Asselborn in der Hölle Libyens

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Von Dhiraj Sabharwal, Tripolis

Nicht eine, gleich zwei Regierungen, etliche Milizen, der IS im Süden des Landes, komplizierte Flucht- und Migrationsbewegungen, kein failed State, aber ein scheiternder Staat: Libyen gehört zu den komplexesten Ländern der Welt. Jean Asselborn hat gestern in Tripolis den politischen und (un)humanitären Puls Libyens gefühlt.

In Libyen existieren keine festen Punkte. Es braucht herzlich wenig, damit der Wüstenwind ein Abkommen in Wüstenstaub verwandelt. Entgegen allen Beteuerungen wächst das Chaos. Es gibt regelmäßig bewaffnete Zusammenstöße – Attentate und Raubüberfälle gehören zum Alltag. Dafür sind politische Lösungen Mangelware. Es gibt keine ernst zu nehmenden Initiativen, die das Land befrieden könnten. Selbst die Uno wirkt verzweifelt, weswegen man sich von der EU wenig bis gar nichts erwarten sollte, außer Hilfe für jene, die Europa die Migranten vom Hals halten sollen und die Grenzen sichern, bevor irgendjemand es überhaupt auf ein Gummiboot ins Mittelmeer schafft.

Viel Öl, Migranten abschrecken

In Libyen haben somit alle Konfliktparteien vor allem zwei Interessen: libysches Öl, von dem es immer noch sehr viel in die Hände zu bekommen gilt, und Migranten von den Küsten fernhalten, damit bloß nicht zu viel Aufmerksamkeit auf den unmenschlichen Umgang mit Flüchtlingen und Migranten gelenkt wird. Denn diese Menschen sind hier auf riskanten Routen inner- und außerhalb des Landes unterwegs. Sie meistern teilweise lebensgefährliche, ja lebensmüde Wüstendurchquerungen und sind sexuelle Gewalt sowie Ausbeutung jeglicher Form im schlimmsten Fall gewöhnt. Besonders ironisch: wer es nicht aushält und sich bei den Offiziellen meldet, wird bestraft. Libyen nimmt bis auf einige Ausnahmen keine Flüchtlinge an, sondern nennt sie alle „illegale Migranten“.

All dies passiert, bevor überhaupt irgendeiner dieser Menschen den nächsten lebensmüden Sprung ins Gummiboot schafft, der möglicherweise mit einem Sprung ins eigene Grab endet. In dem nordafrikanischen Staat herrscht seit dem Sturz von Langzeitdiktator und Europas Türsteher in Nordafrika, Muammar al-Gaddafi, seit 2011 Chaos. Die Menschenrechtslage könnte nicht dramatischer sein.

Demnach ist die Beurteilung eines solchen konfliktreichen Landes für Luxemburg umso komplexer. Denn das Großherzogtum unterstützt die Bestrebungen der Europäischen Union, Libyen zu stärken, doch viele der humanitären Probleme und Menschenrechtsverletzungen sind damit nicht aus der Welt geschafft. „Die Stabilisierung des Landes und das mögliche Stattfinden der Wahlen sind für die libysche Politik wichtiger als das Migrationsproblem. Sie ist eine enorme Belastung, daran besteht gar kein Zweifel“, betont Jean Asselborn gestern in Tripolis nach zahlreichen Gesprächen mit libyschen Politikern und im Zuge einer Visite des Internierungslagers Tarek Al Matar.

Die Wahlen 2018

„Ich glaube, dass es schwer sein wird, die Wahlen 2018 in Libyen abzuhalten. Sie haben sich sehr viel Mühe gegeben, damit die Wähler sich registrieren können. 2014 waren sie bei einem Viertel der Wähler, heute sind sie bei der Hälfte. Sie hoffen, dass sich noch mehr Wähler registrieren werden. Zum Vergleich: das rivalisierende Parlament in Tobruk hat Abgeordnete, die mit knapp 300 Stimmen gewählt wurden. Das ist selbst für luxemburgische Verhältnisse prekär.“ Genau an solchen Zahlen zeigt sich, wie absurd die Lage im Land ist.

Auch der externe Einfluss auf das Land spielt eine große Rolle. „Die Ägypter und die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen General Khalifa Haftars Regierung in Tobruk in Ost-Libyen, sind aber auch an den Geschehnissen in Tripolis interessiert. Die Regierung von Premierminister Fayiz as-Sarradsch in Tripolis wird wiederum vor allem von der Türkei unterstützt, die seit Jahren Investitionsprojekte in der Region fördert. Die Türken gehen in verschiedenen afrikanischen Staaten wie die Chinesen in anderen Regionen vor: sie bauen die gesamte Infrastruktur des Landes auf. Alleine in den letzten zehn Jahren haben sie beachtliche Projekte begonnen.“

Kein politischer Coup erwünscht

Die Europäer, allen voran die Italiener, würden aber nicht die Augen vor den Problemen in Libyen verschließen. Gerade diese Kritik wurde zuletzt immer öfters lauter. Die Russen hätten auch Verständnis für die Region. „Und wir sind uns alle darin einig, dass die neue Machtführung demokratisch gewählt sein muss und nicht per Staatsstreich an die Macht kommt. Das hat mir auch der libysche Außenminister Mohamed Taher Siala bestätigt. Ein Militärcoup würde die Situation in keiner Weise stabilisieren.“

