Tageblatt: Nora Back, Patrick Dury, wurde am 3. September die Tripartite begraben, hat der Sozialdialog „eng Téitsch“ erlitten?
Nora Back: Mehr als „eng Téitsch“, würde ich sagen. Was jetzt passiert ist, haben wir in der Form noch nicht erlebt, weil es das Luxemburger Modell doch irgendwie zu Ende führt. Auf jeden Fall ist es ein krasser Paradigmenwechsel. Es war nicht so, dass es unmöglich gewesen wäre, eine Vereinbarung zu finden. Es war auch nicht so, dass wir es bis zum Ende versucht hätten und nichts daraus geworden ist. Nein, die Regierung hat einseitig die Versammlung frühzeitig abgebrochen und ihre Entscheidung getroffen. Premier Luc Frieden (CSV) hatte ja schon im Vorfeld öffentlich verkündet, dass ein Abkommen nicht nötig sei. UEL-Präsident Michel Reckinger hatte sich das auch gewünscht. In unseren Augen war es ein abgekartetes Spiel – aus welchen Gründen auch immer. Doch dann muss man wissen, dass wir uns nicht mehr in der gewohnten Schiene bewegen. Und man mit anderen Reaktionen rechnen muss.
Patrick Dury: Man kann zurückbehalten, dass die Regierung ihre Schlussfolgerungen nicht wegen der drei Verhandlungsrunden gezogen hat. Sie hat es ausschließlich aus zwei Gründen getan: Erstens, weil OGBL und LCGB eine gemeinsame Gewerkschaftsunion gegründet haben. Und zweitens, wegen des Erfolgs unserer nationalen Demonstration. Diese beiden Elemente haben die Regierungsarbeit in dem Sinn beeinflusst, dass wir am Donnerstagmorgen nicht auf einmal in einem anderen Land aufgewacht sind. Ohne sie wären die Schlussfolgerungen der Regierung ganz anders ausgefallen. Es ist zum ersten Mal, dass ein Resultat aus einer solchen Sitzung nicht auf dem Verhandlungsweg, sondern durch Mobilisierung zustande gekommen ist. Das ist eine Neuheit in Luxemburg.
Die UEL ist äußerst frustriert, weil ihr Versprechen gemacht wurden, die sie wegen unserer Mobilisierung jetzt nicht bekommt
Sie sagten nach der Sitzung, weniger mit dem Inhalt als mit der Form unzufrieden zu sein. Tatsächlich hatte der Premier von Anfang an gesagt, er wolle keine „klassische“ Tripartite, weil Luxemburg sich seiner Ansicht nach nicht in einer Krise befinde. Ganz überraschend kam es demnach nicht, dass kein Abkommen unterzeichnet wurde.
N.B.: Doch, wir haben in den Monaten davor gefordert, dass eine Tripartite zusammenkommen soll. Andere Akteure haben uns darin bestätigt, dass Luxemburg sich in einer Krise befindet. Wir riskieren immer weiter in eine soziale Krise zu geraten. Wir haben eine politische Krise, so viel steht fest. Das Patronat sagt, wir seien in einer wirtschaftlichen Krise. Niemand kann behaupten, die Zeiten seien rosig. Deshalb war das Kriseninstrument Tripartite für uns der Weg, den wir beschreiten mussten, der dem Land in den letzten 50 Jahren viel gebracht hat. Wir waren fest davon überzeugt, dass die Gespräche in diesem Rahmen ablaufen sollten. Dass Luc Frieden nicht von Tripartite reden wollte, war für uns kein Grund, keine Vereinbarung zu unterzeichnen. Schließlich kamen wir ja zu dritt zusammen, um gemeinsam zu verhandeln und ein Resultat zu finden. Nicht nur, um einander zuzuhören und am Ende macht die Regierung, was sie für richtig hält.
