Mittwoch5. November 2025

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Sicherheitspolitik„Alt erëm eng Schëpp méi“: Solidaritéit mat den Heescherten prangert „Platzverweis renforcé“ an

Sicherheitspolitik / „Alt erëm eng Schëpp méi“: Solidaritéit mat den Heescherten prangert „Platzverweis renforcé“ an
Die Armen verschwinden möglicherweise aus dem Stadtbild, die Armut bleibt Foto: Editpress/Julien Garroy & Bearbeitung: Tageblatt/Jenny Füldner

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Das Gesetzesprojekt zum „Platzverweis renforcé“ muss aufgrund mehrerer formeller Einwände des Staatsrates von Innenminister Léon Gloden (CSV) überarbeitet werden. „Solidaritéit mat den Heescherten“ hat ebenfalls ein Gutachten vorgelegt – und stellt die Frage nach der Rechtsstaatlichkeit.

Die polizeiliche Maßnahme des Platzverweises soll mit Innenminister Léon Glodens (CSV) Gesetzesprojekt des „Platzverweis renforcé“ ausgeweitet werden. Der derzeit geltende „einfache“ Platzverweis sei unzureichend, heißt es im vorliegenden Gesetzesprojekt aus dem Innenministerium. Die Vereinigung „Solidaritéit mat den Heescherten“ sieht im Gesetzesprojekt hingegen eine Kontinuität im Versuch, Arme, Drogensüchtige und Obdachlose aus dem Stadtbild zu verdrängen.

Zur Erinnerung: Der noch von Polizeiminister Henri Kox („déi gréng“) eingeführte Platzverweis wurde im Sommer 2022 gestimmt und ermöglicht es den Behörden, Personen aus Haus- und Geschäftseingängen zu verbannen oder notfalls mit Gewalt zu entfernen, wenn diese den Zu- oder Ausgang blockieren und sich weigern, diesen zu verlassen. Maßnahmen, die dem damaligen Oppositionsabgeordneten Léon Gloden nicht weit genug gingen. 2021 forderte er, noch bevor Henri Kox das entsprechende Gesetzesprojekt vorlegte, die Möglichkeit eines Platzverweises, der es der Polizei ermöglichen sollte, Personen von einem öffentlichen Platz zu verbannen und den Zutritt zu diesem Ort für längere Zeit zu untersagen.

Rhéa Ziadé von der Menschenrechtskommission kritisiert die sehr vagen Bestimmungen im Gesetzentwurf von Innenminister Léon Gloden
Rhéa Ziadé von der Menschenrechtskommission kritisiert die sehr vagen Bestimmungen im Gesetzentwurf von Innenminister Léon Gloden Foto: Editpress/Hervé Montaigu

So sieht es die Menschenrechtskommission

Die Menschenrechtskommission (CCDH) hat am Mittwoch ihr Gutachten zum „Platzverweis renforcé“ publiziert. „Das gesamte Modell ist viel zu breit gefächert“, erklärt Rhéa Ziadé von der CCDH gegenüber dem Tageblatt. „Das Grundprinzip der Vorhersehbarkeit ist unserer Auffassung nach durch die vagen Formulierungen im Gesetzestext nicht respektiert.“ Dass die Distanz und Dauer des Platzverweises so rigide im Gesetz festgeschrieben ist, stößt ebenfalls auf Kritik. „Den Polizisten muss die Möglichkeit gegeben werden, auf Basis der Schwere des Verstoßes zu entscheiden, für welche Distanz und Dauer der Platzverweis ausgesprochen wird.“
Weiterhin kritisiert Ziadé, dass dem Bürgermeister einer Gemeinde ein zu großer Handlungsspielraum zugestanden werde. „Das Aufenthaltsverbot, das ein Bürgermeister nach zwei erfolgten Platzverweisen aussprechen kann, ist mit einer Dauer von 30 Tagen viel zu lang“, sagt Ziadé. Solche Einschränkungen sollten nur dann möglich sein, wenn das Gesetz einen triftigen Grund dafür vorsieht. „Die Regierung führt jedoch nur die öffentliche Ordnung als Grund an, für deren Erhalt der derzeit gültige Platzverweis nicht mehr ausreiche“, sagt Ziadé. Das reicht in den Augen der CCDH jedoch nicht aus. „Die Maßnahme des Platzverweises wurde nie wirklich evaluiert“, so Ziadé. Statistiken, Zahlen oder Studien zu der Maßnahme gibt es keine. „Man weiß bis heute nicht genau, wie viele Leute bisher von der Maßnahme betroffen waren, in welchen Situationen ein Platzverweis ausgesprochen wurde, ob es zu Diskriminierungen kam, …“ 
Die CCDH weist zudem darauf hin, dass es faktisch keine Möglichkeit gibt, sich gegen einen Platzverweis oder ein Aufenthaltsverbot rechtlich zu wehren. Der einzige Weg führt über das Verwaltungsgericht. Die Prozedur dafür sei jedoch langwierig, zudem müssten dafür Anwaltskosten bezahlt werden. Ein Aussetzen der verhängten polizeilichen Maßnahmen bis zur Entscheidung des Gerichtes sei demnach nicht vorgesehen. 

