Besonders seit Muhammad Yunus im Jahr 2006 für die Idee der Mikrokredite mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist die Mikrofinanz weltweit zu einer populären und erfolgreichen Strategie im Bereich der Armutsbekämpfung geworden.
Die Mikrofinanz ist eine Art Hilfe zur Selbsthilfe: Potenzielle Kleinst-Unternehmer, die kein Kapital und keinen Zugang zum Bankensektor haben, sollen dank Kleinstkrediten Projekte umsetzen und eigenes Geld verdienen können. Der Kreditnehmer soll mit dem Darlehen beispielsweise in ein Geschäft, in Saatgut oder in eine Maschine investieren können und sich so eine eigene wirtschaftliche Lebensgrundlage aufbauen. Sobald der Kredit zurückgezahlt ist, kann mit besagtem Geld dann die Idee eines anderen Unternehmers finanziert werden. Die kleinen Darlehen haben es seitdem Millionen Menschen auf der ganzen Welt ermöglicht, auf eigenen Füßen zu stehen.
In Luxemburg wurde das Potenzial der Idee schnell erkannt. Regierung und Finanzsektor sind auf den Zug aufgesprungen, der von wohltätigen Organisationen gestartet wurde. Ein großer Teil der multinationalen Mikrofinanz-Investmentfonds sind heute in Luxemburg beheimatet. Mittels vieler Initiativen, von denen die Mikrofinanz-Woche nur eine ist, haben alle Beteiligten gemeinsam dem Land einen Namen in der Branche gemacht.
„Wir müssen hinzulernen“
Die Mikrofinanz-Woche sei das wichtigste Treffen für alle, die im Bereich der „inklusiven Finanzen“ aktiv sind, in Europa und im Süden, sagt Lucia Spaggiari. „Gut, um alle in der Branche zusammenzubringen und über Erfolg und Herausforderungen zu diskutieren, um Wissen auszutauschen und neue Trends zu besprechen.“ Über die Jahre hat sich die Branche weiterentwickelt: Neue Bereiche wie Mikrosparprogramme und Mikroversicherungen kamen hinzu. Entwickelt wurden auch spezielle Programme in Bereichen wie Nahrungsmittelsicherheit, Hausbau, Gesundheitsversorgung oder zur Bildungsfinanzierung.
Unser Ziel ist es, mehr Transparenz in den Bereich der inklusiven Finanzen zu bringen, um so die Kommunikation mit potenziellen Investoren zu vereinfachen
Lucia Spaggiari kennt sich aus in der Branche, seit 2005 arbeitet sie für die spezialisierte Ratingagentur MFR in Paris. Dort fertigt sie Berichte über die finanzielle und soziale Situation und Ergebnisse von Mikrofinanzinstituten (MFI) an. „Unser Ziel ist es, mehr Transparenz in den Bereich der inklusiven Finanzen zu bringen, um so die Kommunikation mit potenziellen Investoren zu vereinfachen.“ Die gebürtige Italienerin war bereits bei der ersten Mikrofinanz-Woche vor 17 Jahren mit dabei. Seit 2023 ist sie Vorsitzende der European Microfinance Platform (e-MFP).
In diesem Jahr steht die Konferenz, wie auch der Mikrofinanz-Preis, im Fokus von Finanzdienstleistungen für Menschen, die wegen Krieg oder anderen Katastrophen vertrieben wurden. „Diese Menschen gehören zu den schwächsten Gruppen der Bevölkerung und haben einen großen Bedarf an Unterstützung“, so Spaggiari. „Aufgrund des zukünftigen Bevölkerungswachstums, Konflikten und Klimarisiken werden wir in Zukunft wahrscheinlich eine steigende Zahl von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen sehen.“

„All diese Menschen müssen die Möglichkeit erhalten, wieder auf eigenen Füßen stehen zu können“, sagt sie. „Finanzdienstleistungen sind hierbei ein wichtiger Ermöglicher. Einige wenige Mikrofinanzinstitute haben sich auf Flüchtlinge spezialisiert, etwa auch für Cash-Transfers und die Verwaltung von Hilfsgeldern. Damit können die Hilfsgelder langfristig dabei helfen, dass die Menschen beispielsweise ein eigenes Geschäft aufbauen können. Wir müssen hinzulernen.“
Nach wie vor sind die Zeiten für die Branche dabei nicht einfach, sagt Spaggiari zur aktuellen Lage. Nachdem die Branche vor einigen Jahren mit den Folgen der Covid-Krise zu kämpfen hatte, sind es aktuell die steigenden Preise, die steigenden Zinsen und die Konflikte in der Welt, erklärt sie. „Vor allem in einigen afrikanischen Ländern. Dort ist die Kaufkraft der Kunden gesunken. In einigen hat sich auch die allgemeine wirtschaftliche Situation verschlechtert.“ Dabei sei auch die Klimakrise zu spüren.