P.D.: Eine Tripartite-Vereinbarung ist immer ein Kompromiss, den auch die Gewerkschaften mittragen müssen. Bei der letzten Tripartite (am 28. September 2022; Anm.d.Red.) wurde der Energiepreisdeckel beschlossen, der nicht sozial selektiv war, weil es auch darum ging, die Inflation zu bremsen. Damals wurde uns vorgeworfen, diesen Deckel zu unterstützen, der jedem zugutekam, unabhängig von seinem Einkommen. Es war klar, dass wir in ein Resultat eingebunden waren. Das ist diesmal nicht mehr der Fall. Das ist die erste Sache. Die zweite ist die der Glaubwürdigkeit: Werden die Beschlüsse, die die Regierung getroffen hat, tatsächlich auch so umgesetzt? Drittens haben wir im Vorfeld eine Tripartite gefordert, weil die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Privatsektor angegriffen wurden. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass manche Branchen sich in einer Krise befinden, die Wirtschaft insgesamt langsamer dreht. Es ist Aufgabe der Tripartite, sich solcher Probleme anzunehmen. Das wollte der Regierungschef nicht. Und er ist es, der in dieser Regierung angetreten ist, um der Wirtschaft wieder neuen Schwung zu verleihen. Im „état de la nation“ hat er die Krise im Bausektor für beendet erklärt, doch ich höre, dass das Patronat das heute anders sieht. Schließlich war die Stimmung in diesen Dreiergesprächen nicht gut: Die UEL ist äußerst frustriert, weil ihr Versprechen gemacht wurden, die sie wegen unserer Mobilisierung jetzt nicht bekommt. Umso wichtiger wäre ein Abkommen gewesen, das alles wieder in geregelte Bahnen bringt.
N.B.: Wir haben nicht verstanden, wieso die Regierung es nicht wenigstens darauf angelegt hat, zu dritt einen Kompromiss zu finden. Es hätte ihr die Sicherheit gegeben, dass wir alle zu den Vereinbarungen stehen und sie auch politisch verteidigen.
UEL-Präsident Michel Reckinger wollte vergangene Woche vielleicht etwas provozieren, als er sinngemäß meinte, in Luxemburg und Europa gebe es wichtigere Dinge zu besprechen als die Öffnungszeiten von „Braderien“. Sie haben es ebenfalls angesprochen: Die Wirtschaft dreht langsamer, es fehlt an Fachkräften, es werden immer weniger neue Arbeitsplätze geschaffen. Wäre es nicht an der Zeit, diese Probleme in einer Tripartite anzugehen?
P.D.: Über „Braderien“ wurde eigentlich nur sehr kurz diskutiert, wir waren uns sofort einig, dass jede Gemeinde, jeder Geschäftsverband seine „Braderie“ abhalten kann, das wurde etwas falsch dargestellt. Wesentlich ist aber, dass die Diskussionen um die Ladenöffnungszeiten und die Sonntagsarbeit unser Core-Business betreffen – es geht um Arbeitsbedingungen. Wir sind keinesfalls gegen die Flexibilisierung von Öffnungszeiten, doch im Gegenzug müssen die Arbeitsbedingungen der Menschen in Kollektivverträgen geregelt werden. Dann ist es an uns, mit dem Arbeitgeber eine Vereinbarung zu finden, wie wir die flexiblen Öffnungszeiten so übersetzen können, dass die Arbeitsbedingungen menschlich bleiben und der Alltag der Beschäftigten lebenswert bleibt.
N.B.: Die Aussage zu den „Braderien“ ist eigentlich eine Verunglimpfung der 50.000 Menschen, deren Arbeitsbedingungen jetzt massiv verschlechtert werden sollen. Die Öffnungszeiten sind kein unwichtiges Thema, von ihnen hängen Existenzen ab: Es sind vor allem Frauen, Alleinerziehende und viele Grenzgänger, die ihr ganzes Leben umkrempeln müssen, weil sie bis in die Nacht hinein arbeiten müssen. Natürlich müssen wir über den makroökonomischen Kontext diskutieren, auch dafür brauchen wir Tripartiten, doch wir sind überzeugt, dass das mit dieser Regierung nicht mehr passieren wird.
P.D.: Gerade wegen der makroökonomischen Situation wäre es wichtig, für sozialen Frieden zu sorgen, das Land stabil zu halten, statt es zu destabilisieren, indem man das Sozialmodell über Bord wirft. Doch genau das haben die Regierung und der Premierminister letzte Woche getan.
Wir stellen uns darauf ein, dass es in den nächsten Monaten und Jahren viele Spannungsfelder und viel Konfliktpotenzial mit der Regierung geben wird
Für die Regierung sind die Rentenreform und die Öffnungszeiten vorerst abgehakt, auch das Patronat hätte gerne „Rou“. Kann man jetzt wieder zur Tagesordnung übergehen?
