Tice kritisierte die enge EU-Anbindung der Insel beim Thema Staatshilfen für Unternehmen: „Wir müssen Wege finden, mit diesem Thema in der Zukunft umzugehen.“

Wie wird das zukünftige Verhältnis zur Europäischen Union aussehen? Geprägt von dauernden Konflikten und Verhandlungen, glauben führende Experten. Der neue Partnerschaftsrat hat 20 Ausschüsse, die mindestens einmal im Jahr tagen. Über das Nordirland-Protokoll soll das Belfaster Regionalparlament in vier Jahren abstimmen. Ändern sich dann die Rahmenbedingungen, steht das alte Problem der inneririschen Grenze wieder auf der Tagesordnung. Und spätestens 2026 kommt es erneut zum Showdown über die Fischerei.

Mit der Auswahl seiner Krawatte dürfte Boris Johnson vor allem gegenüber dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron eine klare Botschaft vermitteln. Etwa, dass französische Fischer nun doch nicht mehr so viele Fische in britischen Gewässern fischen dürfen wie bisher. Der meiste Fisch bleibt bei den Briten.
Mit der Auswahl seiner Krawatte dürfte Boris Johnson vor allem gegenüber dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron eine klare Botschaft vermitteln. Etwa, dass französische Fischer nun doch nicht mehr so viele Fische in britischen Gewässern fischen dürfen wie bisher. Der meiste Fisch bleibt bei den Briten. Foto: Paul Grover/Daily Telegraph pool/AP/dpa
HTK
29. Dezember 2020 - 9.28

Das Verhältnis zur Union war schon schlecht als die Briten noch Mitglied waren.Es kann also nur besser werden.Good luck auf eurer Insel. You are something special. Schade für all die Weitsichtigen und die Jugend.