Mittwoch5. November 2025

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WeltgesundheitsorganisationWHO-Chef zu Besuch in Luxemburg: Der ohnmächtige Riese

Weltgesundheitsorganisation / WHO-Chef zu Besuch in Luxemburg: Der ohnmächtige Riese
Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO, während einer Pressekonferenz am Hauptsitz der WHO in Genf Foto: Lian Yi/XinHua/dpa

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Häufig kritisiert und unterfinanziert – die World Health Organization (WHO), die den Auftrag hat, „allen Völkern zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustands zu verhelfen“, steht vor großen Herausforderungen und unter Reformdruck. Sie ist stärker denn je von freiwilligen Beiträgen von Staaten und Stiftungen abhängig. Ihr Generaldirektor, der Äthiopier Tedros Adhanom Ghebreyesus, ist am Freitag auf Arbeitsbesuch in Luxemburg.  

Es war ein Kindheitserlebnis, das Tedros Adhanom Ghebreyesus prägte und von dem er immer wieder erzählt, wenn er nach seiner Motivation als Generaldirektor der WHO gefragt wird. Sein Bruder sei im Alter von drei, vier Jahren an einer Krankheit gestorben, die in einem Land mit einem besseren Gesundheitswesen hätte geheilt werden könne. Erst als Tedros, wie er von allen gerufen wird, bereits Biologie studierte, fand er heraus, um welche Krankheit es sich gehandelt hatte: um die Masern. Das habe er nicht akzeptieren können.

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation, der am Freitag von Erbgroßherzog Guillaume und Premierminister Luc Frieden empfangen wird und ein Arbeitstreffen mit Außenminister Xavier Bettel und Gesundheitsministerin Martine Deprez haben wird, wurde 1965 in Asmara geboren, der heutigen Hauptstadt von Eritrea, wo er auch studierte und seinen Bachelor machte. Noch bevor er 1992 sein Masterstudium in Immunologie von Infektionskrankheiten an der Londoner Universität absolvierte (2000 promovierte er in Nottingham), war er der kommunistischen Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) beigetreten, die zusammen mit anderen Befreiungsbewegungen den äthiopischen Diktator Mengistu Haile Mariam stürzte. Tedros wurde Gesundheitsminister Äthiopiens. Er reformierte das Gesundheitswesen, führte eine Krankenversicherung ein, ließ Tausende Gesundheitszentren eröffnen, etwa 40.000 Fachkräfte ausbilden und die Zahl der medizinischen Fakultäten im Land von drei auf 33 erhöhen. Dadurch sank die Kindersterblichkeit in dem von Hunger und Kriegen geplagten Land um ein Drittel.

Allerdings gab es auch Kritik. Während seiner Zeit als Gesundheitsminister (2005-2012), in der er auch zum Vorsitzenden des Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose gewählt wurde, sollen Journalisten davon abgehalten worden sein, über Cholera-Ausbrüche zu berichten. Von 2012 bis 2016 war er Außenminister seines Landes. 2017 wurde er als erster Afrikaner zum Generaldirektor der WHO gewählt. Doch als Tedros Simbabwes Präsident Robert Mugabe zum „Goodwill“-Sonderbotschafter für Afrika ernannte, löste er weltweit Empörung aus. Er zog die Ernennung wieder zurück.

Oberster Krisenmanager

Während der Covid-19-Krise ab 2020 war Tedros als oberster Krisenmanager dauerpräsent – und unter Beschuss. Ihm wurde vorgeworfen, China geholfen zu haben, den Ausbruch der Pandemie verschleiert und sich von Chinas Präsident Xi Jinping unter Druck setzen gelassen zu haben. Derweil kamen aus seiner Heimat Anschuldigungen, er habe Falschinformationen verbreitet, nachdem er beklagt hatte, dass Hilfsgüter für die Region Tigray im Nordwesten Äthiopiens blockiert wurden. Mehr als 55.000 Menschen hatten eine Petition unterzeichnet, in der gefordert wurde, dass er abgesetzt und vor Gericht gestellt wird. Als Tedros im Mai 2022 trotzdem als WHO-Chef wiedergewählt wurde, erhielt er ausgerechnet von Äthiopien keinen Beifall. Denn die Regierung in Addis Abeba betrachtete ihn als Gegner in ihrem Krieg mit der TPLF, dem Hunderttausende Menschen zum Opfer gefallen sind. Tedros war anderthalb Jahrzehnte lang einer der führenden Köpfe der TPLF, die von 1991 bis 2018 Regierungspartei war, aber ein Jahr nach Tedros’ Abschied aus Äthiopien vom heutigen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed von der Macht verdrängt wurde.