N.B.: Das Resultat liegt jetzt auf dem Tisch und der Premier hat uns mitgeteilt, dass daran nichts mehr zu ändern ist. Für uns bedeutet das, dass wir in eine andere Zeitrechnung hineinkommen und unsere Arbeitsweise sich ändern wird. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir morgen vielleicht nicht für die Renten auf die Straße gehen, doch es kommt eine Steuerreform auf uns zu, die CNS hat große Probleme, der Arbeitsminister hat noch immer die Mindestlohnrichtlinie vorliegen, die er umsetzen muss, das Delegationsgesetz soll überarbeitet werden. Wir stellen uns darauf ein, dass es in den nächsten Monaten und Jahren viele Spannungsfelder und viel Konfliktpotenzial mit der Regierung geben wird – ohne Schwarzmalerei zu betreiben.
P.D.: Wir haben es mit einem Paradigmenwechsel zu tun. Der Regierungschef hat es selbst gesagt: Sie wollen das Prinzip von „consulter“ und „décider“ anwenden, Verhandlungen sind gar nicht mehr vorgesehen. Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir vorgehen. Mir hat zu denken gegeben, dass etliche Mehrheitsabgeordnete vergangene Woche meinten, es sei gut, dass der Sozialdialog da sei. Für uns ist das kein Sozialdialog. Wir müssen unsere Arbeitsweise anpassen, wie genau, das müssen wir noch prüfen. Doch heute schon kann man sagen, dass wir noch viel stärker auf die Kammerfraktionen zugehen müssen, die zusammen mit der Regierung das Heft jetzt vollständig in der Hand haben. Dann müssen sie den Leuten auch erklären, was sie vorhaben. Bei der „Schwätz mat“-Kampagne zur Rentenreform wurde quasi jeder um seine Meinung gefragt. Die einzige Meinung, die wir nicht kannten, war die der Regierung. Die haben wir erst im „état de la nation“ erfahren und sie hatte nicht viel damit zu tun, was die Menschen in der Kampagne vorgeschlagen haben. Deshalb müssen die Abgeordneten jetzt in allen Themenbereichen Farbe bekennen. OGBL und LCGB werden das zusammen tun, wir werden auch die Wahlprogramme analysieren und vor den Wahlen eine Bilanz zur Arbeit der Fraktionen und der Parteien insgesamt vorlegen. Das sind wir unseren Mitgliedern schuldig.
Wie geht es denn jetzt konkret weiter? Die Arbeitszeitorganisation soll im CPTE verhandelt werden, am 13. Oktober ist die Gesundheits-Quadripartite, sie sitzen mit Regierung und Patronat im Verwaltungsrat der Krankenkasse, der Sozialversicherung, der Rentenkasse und im Wirtschafts- und Sozialrat. Werden Sie am Sozialdialog festhalten oder diese Gremien boykottieren?
N.B.: Wir haben die Botschaft der Regierung verstanden, dass dies der Weg ist, den sie beschreiten will: Sie ruft uns, hört uns zu und macht dann, was sie will. Wir fühlen uns vorgeführt, das werden wir nicht mitmachen. Der Sozialdialog wird nicht mehr ablaufen wie bisher. Konkretes werden wir am Donnerstag auf einer Pressekonferenz bekannt geben, nachdem wir uns mit unseren Gremien beraten haben.
P.D: Einfach so zur Tagesordnung überzugehen, ist unmöglich. Trotz des ganzen Durcheinanders in den letzten Monaten wurden in den Betrieben noch Kollektivverträge abgeschlossen. Es ist ja fast schon lustig, wenn wir in Dreiergesprächen hören, dass ihre Inhalte angeblich Probleme bereiten, während wir diesen Problemen in unserer täglichen Arbeit nicht begegnen. Ich befürchte nur, dass die „exécrable“ Stimmung zwischen den Sozialpartnern, an der die Regierung eine gewaltige Mitschuld trägt, sich auf die Kollektivvertragsverhandlungen in den Betrieben niederschlägt. Wenn das passiert, bekommen wir hier im Land in eine ganz andere Situation. Wir haben erlebt, dass die Chefs großer Betriebe auf einmal Parteipolitik machen wollten, indem sie Veröffentlichungen der größten Regierungspartei auf Portugiesisch übersetzen und verteilen ließen, um ihren Leuten davon abzuraten, an der Demonstration vom 28. Juni teilzunehmen. Das hat es in diesem Land noch nie gegeben. Ich mache mir extrem große Sorgen, doch wir haben diese Situation nicht geschaffen. Die „Union des syndicats“ aus OGBL und LCGB hat sich immer für das Sozialmodell eingesetzt. Das ist heute nicht mehr gewollt. So lautet die bittere Schlussfolgerung aus dem, was letzte Woche passiert ist.
