Es gebe Momente in der Geschichte eines Landes oder Kontinents, in denen man spüre, dass etwas Fundamentales geschehe und eine andere Richtung eingeschlagen werde. Von einem Bruch ist dann die Rede. Luc Frieden wies in seiner Erklärung auf den „außerordentlichen Eklat“ vier Tage zuvor in Washington hin, als es dort beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zum Abbruch der Gespräche zwischen diesem und US-Präsident Donald Trump gekommen war. Zusammen mit der Rede von US-Vizepräsident JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar handle es sich um einen „klaren Bruch“. Die USA schienen sich dafür entschieden zu haben, ihre Beziehungen zu Europa grundlegend zu ändern.
Frieden machte unmissverständlich klar, dass Russland der Aggressor sei, „der uns 2014 und 2022 aus unserer Freude und unserer Sorglosigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg herausgerissen hat“, wie er später an einer anderen Stelle sagte. Luxemburg stehe weiter auf der Seite der Ukraine, die überfallen worden sei wie einst im Zweiten Weltkrieg das Großherzogtum von Nazi-Deutschland. „Die Ukraine kämpft auch für unsere Freiheit und für das internationale Recht“, betonte Frieden. „Es kann nicht über die Ukraine entschieden werden, ohne dass die Ukraine dabei ist.“
Ein Waffenstillstand müsse in einen dauerhaften Frieden münden, und dieser brauche glaubhafte Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Der Premierminister sagte der Ukraine, dass Luxemburg das Land auch weiterhin unterstützen werde. Auch an Sicherheitsgarantien werde man sich beteiligen. Dies müsse im Rahmen einer Friedensmission nach einem Friedensabkommen stattfinden. Europa müsse künftig mehr Verantwortung übernehmen, auch mit denen um die Europäische Union herum, „die unsere Werte teilen“. Dies gehe über das Militärische hinaus. Frieden nannte explizit Großbritannien, Norwegen und Kanada.
Wenn die Geschichte später geschrieben wird, will ich, dass Luxemburg auf der richtigen Seite gestanden hat: auf der Seite der Freiheit, der Menschenrechte und des internationalen Rechts
Damit verbunden sei eine „Neubewertung unserer Sicherheitsausgaben in den nächsten zehn Jahren“, so der Premierminister weiter, Bezug nehmend auf das Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Zum Verhältnis zu den USA meinte Frieden: „Amerika und die Amerikaner bleiben Freunde, auch in schweren Zeiten.“ Er erinnerte dabei an den früheren Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der gesagt habe: „Unsere Soldaten werden Europa befreien.“ Frieden und Freiheiten hätten ihren Preis, so der Regierungschef. Es müssten Entscheidungen getroffen und geklärt werden, wo das Geld herkomme. „Fundamentale Fragen“, so Frieden. Luxemburg müsse handeln. „Wenn die Geschichte später geschrieben wird, will ich, dass Luxemburg auf der richtigen Seite gestanden hat: auf der Seite der Freiheit, der Menschenrechte und des internationalen Rechts.“
„Die Farce im Oval Office“
In der anschließenden Debatte versicherte Laurent Zeimet seinem Parteifreund Frieden die Unterstützung der christsozialen Fraktion. Er sprach von einer „Farce im Oval Office“. Der CSV-Abgeordnete, der eine Woche zuvor noch zu Gast im ukrainischen Parlament war, gab wie Frieden zu bedenken, dass es in den USA auch andere Stimmen gebe. Nun müsse man der neuen Situation gerecht werden. „Unsere Zukunft entscheidet sich in der Ukraine“, so Zeimet, der erklärte, er ziehe ein Leben in Freiheit einem Leben auf Knien vor.
Danach sagte der DP-Abgeordnete Gusty Graas, Trump habe keine politische Kultur und gehe „respektlos mit seinen politischen Gegnern, und noch viel schlimmer, mit Minderheiten um“. Die Art und Weise, wie ein Mann, der sich für sein Land einsetzt, gedemütigt worden sei, „war nicht nur ein Skandal, sondern eine Attacke auf alle demokratisch gesinnten Menschen“. Der Liberale nahm auch Bezug auf die „unverantwortliche Rede von JD Vance“ bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Auch Graas sprach von einem Bruch, einem Wendepunkt. „Amerikaner haben ihr Leben für die Freiheit eingesetzt“, so der DP-Politiker. Spätestens seit Freitag sei aber klar, dass die USA sich von einer Demokratie zu einer Autokratie entwickelten.
Trumps Ziel sei die Weltherrschaft, ohne Europa. Für die EU könne das nur heißen, stärker sowohl nach innen als auch nach außen zu werden. Einen positiven Aspekt erkennt Graas zumindest: „Jetzt bietet sich uns (Europäern) die Chance, uns neu zu definieren.“ Dieser Zeitpunkt sei überfällig. Die neue sichtbare Solidarität zwischen den europäischen Ländern gebe ihm Hoffnung. Er sprach von einem „gerechten Frieden“, und der beruhe darauf, anzuerkennen, „dass Putin der Aggressor ist“.
