Donnerstag23. Oktober 2025

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RadsportDas Radrennen stiehlt Amélie Poulain im Künstlerviertel die Show: Montmartre erwartet die Tour

Radsport / Das Radrennen stiehlt Amélie Poulain im Künstlerviertel die Show: Montmartre erwartet die Tour
Beim olympischen Straßenrennen herrschte in Montmartre bereits Ausnahmezustand Foto: Tim De Waele/AFP

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Gelbe Trikots und weiße Mützen mit roten Punkten tauchen zwischen den Miniatur-Eiffeltürmen in den Souvenirläden von Montmartre auf, wo die Spannung vor dem Tour-de-France-Finale steigt – ein Jahr nach dem Volksfest bei Olympia. 

Unter dem fahlen Licht der Neonröhren, die den Zinktresen einrahmen, thront ein signiertes Poster von „Die fabelhafte Welt der Amélie“ in einer Ecke des Café des Deux Moulins – der pittoresken Filmkulisse aus Jean-Pierre Jeunets Kultfilm.

Seit einigen Tagen sprechen die Gäste auf den rot bezogenen Kunstlederbänken immer häufiger über die Tour, deren Peloton am Sonntag direkt vor dem Café die untere rue Lepic entlangfährt. „Alle freuen sich darauf! Klar, die Touristen kommen wegen Amélie, aber sie fragen uns alle, wie das ablaufen wird, wie die Organisation ist …“, erzählt Kellner Maxime Robillot.

Letzten Sommer, mitten im olympischen Straßenrennen der Männer, musste der deutsche Fahrer Nils Politt plötzlich dringend – und machte kurzerhand Halt auf der Toilette des Bistros. Eine der amüsanten Szenen eines unvergesslichen Festes, das die Organisatoren der „Grande Boucle“ wieder aufleben lassen wollen – mit drei Anstiegen auf den Montmartre-Hügel bei der letzten Etappe, bevor es wie gewohnt auf die Champs-Elysées geht. „Bei dem ganzen Hype um die Tour de France wird das genauso werden wie bei den Olympischen Spielen“, prognostiziert Robillot unter seinem makellos weißen Pariser Kellnerhemd.

„Moulin-Rouge-Mädchen“ 

Die schmale Kopfsteinpflasterstraße, die sich zur berühmten place du Tertre mit ihren Malern und Touristenfallen windet, ist noch nicht mit Anfeuerungsbotschaften übersät wie die Pässe in den Pyrenäen oder Alpen. Einzig Halteverbotsschilder deuten bislang darauf hin, dass am Sonntagabend Hunderttausende in den 18. Pariser Bezirk strömen werden – eine Premiere in der Geschichte der Tour. „Man muss früh da sein, wenn man etwas sehen will. Wir werden mit Bier warten“, meint Julien Lemaître, der täglich den Montmartre hinaufklettert – „aber mit dem E-Bike!“

Am Fuß der Sacré-Cœur-Basilika, von wo aus man über ganz Paris blickt, erzählt der spanische Radsportfan Javier Lopez, dass er seinen Familienurlaub mit der 21. und letzten Etappe abgestimmt habe. „Ich habe das olympische Rennen im Fernsehen gesehen und bekam richtig Lust darauf“, berichtet der 46-jährige Madrilene. „Die Stimmung sah verrückt aus – überall Leute, die Mädchen vom Moulin Rouge …“

Ein neuer „Fluch“

Anne Renaudie sieht diese „neue Werbung“ für das Viertel deutlich kritischer – viele Anwohner fühlen sich ohnehin schon vom Touristenansturm erdrückt. „Es wird wieder ein schönes Sportereignis. Und die Fernsehbilder werden sicher fantastisch. Aber wer zahlt am Ende die Zeche?“, fragt die Vorsitzende des Vereins „Vivre à Montmartre“ besorgt. „Unter uns sagen wir, Montmartre hat zwei Flüche: Amélie Poulain und Emily in Paris (eine Netflix-Serie über das Pariser Leben einer Amerikanerin)“, fügt sie hinzu. „Jetzt kommt noch ein dritter dazu: das Fahrrad.“

Seit Monaten werden die Bewohner der rue Lepic von Fernsehteams und Fotografen angesprochen, die die besten Plätze suchen, um das weltweit in 190 Ländern übertragene Rennen festzuhalten. Nahe der Kuppe hängt ein Banner an einem Balkon, das gegen ein geplantes Fußgängerzonen-Projekt der Stadt protestiert: „Schützt Montmartre vor Zwangsarbeiten!“

Viele Fahrer im Peloton, nach drei Wochen Wettkampf ohnehin erschöpft, hätten auf diese „Zwangsarbeit“ in Montmartre wohl ebenfalls gern verzichtet. (AFP)