N.B.: Die Beziehung zwischen den Sozialpartnern ist vergiftet. Man merkt, dass das Patronat eine antigewerkschaftliche Haltung eingenommen hat. Diese Haltung wurde gefördert von einer Regierung, die ihm sehr viel versprochen hat. Es sieht nicht so aus, als ob wir uns in den Betrieben gut verstehen werden.
Wir suchen den Konflikt nicht, doch wenn jemand uns sucht, wird er uns finden
Michel Reckinger hat am Donnerstag im RTL Radio Befürchtungen geäußert, dass die Bereitschaft des Patronats, Kollektivverträge abzuschließen, künftig sinken könnte, wenn deren Inhalte nicht abgeschwächt werden. Die Gewerkschaften würden damit quasi auf die Straße gedrängt. Sind Sie für ein solches Szenario gut genug aufgestellt?
P.D.: Es wäre eine Kriegserklärung an die Gewerkschaften, wenn bestehende Kollektivverträge in Frage gestellt würden. Die Antwort darauf ist unsere „Union des syndicats“, die OGBL und LCGB eingegangen sind. Wenn es nötig werden sollte, sind wir gut aufgestellt. Wir suchen den Konflikt nicht, doch wenn jemand uns sucht, wird er uns finden.
N.B.: Eigentlich ist es eine Frechheit, so etwas zu sagen. Wir haben ja kein anderes Kollektivvertragsgesetz – es wurde weder verschlechtert noch verbessert. Wir sind gut aufgestellt, das haben wir in der Vergangenheit oft genug unter Beweis gestellt, und wir stellen uns nun darauf ein, dass wir uns unter einer anderen Form zeigen müssen: öfter, lauter, wie wir es vielleicht aus anderen Ländern kennen. Es ist nicht der Weg, den wir gehen wollten.
Wir brauchen jetzt einen längeren Atem, es wird immer wieder zu Auseinandersetzungen kommen
Am 1. Mai hatten sowohl LCGB als auch OGBL mit einem Generalstreik gedroht. Ist das in der aktuellen Situation noch sinnvoll?
N.B.: Wir werden reagieren, aber wir werden nicht morgen wieder 25.000 Menschen auf die Straße rufen, gegen das, was jetzt auf dem Tisch liegt. Wir brauchen jetzt einen längeren Atem, es wird immer wieder zu Auseinandersetzungen kommen. In der CNS spitzt sich die Lage gerade zu, danach kommen andere Themen. Ich denke, wir werden häufiger und spontaner vielleicht kleinere Aktionen durchführen und andere gewerkschaftliche Aktionsformen anwenden. Großdemonstrationen sind natürlich nicht auszuschließen, doch der Generalstreik wird morgen nicht stattfinden. Wir haben heute eine andere Situation als vor dem 28. Juni – dank des 28. Juni.
P.D.: Die Regierungspolitik wurde stark beeinflusst von dem, was am 28. Juni passiert ist – von der gemeinsamen Demonstration, der gemeinsamen Arbeit, die wir leisten. Das ist einerseits ein großer Erfolg, andererseits aber auch ein Problem. Denn wenn wir über den Dialog nichts mehr erreichen, müssen wir einen anderen Weg beschreiten. Wir wollten das nicht, aber ich möchte ganz klar sagen, dass die „Union des syndicats OGBL et LCGB“ alles tun wird, um die Interessen der Leute zu verteidigen. Das wird damit beginnen, dass wir viel stärker über die sozialen Medien mit den Menschen in Kontakt treten werden, um ihnen die Regierungspolitik zu erklären. Die Regierung hat am 3. September keinen Mittelweg gefunden, sondern ist formidabel zurückgerudert, nachdem sie in Luxemburg Patronatspolitik umsetzen wollte.

De Maart

komm mir boykotteieren alleguer Reckinger Firma !!!
Wenn die Regierung den sozialen Krieg will, dann soll sie ihn bekommen.
Von der CSV bin ich negativ überrascht. Von Seiten Junkers, Santer und Werner gab es eine solche Politik nicht.
Von der Patronatspartei DP ist eine solche Politik zu erwarten. Für diese Partei zählt Kapital, nicht die Arbeit und schon gar nicht die arbeitenden Menschen.
Es kommen schwere Zeiten auf die Arteitnehmervertreter zu unter der Herrschaft des CEOs Frieden, also müssen sich alle fortschrittlichen Kräfte jetzt zusammenarbeiten, um dem entgegenzuwirken....