Die Stunde Europas schlägt
Yves Cruchten zitierte aus George Orwells dystopischem Roman „1984“ die Worte „Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke“. Das „traurige Spektakel“ aus dem Weißen Haus nannte er „zum Fremdschämen“. Es sei nun ein guter Moment, „unsere Solidarität mit dem Vereinigten Königreich zu erneuern“. Trump habe immerhin diese Wiederannäherung fertiggebracht. „Der Aggressor ist kein anderer als Russland“, so Cruchten weiter. „Seit letztem Freitag leben wir in einer neuen Zeit. Die USA, denen wir unsere Freiheit verdanken, sind momentan kein verlässlicher Partner. Für Trump ist die EU ein Gegner.“ Der LSAP-Parlamentarier gab zu bedenken: „Wir müssen über unseren Schatten springen, wenn wir sagen, dass Europa zusammenstehen muss.“ Die Stunde für Europa werde schlagen. Es sei eine Zukunft, die auf Werte basiere.
Fred Keup (ADR) betonte derweil die Freundschaft mit den Amerikanern. „Wir sollten ihnen dankbar sein. Wir waren nicht immer einer Meinung“, aber das komme vor. Russland habe die Ukraine zwar angegriffen, das sei ein Fakt – was aber die Ukraine nicht aus der Verantwortung entlasse. Die Verknüpfung von Selenskyjs Schicksal mit den Interessen Europas sei ein Fehler. Der ADR-Abgeordnete meinte außerdem: „Lieber ein ungerechter Frieden als gerechter Krieg.“ Er wiederholte dreimal das Wort „Frieden“ und sagte „weg von einer Kriegstreiberei“. Die Amerikaner hingegen wollten den Krieg beenden, was ihnen höchstwahrscheinlich gelingen werde. Der ADR-Politiker verwies auf ein Eurobarometer, demzufolge die Hälfte der Luxemburger keine Waffenlieferungen an die Ukraine wollen. Man solle eine Politik betreiben, in der man die Bevölkerung mitnehme, so Keup.
Sam Tanson („déi gréng“) bedankte sich beim Premierminister für seine deutlichen Worte: „Das sage ich nicht immer.“ Und sie warf Keup vor, „Unwahrheiten“ gesagt und „komische Aussagen“ gemacht zu haben. Definitiv sei man an einem Wendepunkt der Geschichte angekommen. Derweil regiere Washington, „als würde es kein Morgen geben“. Dahinter stehe eine klare Strategie. „Wir glauben weiter an die amerikanische Zivilbevölkerung, die sich hoffentlich mobilisiert“, sagte die frühere Ministerin und sprach sich für eine gemeinsame europäische Verteidigung aus. „Denn Putin wird es nicht dabei belassen, wenn er merkt, dass wir schwach sind. Daher müssen wir aufrüsten, um den Frieden zu sichern, und nicht Frieden wie ein Mantra wiederholen.“ Sie warf Keup Appeasement gegenüber Russland vor. Man brauche jetzt Kapazitäten, Entschlossenheit und habe wenig Zeit. Tanson brachte auch die blockierten 200 Milliarden Euro russischer Gelder ins Gespräch, um der Ukraine zu helfen.
Auch Sven Clement (Piraten) sprach von einer Zeitenwende. Nur müsse man sich die Frage stellen, auf welcher Seite man stehen wolle, sagte er in Bezug auf die Äußerungen von Keup. „Es wird von Appeasement gesprochen, ohne den historischen Kontext zu nennen. Wir müssen weiter zur Ukraine stehen, auch wenn wir keine Waffen liefern können. Aber wir können finanzielle Hilfe leisten für Waffen und Munition.“ Warum überlasse man den Amerikanern den Deal mit den Bodenschätzen? Man habe sich zu lange auf die Amerikaner verlassen und zu lange mit einer Illusion gelebt. Zudem dürfe man sich nicht durch Leute wie Viktor Orban handlungsunfähig machen lassen. Clement sprach von der Armee, die zur eigenen Resilienz beitrage.
Als Redner für „déi Lénk“ trat schließlich David Wagner ans Pult. Auch er sprach sich für Waffenlieferungen an die Ukraine aus. „Einem, der überfallen wurde, verweigert man nicht die Hilfe“, sagte er und warnte aber vor einer Spirale des Wettrüstens. Militärische Hilfe reiche längst nicht aus. Vielmehr müsse die ukrainische Zivilbevölkerung resilienter gemacht werden. Ein Sieg des Putin-Regimes wäre dagegen nicht nur eine Katastrophe für die Ukraine, sondern auch für die russische Bevölkerung. Ziel sei, betonte auch der Abgeordnete von „déi Lénk“, schließlich ein gerechter Frieden.
De Maart

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