Von dieser eher negativen Entwicklung seien aber nicht alle Länder betroffen, und auch nicht alle MFI, sagt Spaggiari weiter. „Die meisten schaffen es trotz der schwierigen Situation, ihre gute Arbeit fortzusetzen.“ Schaue man sich die Entwicklung der Mehrheit der MFI an, „so sieht man insgesamt eine ziemlich gute Widerstandsfähigkeit und eine relativ stabile Leistung“.
Das traditionelle Modell läuft gut
Alle Institute haben dabei mit den gestiegenen Zinsen zu kämpfen, erläutert die Expertin weiter. Das mache das Beschaffen von Geld zum Verleihen teurer und bringe dann damit ebenfalls höhere Zinssätze für die Kunden. „Wer mehr Erfolg hat, um Spareinlagen von Kunden anzuziehen, hat mehr Kontrolle über die Kosten des Geldes.“
Sozial gesehen sei als positiv zu verzeichnen, dass die Institute es insgesamt schaffen, die Zahl ihrer Kunden zu vergrößern, was wichtig im Kampf gegen die Armut sei, so Spaggiari. In einigen entwickelteren Märkten sehe man zudem, dass die Lohnsummen steigen. Meist sei der Hintergrund, dass die Kunden, die mit sehr kleinen Summen angefangen haben, nun größere Bedürfnisse und Anforderungen haben, ein Zeichen, dass die Institute mitgeholfen haben, Wohlstand zu schaffen. Die guten Kunden seien nun teilweise auch interessant für das traditionelle Bankwesen geworden, das ihnen Angebote mache. Vor allem in städtischen Regionen sehe man heute solchen Druck durch Wettbewerb.
Das jedoch eher in einigen südamerikanischen und asiatischen Staaten, weniger in Afrika, sagt sie. Dieser Kontinent sei schwieriger zu bedienen. Oft gebe es einen Mangel an Infrastruktur, Länder-Ratings seien mit mehr Risiko behaftet, Kompetenzen seien teurer. „Um das gleiche Ergebnis zu erzielen, müssen mehr Anstrengungen investiert werden. Die Risiken und die Kosten sind höher.“ Besonders groß seien dabei die Unterschiede zwischen städtischen und landwirtschaftlichen Regionen. „In Städten gibt es mehr Dynamismus, Kunden sind einfacher zu erreichen.“
Auch hebt Lucia Spaggiari hervor, dass sich vor allem die traditionelle Mikrofinanz (kleine Kredite für Gewerbe) stabil und widerstandsfähig entwickelt. Schwieriger seien Aktivitäten wie „Kredite für Solarenergie“ oder Landwirtschaft. „Mit diesen Aktivitäten sind hohe Risiken verbunden. Auch bei der Rückzahlfähigkeit der Kunden.“ Dieser Bereich „erfordert mehr Aufwand, aber es ist von großem sozialen Nutzen“.
Was die aktuelle geopolitische Lage angeht, so sei die direkte Auswirkung durch den Krieg in der Ukraine derweil zeitlich begrenzt geblieben, sagt Spaggiari weiter. „Wir waren positiv überrascht, zu sehen, wie schnell sich die MFI anpassen konnten.“ In Zentralasien gab es beispielsweise Schwierigkeiten mit den Finanzflüssen. „Die Probleme wurden jedoch gelöst.“ Im Libanon und in den besetzten Gebieten gebe es jedoch ebenfalls eine fortlaufende Krise im Bereich der inklusiven Finanzen. „Bei kurzen Schocks zeigt die Branche Widerstandsfähigkeit. Doch je länger die Schocks dauern, desto schlimmer sind die Folgen.“
e-MFP
Die „Woche der Mikrofinanz“ wird von der European Microfinance Platform (e-MFP) organisiert. e-MFP ist eine Multi-Stakeholder-Plattform mit Sitz in Luxemburg, die unterschiedlichste Organisationen zu ihren über 130 Mitgliedern zählt. Dazu gehören, Universitäten, Banken, Nichtregierungsorganisationen und staatliche Entwicklungsbanken.
Ziel der Organisation ist es, den zwei Milliarden Menschen, die vom traditionellen Bankensystem ausgeschlossen sind, Zugang zu Finanzdienstleistungen zu bieten. Zu diesem Zweck will e-MFP alle möglichen Akteure der Mikrofinanz zusammenbringen, Wissen schaffen und es verbreiten.
e-MFP beschäftigt eine Handvoll Mitarbeiter und wird von Sponsoren, Mitgliederbeiträgen, dem luxemburgischen Außenministerium sowie dem Finanzministerium finanziert.
Wie in den Vorjahren fand die Veranstaltung in der Abtei Neumünster statt. An der letzten Ausgabe hatten 670 Personen aus 68 Ländern teilgenommen, ein Drittel war online dabei. Dieses Jahr werden ähnlich viele erwartet.
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De Maart

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