Diesem Wunsch entsprach Polizeiminister Henri Kox damals nicht. In seiner Funktion als Innenminister will Léon Gloden diesem Umstand mit der Einführung des „Platzverweis renforcé“ jetzt Abhilfe schaffen. Und tatsächlich finden sich im jetzigen Gesetzesprojekt die Maßnahmen wieder, die Gloden schon 2021 forderte.

Kampf gegen Arme geht weiter

Guy Foetz von „Solidaritéit mat den Heescherten“, eine Vereinigung, die sich in der Folge des Bettelverbots gegründet hat, sieht in dem Gesetzesprojekt eine Kontinuität im Kampf gegen die Heescherten. „Dat hei ass alt erëm eng Schëpp méi“, sagt Foetz, der lange Zeit für die Linke im Gemeinderat von Luxemburg-Stadt saß. „Wann dat hei duerchgesat gëtt, gëtt et eng permanent Méiglechkeet, Leit aus der Stad rauszesetzen.“ Für Guy Foetz kann die Einführung des Platzverweises nicht unabhängig von der Reform des „Code pénal“ beleuchtet werden, die den Strafbestand der „mendicité aggressive“ einführen will. „Der Druck auf diese Menschen wächst.“

Für Guy Foetz kann die Einführung des Platzverweises nicht unabhängig von der Reform des „Code pénal“ beleuchtet werden
Für Guy Foetz kann die Einführung des Platzverweises nicht unabhängig von der Reform des „Code pénal“ beleuchtet werden Foto: Fabrizio Pizzolante/Editpress

Mit dem Platzverweis kann die Polizei nämlich eine Person in einem Umkreis von zwei Kilometern von einem Ort verbannen. „Es geht aber noch weiter, da bei mehreren Platzverweisen der Bürgermeister letzten Endes entscheiden kann, ob eine Person für 30 Tage von einem bestimmten Ort verwiesen wird“, moniert Foetz. „Das geht ja alles darauf zurück, dass die Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg, Lydie Polfer, sich immer wieder beschwert hat, dass sie keine weiteren Möglichkeiten besitzt“, sagt Foetz. Quasi ein Geschenk der CSV an die DP, die sowohl auf nationaler Ebene als auch in der Gemeinde Luxemburg miteinander koalieren.

„Das läuft laut derzeitigem Gesetzentwurf alles an der Staatsanwaltschaft vorbei“, meint Foetz und weist darauf hin, dass der Bürgermeister dann freie Hand habe. Das Risiko einer verschärften Klientelpolitik bestehe durchaus, da der Bürgermeister ja direkt vom Wähler abhängt. Ein Umstand, den „Solidaritéit mat den Heescherten“ in ihrem Gutachten als „mittelalterliche Umstände“ anprangert.

Staatsrat auf Seite der „Heescherten“

Der Staatsrat folgt auch eher der Interpretation von Foetz als dem politischen Willen von Léon Gloden. In seinem Gutachten hält die Hohe Körperschaft fest, dass dieser Passus in seiner derzeitigen Form gegen gleich zwei Artikel der Luxemburger Verfassung verstößt, und rät dem Innenminister, diesen Artikel gänzlich aus dem Gesetzentwurf zu streichen. Demnach würde sowohl gegen das Recht jedes Einzelnen auf ein Privatleben (Art. 20) als auch gegen das Prinzip der Proportionalität im Falle einer Einschränkung der persönlichen Freiheit (Art. 37) verstoßen werden.

