Donnerstag30. Oktober 2025

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Desinformation und hybride OperationenWie soll die Demokratie in der EU gegen russische Attacken geschützt werden?

Desinformation und hybride Operationen / Wie soll die Demokratie in der EU gegen russische Attacken geschützt werden?
Nina Jankowicz, Omri Preiss (M.) und Samam Nazari während der Anhörung im EU-Parlament in Brüssel  Foto: Alain Rolland/European Union 2025/EP

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Hybride Attacken und Bedrohungen aus Russland werden in den EU-Staaten zunehmend als eine Bedrohung für die Demokratie wahrgenommen. Während einer Anhörung im Europäischen Parlament (EP) forderten Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und Journalisten ein entschlosseneres Vorgehen gegen diese Aktivitäten.

Die Demokratie und ihre Strukturen in der EU werden zunehmend durch Einflüsse und gezielte Aktivitäten aus Drittstaaten unterminiert. Hauptsächlich bei Wahlen, aber auch zu bestimmten politischen Themen sind vor allem in sozialen Medien Falschdarstellungen und andere Formen irreführender Informationen zu finden – die jedoch allzu oft vom Publikum nicht als solche erkannt werden. Da diese Umtriebe sich zu einer Gefahr für die Demokratie in den EU-Staaten ausweiten, sucht die EU-Kommission mit ihrer Initiative „European Democracy Shield“ nach Mitteln und Wegen, dem entgegenzuwirken. Im EP wurde ein entsprechender Sonderausschuss einberufen, der diese Initiative parlamentarisch begleitet.

Zu ihrer Anhörung hatten die EP-Abgeordneten des Sonderausschusses unter anderem Nina Jankowicz, Direktorin des „American Sunlight Project“, eingeladen, einer Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Bevölkerung über Falschinformationen zu informieren und dahinterstehende Netzwerke aufzudecken. Sie wies auf die Komplizität hin, die zwischen autokratischen Staats- und Regierungschefs und Besitzern von Internetplattformen wie etwa Elon Musk besteht. Nina Jankowicz meinte, dass die Trump-Regierung bereits eine Kampagne vorbereitet, um Druck auf die EU auszuüben, damit diese Regeln wie etwa das Digitale Dienstleistungsgesetz zugunsten der Tech-Konzerne abbaut. Dieses Gesetz nimmt Internetplattformen für die Verbreitung von Falschinformationen in die Verantwortung.

„Russland will spalten, in und zwischen Demokratien“, stellte die Expertin für Desinformation fest und wies darauf hin, dass der Kreml und seine Alliierten vermehrt Künstliche Intelligenz (KI) für ihre Zwecke einsetzen. Falschdarstellungen würden damit überzeugender, so Nina Jankowicz weiter. Zudem würden zunehmend regionale Sprachen bei der Verbreitung von Falschinformationen eingesetzt, wie etwa Baskisch. Damit sollen Fake News wohl gezielter und glaubwürdiger verbreitet werden.

Mit dem Westen im Krieg

Der bulgarische Journalist Christo Gonzev (u.a. Bellingcat und The Insider), der laut der Vorsitzenden des Sonderausschusses, Nathalie Loiseau, im Visier des russischen Staates steht, berichtete seinerseits von den verschiedenen Formen, mit denen Russland versucht, EU-Staaten zu destabilisieren. Grenzüberschreitende Sabotage habe seit dem Ukraine-Krieg zugenommen, unter anderem in Polen, habe er festgestellt. Für die Umsetzung der Sabotage-Akte würden von russischen Diensten Leute in sozialen Netzwerken rekrutiert. Aus einer geleakten und ihm vorliegenden Zielliste gehe hervor, dass unter anderem die Wasserversorgung, Gesundheitseinrichtungen sowie das Transportwesen im Visier der Saboteure stehen. „Die bösartige Absicht ist sehr klar: Diese Aktivitäten sind dazu gedacht, Chaos zu stiften und Dienste zu unterbrechen, nicht um Informationen zu sammeln“, sagte Christo Gonzev.

Die Manipulation der politischen Landschaft, die Instrumentalisierung der Migration – wie etwa an der polnisch-belorussischen Grenze – sowie die Diskreditierung von Politikern seien weitere Bereiche, in denen russische Organisationen ihre Finger im Spiel hätten. Mittlerweile gebe es einen regelrechten „Wettbewerb“ zwischen verschiedenen Gruppen, die mit hybriden Operationen um die Gunst des russischen Machthabers Wladimir Putin werben würden, so Christo Gonzev weiter. In einem SWR-Papier (russischer Auslandsgeheimdienst) werde der Ratschlag erteilt: „Vergiss moralische Prinzipien. Wir sind mit dem Westen im Krieg.“ Daher müsse auch Europa, der Westen, diese Aktivitäten als Krieg betrachten, nur dann könnte diese mit der nötigen Einheit und Ernsthaftigkeit bekämpft werden, empfiehlt Grozev.

