Menschen mit Behinderungen sollen in Luxemburg ein gleichberechtigtes Leben führen können – doch der Weg zu echter Inklusion ist noch lang. Zwar hat das Großherzogtum bereits 2007 die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet und 2011 ratifiziert, aber die Umsetzung verläuft schleppend. Der erste Aktionsplan von 2012 wurde vom UN-Fachausschuss und einem Schattenbericht betroffener Organisationen stark kritisiert. 2019 wurde ein überarbeiteter „Aktionsplan 2.0“ vorgestellt, mit 97 Maßnahmen in acht Bereichen bis 2024. Eine Zwischenbilanz durch die Beratungsfirma KPMG zeigte Ende 2022, dass nur 27 Maßnahmen als abgeschlossen galten – also 47 Prozent des Halbzeitziels –, während 30 noch nicht umgesetzt waren. Viele der Projekte waren in Verzögerung geraten, teilweise wurde dies auf die Corona-Pandemie zurückgeführt.
Am Dienstag präsentierten Familienminister Max Hahn und KPMG die endgültige Bilanz des Aktionsplans: Demnach sind inzwischen 56 Maßnahmen von insgesamt 97 abgeschlossen, 36 befinden sich in der Umsetzung. „Dies bedeutet, dass uns die zuständigen Ministerien mitgeteilt haben, dass konkrete Schritte zur Umsetzung der Maßnahme unternommen wurden“, erklärte Manou Goergen von KMPG. Fünf Maßnahmen gelten als noch nicht begonnen. Trotz einiger Verspätungen zeigt die aktuelle Auswertung damit einen deutlichen Fortschritt gegenüber der Zwischenbewertung. In drei Themenbereichen – Sensibilisierung, Bildung und Beteiligung am öffentlichen und politischen Leben – seien alle Maßnahmen umgesetzt worden.
Nachbesserungsbedarf
Aus der Bewertung sticht heraus, dass vor allem der Bereich „Anerkennung der Rechtsfähigkeit unter gleichen Bedingungen“ hinterherhinkt. Hier wurden nur zwei angestrebte Ziele erreicht, 14 weitere begonnen. Das liegt daran, dass es hier um zwei Gesetzesprojekte geht. Zum einen um die außergerichtliche Schutzmaßnahme durch die Einführung eines „Mandats für zukünftige Vorsorge“ (Gesetzesprojekt Nr. 8133, eingereicht im Januar 2023), zum anderen um die gerichtliche Schutzreform, die eine vollständige Überarbeitung des Vormundschaftsrechts beinhaltet. Eine Reform der „Tutelle“ und „Curatelle“ ist eine langjährige Forderung der Betroffenenorganisationen, die immer wieder von den zuständigen Regierungen versprochen wurde.
Im Bereich „Gesundheit“ haben sich die Verzögerungen, die sich durch die Pandemie eingeschlichen hatten, ebenfalls in die Abschlussbilanz durchgeschlagen. Hier sind auch vier von fünf nicht begonnenen Maßnahmen verortet. KPMG empfiehlt in ihrer Bilanz unter anderem die Verbesserung der Patientenbetreuung in Krankenhäusern, eine stärkere Koordination zwischen medizinischen Einrichtungen, gezielte Schulungen für Gesundheitspersonal mit Fokus auf Inklusion sowie der Ausbau barrierefreier Informationen in mehreren Sprachen. Auch der barrierefreie Zugang zum „Dossier de soins partagé“ (DSP) soll optimiert werden. Zudem könne das Verzeichnis von Gesundheitsdienstleistern auf Santé.lu verbessert werden. Es fehlen darin wichtige Informationen zur Barrierefreiheit der Einrichtungen sowie zur Versorgung von Menschen mit Behinderungen.