Libyen gehöre nicht zu den Ländern, die die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 unterschrieben hätten. Und Libyen werde sie auch nicht unterschreiben. Die politische Wahrnehmung in Libyen sei folgende: „Ein Land wie ihres könne nicht einmal Leute akzeptieren, die aus Ländern wie dem Jemen, dem Irak oder Syrien fliehen. In ihrem eigenen Land sei der Islamische Staat (IS), die öffentliche Ordnung funktioniere nicht, momentan sei man ganz einfach nicht dazu in der Lage, Flüchtlinge aufzunehmen. Die Menschen werden weiterhin als illegale Migranten behandelt, nicht als Flüchtlinge. Das wird sich meiner Meinung nach in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht ändern“, schätzt Luxemburgs Außenminister. „Libyen lässt sich keine Mechanismen oder Lösungen vorschreiben, die ausschließlich im Rahmen der UNO stattfinden.“

Dennoch bleiben die unhaltbaren Zustände in den Internierungslagern. „Die Regierung in Tripolis hat erkannt, dass die Zustände in den Internierungslagern (auch: centre de détention) schlimm sind. Deswegen wurden durch internationalen Druck bereits mehrere geschlossen.“ Die Behörden wüssten zudem, dass einige Internierungslager nicht von humanitären Organisationen, sondern von Milizen beziehungsweise kriminellen Organisationen betrieben würden. „Auch deswegen ist gewusst, dass diese Lager der Vergangenheit angehören müssen.“

Vorwürfe: Gewalt und Missbrauch

Spricht man Asselborn darauf an, was seine Gesprächspartner mit Blick auf die Vorwürfe rund um die Inhaftierungslager sagen, kann er sich nur auf ihr Wort verlassen. „Ich habe bei meiner Visite mehrere Male die Frage gestellt, ob es keine Brutalität in den Internierungslagern gibt, die von der Regierung kontrolliert werden. Die Antwort war: Nein. Es sind allerdings sehr viele Menschen auf kleinstem Raum. Allein dies ist unmenschlich.“ Asselborn ist sich jedoch der allgemeinen Problematik bewusst. Denn ob anerkannt oder nicht: in Libyen gibt es fast 45.000 bei der UNHCR registrierte Flüchtlinge. Von bis zu 700.000 Menschen, die ohne Visum in Libyen leben, ist zudem die Rede. „Sie arbeiten vielleicht dort oder haben ihre Arbeit im Zuge des Sturzes von Gaddafi verloren.“ Mittlerweile werden viele Menschen auch wieder in ihre Heimat zurückgeflogen.

Etwa 13.000 Afrikaner sind seit Dezember aus Libyen in ihre Heimat zurückgebracht worden. Deutlich weniger als geplant. Sie waren dort zum Teil auf ihrer Flucht Richtung Europa hängen geblieben oder wurden in ihrem neuen Leben ausgebeutet. Hunderttausende warten noch oder wollen ganz einfach nicht zurück. „Verschiedene waren in Inhaftierungslagern, andere haben in der Stadt gelebt und sich bei den Autoritäten gemeldet, dass sie wieder nach Hause zurückkehren wollen. Diese Zahl kann man nicht kontrollieren.“


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Misshandelt, diskriminiert, gescheitert – Ein Interview mit einem Flüchtling in Libyen

 

GuyT
8. Februar 2018 - 11.44

Wer hat dieses Chaos den massgeblich ausgelöst? Gestern haben die USA syrische Regierungstruoppen bombardiert als diese versuchten Oelfedern den Terroristen abzunehmen. Wieder ein Verstoss der USA Verstoss gegen das Völkerrecht. wenn es die Kräfte der legitimen, von der UNO anerkannten syrischen Regierung daran zu hindern, von Terroristen bestztes Territorium zurück zu erobern und wieder unter die Kontrolle der Regierung zu bringen.

Een den keng Tomaten op den Aen huet!
7. Februar 2018 - 8.56

Nicht zu vergessen dass Asselborn auch öffentlich den Regimechange in Lybien gefordert hat. Jetzt war er nach Lybien um sich dessen Auswirkungen „sur place“ anzusehen! Bravo Herr Asselborn, wo soll die Von USA angeführte Koalition nächstens bomben?

Peter Mutschke
6. Februar 2018 - 12.13

Vor allem der Kolonialismus .Erst die Folgen einer engstirnigen kurzsichtigen Kolonialpolitik hat Zustände generiert die es einem Oberst Gadhaffi erlaubten die Macht zu ergreifen und einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung hinter sich zu vereinen.Ähnlich verhält es sich im Kongo und zahlreichen anderen Ländern Afrikas.

Heng
6. Februar 2018 - 9.30

Diese Hölle bestünde nicht in jener besonders grausamen Form, hätte es keine NATO-Bombardements gegeben. Der Imperialismus ist nun mal eine Wurzel des Übels.