„Der Informationsraum ist ein Schlachtfeld“

„Der Informationsraum ist ein Schlachtfeld“, sagte seinerseits Omri Preiss, Direktor von „Alliance4Europe“, einem Netzwerk von 51 Organisationen, das Falschinformationen bekämpft. Eigentlich befinde sich die EU in einem Krieg und müsse daher ihre Haltung gegenüber Attacken wie Falschinformationen ändern. Saman Nazari, Forscher bei „Alliance4Europe“, ging am Beispiel der Wahlen in Deutschland auf unterschiedliche Bedrohungen ein, die von Russland ausgegangen seien. So habe es falsche Internetseiten gegeben, auf denen sogenannte „Deepfake-Videos“ verbreitet wurden. In einem Video sei das Bild eines tatsächlich vermissten Mädchens gezeigt worden, das vermeintlich von einem Muslim umgebracht worden sei. Es wurden „Doppelgänger“ geschaffen, Nachahmungen von Internetseiten etwa etablierter Medien, um Falschinformationen zu verbreiten. Auf einer gefälschten Bundeswehrseite wird etwa behauptet, es würden 500.000 neue Soldaten rekrutiert. Ihnen sei aufgefallen, dass vor allem AfD-Politiker solche Meldungen aufnehmen und weiterverbreiten würden, so Saman Nazari.

Und was empfehlen die Experten gegen diese hybriden Attacken? Es brauche ein „Verteidigungs-Ökosystem, die ganze Gesellschaft muss eingebunden werden“, so Omri Preiss, der die Initiative „Democracy Shield“ hervorhebt und einen konsequenten Gebrauch der Regeln des Digitalen Dienstleistungsgesetzes fordert. Nina Jankowicz ihrerseits setzt auf Investitionen in „hochwertigen Journalismus“ und die Förderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Während Samam Nazari dazu rät, Journalisten und Faktenprüfer zusammenzubringen, fordert Christo Gonzev eine verbindliche Offenlegung von verdeckten russischen Aktionen.

Russischer Geheimdienst soll hinter Paketbränden in Europa stecken

Der russische Militärgeheimdienst GRU soll Medienrecherchen zufolge für Brandsätze in der Luftfracht verantwortlich sein, die im vergangenen Jahr unter anderem in Leipzig aufgetaucht waren. Davon gehen nach Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung (SZ), die am Mittwoch veröffentlicht wurden, westliche Nachrichtendienste aus. Demnach werden offenbar mehrere ranghohe GRU-Angehörige mit den Sabotageplänen in Verbindung gebracht. Dazu soll unter anderem ein GRU-Oberst gehören, der seit Dezember 2024 von der Europäischen Union sanktioniert ist. In der veröffentlichten Sanktionsbegründung heißt es laut WDR, NDR und SZ, der GRU-Oberst habe über soziale Medien „Agenten für Sabotageakte in der Union“ rekrutiert. Im Sommer waren Pakete mit Brandsätzen in Lagerhäusern des Logistikkonzerns DHL in Deutschland und Großbritannien aufgetaucht, wo sie in Brand gerieten. In Polen setzte ein Paket auch einen DHL-Lkw in Brand. Die Brandsätze sollen in Massagekissen versteckt gewesen sein, die sich zusammen mit Kosmetika und Sex-Spielzeug in den Paketen befanden, wie die Medien nun berichteten. Sicherheitsbehörden zufolge sei es nur ein glücklicher Zufall gewesen, dass die Pakete nicht während des Fluges Feuer gefangen hätten. Als Teil der Operation sollen auch Flugrouten nach Nordamerika ausgekundschaftet worden sein.
Laut den Recherchen wurden Verdächtige in Litauen, Polen, Bosnien-Herzegowina und Großbritannien festgenommen. Dabei soll es sich um sogenannte Wegwerf-Agenten handeln, in Sicherheitskreisen „Low-Level-Agenten“ genannt. Gemeint sind Menschen, die etwa über Messengerdienste wie Telegram angeworben werden, um bestimmte Aufgaben zu übernehmen, ohne die genauen Hintergründe des gesamten Einsatzes zu kennen. (AFP)

porcedda daniel m
24. April 2025 - 14.26

Man fragt sich: Warum jetzt erst wird eine solche Initiative vorangetrieben?

Seit etlichen Jahren weiß man von der Bedrohung seitens russischer Einflussnahme auf die westliche Medienwelt. Aber jetzt sitzt man in einer am 31- März gestarteten achtwöchigen öffentlichen Konsultation zu einem geplanten „European Democracy Shield“ beisammen. Ziel der Initiative ist es, den wachsenden hybriden Bedrohungen für europäische Demokratien und Wahlprozesse entgegenzuwirken.

Es kommt noch doller: Bereits im Dezemberletzten Jahres hatte das Europäische Parlament einen Sonderausschuss zum Demokratie-Schutzschild eingerichtet. Dieser soll die geplante Maßnahme prüfen und bis Jahresende einen Bericht vorlegen. Bis Jahresende? Ende 2025? Ein Bericht? In Russland wird man sich ob diesem atemberaubenden EU-Tempo vor Lachen in die Hosen pinkeln. Derweil die täglichen russischen Attacken ungebremst, eher noch verstärkt, weitergehen.

„Die Demokratie in der EU sei „bedroht“, heißt es aus dem Europäischen Parlament. Weshalb es eben eines Demokratie-Schutzschildes bedarf. Bloß: Bis von der EU mal merkbarer Gegenwind kommt, das Schutzschild also stehen wird, die die Demokratie schützen soll, könnte es sein, dass es keine Demokratie mehr gibt in der EU, die man beschützen müsste.