Im Bereich „Eigenständiges Leben“ sind rund die Hälfte der Maßnahmen umgesetzt worden (57 Prozent). KMPG stellt im Bericht fest, dass sich der teure Wohnungsmarkt negativ auf Menschen mit Behinderung auswirkt, besonders da sie zusätzlich mit Diskriminierung durch Vermieter konfrontiert sein können. Das geplante persönliche Budget und der persönliche Assistent – zwei weitere langjährige Forderungen von Betroffenen – sind ebenfalls noch in Arbeit. Des Weiteren fühlen sich Personen mit kognitiven Einschränkungen oft nicht frei in ihrer Meinungsäußerung, wenn Begleitpersonen aus Institutionen stammen, was Fragen zum Datenschutz und zur Selbstbestimmung aufwirft. Auch hier gibt es also Nachbesserungsbedarf.
Beim Thema „Arbeit“ hebt KPMG hervor, dass Initiativen wie der DUOday, der Begegnungen zwischen Unternehmen und Menschen mit Behinderung schafft, künftig sichtbarer gestaltet werden sollen. Außerdem sei die angestrebte Einführung eines Daten-Dashboards noch nicht abgeschlossen. Dies ist Bestandteil einer Kritik, der immer wieder im Bericht vorkommt und in Luxemburg eine „unendliche Geschichte“ ist: Es fehlt an verlässlichen Daten. Zwar sei mit der Volkszählung 2021 und einer 2024 veröffentlichten Auswertung der Zahlen durch Statec ein erster Schritt getan worden, doch man sei noch weit entfernt von einer nationalen Datenbank zur Situation von Menschen mit einer Behinderung in Luxemburg.
Ich sehe eine große Dynamik. Viele Menschen fordern konkrete Veränderungen. Es gibt sicherlich Sachen, die sind einfacher umzusetzen als andere, aber dafür haben die Menschen auch Verständnis.
Ein dritter Aktionsplan soll kommen
Darauf angesprochen, dass komplexere Forderungen und Dossiers, die laut dem Aktionsplan angegangen werden sollten und eben schon seit Jahren gefordert werden, derzeit nur als „en cours“ gelten, erwiderte Familienminister Max Hahn: „Ich sehe eine große Dynamik. Viele Menschen fordern konkrete Veränderungen. Es gibt sicherlich Sachen, die sind einfacher umzusetzen als andere, aber dafür haben die Menschen auch Verständnis.“ Er sehe auf jeden Fall die Notwendigkeit eines dritten Aktionsplans. Dieser soll in diesem Jahr ausgearbeitet werden und wahrscheinlich 2026 vorgestellt werden. KMPG empfiehlt für kommende Aktionspläne, gleich zu Beginn eine Leitungsgruppe einzuberufen, die die Umsetzung überwachen soll, und die im Plan festgesetzten Ziele in einer einheitlichen, messbaren Weise zu formulieren. Man darf gespannt sein, wie die UNO die Fortschritte Luxemburgs im Bereich Behindertenrecht evaluiert, da die Einhaltung der Konvention in regelmäßigen Abständen überprüft wird. In den kommenden Wochen ist auch wieder mit einem Schattenbericht der Betroffenenorganisationen zu rechnen.
Christine Zimmer, Direktorin von Info-Handicap, zeigte sich nach der Pressekonferenz gegenüber dem Tageblatt zufrieden mit dem aktuellen Stand: Seit der Zwischenbilanz 2022 sei man deutlich besser in die Überwachung der Umsetzung des Aktionsplans eingebunden. „Ich kann die angesprochene Dynamik nur bestätigen, wir stoßen bei allen betroffenen Stellen auf offene Türen“, betonte sie. Viele Verantwortliche hätten inzwischen verstanden, dass echte Teilhabe nur nach dem Prinzip „Nothing about us, without us“ – also „Nichts über uns, ohne uns“ – möglich ist. Zwar sei man noch nicht am Ziel, insbesondere Reformen wie jene der „Tutelle“ seien langwierig und komplex. „So sehr ich mir manchmal wünsche, ich könnte mit dem Zauberstab alle Probleme lösen – es geht eben nicht schneller.“ Insgesamt zieht Zimmer jedoch eine positive Bilanz.
Trotz aller Fortschritte sei ein dritter Aktionsplan notwendig, sagt sie. Denn die Bedürfnisse der Betroffenen entwickeln sich weiter – und damit müsse sich auch die politische und gesetzliche Umsetzung ständig anpassen.
De Maart

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