Foetz befürchtet zudem, dass die Maßnahmen einer polizeilichen Willkür Tür und Tor öffnen. „Was versteht man beispielsweise unter Störung der öffentlichen Ruhe?“, fragt sich Guy Foetz. Ein Punkt, dem der Staatsrat ebenfalls eine „opposition formelle“ anheftet.

Der gelernte Ökonom prangert auch an, dass die Begrifflichkeiten des „Platzverweises“ und des „Aufenthaltsverbots“ zwar aus dem deutschen Recht inspiriert sind, unter dem vorliegenden Gesetzesprojekt den Polizisten jedoch eine ganz andere Handhabe gewähren würden. „In den Bundesländern besteht die Möglichkeit, bei einer akuten Gefahr zu handeln und den Zugang zu versperren“, sagt Foetz. Mit der Gesetzesinitiative von Léon Gloden aber würden Maßnahmen geschaffen, um gegen Menschen vorzugehen, die nicht unbedingt eine Gefahr darstellen. „Wenn sich jemand belästigt fühlt, weil er nach Geld gefragt wird, hat das nichts mit akuter Gefahr zu tun.“ Ein Urteil, dem sich auch die Luxemburger Menschenrechtskommission anschließt.

Notwendig oder übertrieben?

Eben diese Frage stellt sich auch die Luxemburger Staatsanwaltschaft. „In diesem Punkt geht der Gesetzentwurf, insofern er auf alle möglichen Verhaltensweisen abzielt, die als unhöflich oder ungehörig gelten – selbst wenn sie keine Gefahr darstellen oder keine Straftaten sind –, deutlich weiter“, steht im Gutachten des „Parquet général“. „Es ist zweifelhaft, ob die in Artikel 5bis vorgesehenen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, die sich aus den genannten Verhaltensweisen ergeben, wirklich verhältnismäßig und notwendig in unserer demokratischen Gesellschaft sind.“

„In Luxemburg ist jeder Fünfte mittlerweile vom Armutsrisiko betroffen“, sagt Guy Foetz. Ein ganzheitlicher Politikansatz gegen Obdachlosigkeit sei jedoch immer noch nicht zu erkennen. 48 Wohneinheiten stehen in ganz Luxemburg für den „Housing first“-Ansatz zur Verfügung, über die „logements d’urgence“ gebe es nicht einmal Statistiken. „In Luxemburg landet man sehr schnell auf der Straße“, weiß Foetz. „Und wenn sie einmal obdachlos sind, haben sie nur sehr wenige Möglichkeiten, der Obdachlosigkeit wieder zu entkommen.“

Platzverweis renforcé

Folgende Bestimmungen werden mit dem „Platzverweis renforcé“ eingeführt:

Die Polizei kann eine Person zur Ordnung rufen, die:
1° den öffentlich zugänglichen Ein- oder Ausgang eines öffentlichen oder privaten Gebäudes behindert, sodass die Bewegungsfreiheit anderer beeinträchtigt wird;
2° sich in einer Weise verhält, die die öffentliche Ruhe, Gesundheit oder Sicherheit stört;
3° sich so verhält, dass der Verkehr auf öffentlichen Straßen behindert oder die Bewegungsfreiheit von Passanten auf öffentlichen Straßen und an öffentlich zugänglichen Orten beeinträchtigt wird;
4° sich auf der öffentlichen Straße und an öffentlich zugänglichen Orten so verhält, dass Passanten belästigt werden.
Wenn die Person der Aufforderung zur Ordnung nicht nachkommt, kann die Polizei die Person auffordern, sich zu entfernen. Weigert sich die Person, der Aufforderung nachzukommen, kann sie, erforderlichenfalls mit Gewalt, bis zu einem Radius von höchstens einem Kilometer um den Ort entfernt werden, an dem sich die Person aufgehalten hat. Die Dauer der genannten Entfernung beträgt 48 Stunden.