Der Hauptsitz der WHO in Genf
Der Hauptsitz der WHO in Genf Foto: Eric Bridiers/Flickr

Auch die WHO allgemein wird schon seit längerer Zeit heftig kritisiert – unter anderem von Verschwörungsideologen. Diese behaupteten, das umstrittene Pandemieabkommen stehe für Repression, das Ende der Selbstbestimmung und das Ergreifen der Weltherrschaft durch einen kleinen Kreis: Im Dezember 2021 tagte die WHO in einer Sondersitzung; die 194 Mitgliedstaaten der UN-Sonderorganisation mit Sitz in Genf beschlossen, ein internationales Abkommen zu erarbeiten, um künftigen Pandemien besser vorzubeugen, sie schneller zu erkennen und zu bekämpfen. Seither wurde über die Details gerungen. Ende Mai dieses Jahres kamen die WHO-Mitgliedstaaten wieder zusammen. Doch nach mehr als zweieinhalbjährigen Verhandlungen konnten sie sich nicht auf ein Abkommen einigen.

Zwar steht die Bedeutung der WHO außer Frage, unbestritten sind ihre Erfolge, allein ihre Impfprogramme haben Millionen Menschen das Leben gerettet. Doch an ihrer Macht und ihrem tatsächlichen Einfluss kann gezweifelt werden. Die am 7. April 1948 gegründete Organisation, die das Recht auf Gesundheit als Grundrecht des Menschen proklamiert und die in ihrer Verfassung die Verwirklichung des bestmöglichen Gesundheitsniveaus bei allen Menschen festgelegt hat, versagte mehrfach, so etwa während der Ebola-Krise 2014/15 in Westafrika, in der mehr als 11.000 Menschen starben, als die WHO die Warnungen zunächst nicht ernst nahm und zu langsam reagierte. Außerdem stufte sie das Herbizid Glyphosat, trotz gegenteiliger Untersuchungsergebnisse, als „wahrscheinlich nicht krebserregend“ ein. Auch ihre Haltung gegenüber der Atomkraft, aufgrund eines Vertrages mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) nicht unabhängig zu sein, wurde häufig kritisiert. Ebenso sahen Kritiker den gestiegenen Anteil von privaten Spenden wie von der Bill & Melinda Gates Foundation als Problem an. Darauf hatte nicht zuletzt 2017 die deutsche TV-Dokumentation „Die WHO im Griff der Lobbyisten?“ aufmerksam gemacht.

Einen Schlag hatte im April 2020 der damalige US-Präsident Donald Trump der WHO versetzt, als er ankündigte, die Zahlungen seines Landes an die Organisation vorläufig einzustellen und die Zusammenarbeit mit ihr aufzukündigen. Er behauptete, die WHO habe beim Ausbruch der Covid-19-Pandemie ihre grundlegenden Aufgaben nicht erfüllt. Im Juli 2020 reichten die USA ihren Austritt aus der WHO ein, ein halbes Jahr später verkündete Joe Biden, dass Washington nicht austreten werde. Was Trump, der seine ablehnende Haltung gegenüber der WHO mehrfach zum Ausdruck brachte und ihr eine „globalistische Haltung“ vorwarf, nach seinem erneuten Amtsantritt im Januar vorhat, ist ungewiss.

Chronisch unterfinanziert

Eine Ungewissheit, die für die gesamte WHO gilt. Zu sehr ist die Organisation vom Wohlwollen ihrer Mitglieder abhängig. Zwar verfügt sie von allen UN-Sonderorganisationen mit rund 3,5 Milliarden US-Dollar (2021) über das größte Budget. Aber die Pflichtbeiträge der Mitgliedstaaten machen mittlerweile nur noch rund 15 Prozent aus. Den Rest ergeben freiwillige Beiträge, sowohl staatliche als auch private. Die große Abhängigkeit von privaten Geldgebern hat folglich zugenommen. Die WHO sei „chronisch unterfinanziert“, stellt die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. fest. Beim Berliner Weltgesundheitsgipfel im Oktober wurden der Organisation fast 700 Millionen US-Dollar (etwa 642 Millionen Euro) für die Jahre 2025 bis 2028 zugesagt. Hinzu kommen bereits zugesagte Beiträge in Höhe von 300 Millionen Dollar.

Die Covid-19-Krise habe gezeigt, dass es keine absolute Sicherheit im Bereich des Infektionsschutzes gebe, schreibt die Politikwissenschaftlerin Tine Hanrieder von der London School of Economics and Political Science. Maßnahmen zur Gesundheitssicherung würden nie einhellig getroffen und seien stets konfliktbehaftet. Wie auch die gescheiterte Einigung auf ein Pandemieabkommen zeigt. Dieses sollte ein weltweites Chaos wie bei der Covid-19-Krise verhindern und sicherstellen, dass alle Länder jeweils rechtzeitig mit Schutzmaterial, Medikamenten und Impfstoffen versorgt werden. Tedros sagte zwar, dass das Verhandlungsende „kein Scheitern“ und es nun an der Zeit sei, Lehren aus den bisherigen Verhandlungen zu ziehen. Kurz vor dem Regierungswechsel in den USA haben die WHO-Mitglieder Anfang Dezember erneut versucht, eine Einigung zu erzielen. Trump ist gegen ein multinationales Abkommen. Sein zukünftiger Gesundheitsminister, der Impfskeptiker Robert F. Kennedy Jr., äußerte ebenfalls Bedenken. Beobachter sehen die Chancen auf eine Einigung daher gering.

Der Eingang des WHO-Sitzes in Genf
Der Eingang des WHO-Sitzes in Genf Foto: Thorkyld Tylleskar/Wikicommons