Das Thema Migration erregt weiterhin die Gemüter. Die Debatte am Mittwoch im Europäischen Parlament (EP) machte teilweise deutlich, warum. Wohl wurde im vergangenen April das Asyl- und Migrationspaket verabschiedet. Doch dauert es bis Mitte 2026, bis alle Mitgliedstaaten alle darin enthaltenen Gesetze umgesetzt haben. So lange ist nicht absehbar, ob mit den darin enthaltenen Reformen auch die gesteckten Ziele erreicht werden, wie eine geordnete und solidarischere Migrationspolitik.
Daher plädieren manche bereits dafür, wenigstens Teile des Gesetzpaketes früher umzusetzen. Einige EU-Staaten würden das bereits tun, indem sie abgelehnten Asylbewerbern gleich auch einen Rückführungsbescheid zukommen lassen, wie die EU-Kommissarin Helena Dalli erklärte. Die schleppenden Abschiebungen und niedrigen Rückführungsquoten abgelehnter Asylbewerber sind vielen Befürwortern einer schärferen Gangart ein Dorn im Auge. Nur ein Fünftel jener, deren Asylantrag abgelehnt wurde, würden schließlich in ihr Herkunftsland abgeschoben, war auch bei der EP-Debatte immer wieder zu hören.
Scharfe Kritik an Vorschlag der EU-Kommissionschefin
Doch es gebe Fortschritte, vermeldete Helena Dalli. Die effektiven Rückführungen seien in diesem Jahr von Januar bis Juni im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 18 Prozent gestiegen. 59.000 Rückführungen seien im ersten Halbjahr durchgeführt worden, so die maltesische EU-Kommissarin. Dabei würden die Mitgliedstaaten bei Abschiebungen unterstützt und die freiwillige Rückkehr gefördert. Dennoch brauche es ein gemeinsames europäisches Rückführungssystem, so Helena Dalli weiter. Allerdings konnten sich das EP und die Mitgliedstaaten in den vergangenen sechs Jahren nicht auf eine neue Rückführungsrichtlinie einigen. Die neue EU-Kommission will daher zu Anfang ihres Mandates einen neuen Vorschlag vorlegen.
Dass darin ebenfalls die Möglichkeit enthalten sein könnte, Rückführungszentren in Drittstaaten zu errichten, wie es die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem letzten EU-Gipfel in einem Schreiben an die EU-Staats- und Regierungschefs vorgeschlagen hat, wurde von manchen EP-Abgeordneten scharf kritisiert. Nicht so sehr vom Hauptredner der EVP-Fraktion, dem Schweden Tomas Tobé, der solche Zentren außerhalb Europas zumindest „prüfen“ will.
Es würden neue „Guantanamos“ eingerichtet, „Konzentra-tionslager für Menschen, die versucht haben, sich zu retten“, empörte sich die spanische Linken-Politikerin Estrella Galan, die vielmehr „legale und sichere Wege“ in die EU verlangte. Für die niederländische Grünen-Abgeordnete Teneke Strik wären solche „Rückführungsdrehkreuze“ eine Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, „sich aus der Verantwortung herauszuziehen“. Und auch die liberale Renew-Abgeordnete Fabienne Keller ist gegen die „innovativen Lösungen“ der EU-Kommissionschefin. Rückführungszentren „machen uns anfällig für Erpressungen durch andere“, warnt die Französin und empfiehlt: „Wir sollten souverän bleiben.“
Nicht an Fehlschlag inspirieren
Doch es waren auch andere Töne zu vernehmen, hauptsächlich aus den rechtspopulistischen und rechtsextremen Fraktionen. Es sei eine „Illusion“ zu glauben, dass Rückführungen eine Lösung seien, meinte die belgische Abgeordnete der Fraktion Europa der Konservativen und Reformer (EKR), Assita Kanko. „Illegale Migration – Deportation. Massenmigration – Massendeportation. Das sind die Antworten“, grölte der spanische VOX-Abgeordnete Jorge Buxadé Villalba in den Saal. Und der Hauptredner der EKR-Fraktion, Nicola Procaccini, meinte, das Migrationsphänomen müsse behandelt werden, noch bevor es auf europäischen Boden gelange.
„Die sozialistische Familie ist nicht bereit zuzulassen, dass das Schreiben von letzter Woche von Frau Von der Leyen den Migrationspakt abschafft“, betonte die Vorsitzende der S&D-Fraktion, Iraxte Garcia Perez. Ihre Fraktion werde nicht vor den Rechtsextremen in die Knie gehen, um Migrationsprojekte umzusetzen, die die Menschenrechte verletzten. Die Spanierin forderte eine „humanistische Migrationspolitik“ und prangerte Hass und Fremdenfeindlichkeit in der Debatte an.
Die Vorsitzende der liberalen Renew-Fraktion, Valérie Hayer, zerpflückte ihrerseits das Albanien-Modell der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni: Ganze 48 Stunden lang habe der Aufenthalt der 12 Migranten gedauert, die von den Italienern nach Albanien gebracht worden seien. „Wie kann man sich an einem solchen Fehlschlag inspirieren“, frotzelte die französische Liberale und warnte davor, mit „falschen Lösungen unsere Souveränität zu verramschen“.
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