Wenn der Bürgermeister feststellt, dass eine Person innerhalb eines Zeitraums von dreißig Tagen mindestens zweimal das genannte Verhalten an den Tag gelegt hat, kann er gegen diese Person ein zeitweiliges Ortsverbot für eine Dauer von höchstens dreißig Tagen anordnen.
Das vorübergehende Ortsverbot besteht in einem Verbot, einen oder mehrere bestimmte, der Öffentlichkeit zugängliche Bereiche zu betreten, wobei niemals das gesamte Gemeindegebiet abgedeckt werden darf.

Altwies Yves
18. April 2025 - 18.02

Unverstaendlich dass der gelernte Jurist LG mit seinen Textvorschlaegen regelmaessig derartige Zurechtweisungen durch den Staatsrat bezueglich augenscheinlich verfassungswidriger Initiativen billigend in Kauf nimmt. Gibt es keine Absprachen mit dem Justizministerium bei hochsensibelen Themen dieser Art ? Oder handelt es sich um "Spaetfolgen" der Verfassungsreform im Laufe welcher der Staatsrat beide Augen zugedrueckt hat ?
Andererseits handelt es sich eventuell nur um "Trumpismus made in Luxemburg "?

Sidney Wiltgen
18. April 2025 - 14.21

Bonjour,
Dans mon article, je ne donne pas mon opinion personnelle, mais je relaie celle du Conseil d'État, de la Commission des droits de l'homme et des autorités judiciaires. Le fait est que, pour une grande partie des problèmes que vous décrivez, il existe déjà des mesures policières qui pourraient être appliquées. Il ne s'agit donc pas d'un manque de compétences, mais d'une question d'application. Une extension des compétences – et la restriction des libertés individuelles qui en découlerait – ne constitue pas, dans ce cas, la bonne voie à suivre. C’est d’ailleurs aussi l’avis du Conseil d’État, pourtant composé de manière plutôt conservatrice et libérale. C'est plutôt une question de priorités, comme je l'ai écrit il n'y a pas longtemps:

"Quand il s’agit des zones d’ombre de sa politique sécuritaire, Léon Gloden préfère manifestement l’omerta. Pas de conférence de presse pour commenter le dernier rapport de l’Inspection générale de la police (IGP) – et pourtant, jamais la « police de la police » n’avait enregistré autant de cas : 326 enquêtes au total, un chiffre record. Côté plaintes, l’IGP constate une envolée spectaculaire de 62 % par rapport à l’année précédente. Mais sur les raisons de cette hausse massive des enquêtes administratives, des procédures pénales et disciplinaires : silence radio.
Ce que le public doit retenir, en revanche, est soigneusement mis en scène : davantage de caméras-piétons, un bateau de patrouille qui sillonnera la Moselle, et bientôt des policiers de proximité dans la zone « à haut risque » entre Schengen et Wasserbillig. Les habitants du quartier de la gare seront ravis." (https://www.tageblatt.lu/headlines/no-order-under-glodens-law-ansprueche-und-wirklichkeit-der-neuen-sicherheitspolitik/?fbclid=IwY2xjawJvIlxleHRuA2FlbQIxMQABHrEOwjP1lzrM7nEKLh22KWKIl5dEjlvUf1G1i7DMa_BFWueo7Asle3lZ-mGb_aem_bZhC-oqSVEndDQtVoqkFBw)

Montenegro Italo
18. April 2025 - 9.57

Vous, les journalistes de ce journal, n'avez absolument aucune idée du très grave problème de sécurité, d'hygiène publique et de trafic de drogue à ciel ouvert dont nous, les habitants de la gare, souffrons. Il est facile de parler superficiellement de quelque chose que vous ne connaissez pas ou que vous ne vivez pas au quotidien. Les honnêtes citoyens sont ENLEVÉS dans leurs propres maisons, dans leurs commerces, par des toxicomanes qui sont devenus les ENVAHISSEURS AGRESSIFS des entrées des maisons et des rues autour de la gare. Au lieu d'avoir une opinion politique claire, venez vivre à la gare et vivez la réalité... aucun gouvernement, et encore moins le maire actuel, n'a fait quoi que ce soit de significatif pour améliorer la qualité de vie dans ce quartier...