Luxemburg-Stadt war am vergangenen Freitag, dem 8. März, Schauplatz einer lebendigen und energiegeladenen Demonstration: Die „Marche féministe“, organisiert von der Plattform „Journée internationale des femmes“ (JIF), versammelte um 17.00 Uhr rund 1.500 Menschen jeden Alters und Hintergrunds auf der place de Paris, um dann durch die Stadt bis zum Knuedler zu ziehen und sich vereint für einen Wandel in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Behandlung von Frauen starkzumachen.
Auf den Straßen herrschte eine geladene Stimmung, eine Mischung aus Empowerment und Frustration. Plakate mit kraftvollen Botschaften schmückten den Zug, der sich langsam, aber laut durch die Innenstadt bewegte.
Doch warum ist es im Jahr 2024 immer noch notwendig, am 8. März, dem Weltfrauentag, auf die Straße zu gehen? Ganz einfach: Weil die globale sowie auch die nationale Situation immer noch meilenweit von der Gleichstellung der Geschlechter entfernt ist!
Herausforderungen trotz Fortschritten
Trotz erheblicher Fortschritte im Streben nach Geschlechtergleichheit und Frauenrechten in den vergangenen Jahren bleibt die verbreitete Annahme, dass diese Bemühungen nun überflüssig seien, irreführend. Herausforderungen und Ungleichheiten bestehen weiterhin weltweit, und auch in Luxemburg gibt es noch viele Baustellen.
Die Geschlechterungleichheit zeigt sich in verschiedenen Bereichen, angefangen bei der Lohnungleichheit, wo Frauen immer weniger verdienen als Männer. Obwohl Luxemburg als einziges EU-Mitgliedsland Lohngleichheit auf Stundenlohnbasis erreicht hat, bestehen nach wie vor Ungleichheiten in den Jahresgehältern. Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit und sind vermehrt in schlecht bezahlten Branchen vertreten. Die Rentenlücke beträgt 43 Prozent, und Frauen tragen die Hauptlast unbezahlter Hausarbeit sowie die mentale Belastung der Familienführung. Familienpolitiken, die die Mutterpräsenz bevorzugen, verschärfen diese Ungerechtigkeiten.

Eine Frau, die in Teilzeit arbeitet und dann schwanger wird, muss dann mit 80 Prozent ihres Teilzeitlohns über die Runden kommen. Das ist unfair.
In diesem Kontext betonte Demonstrantin Mirka: „Es wird oft gesagt ,Hier in Luxemburg haben wir es gut, wir brauchen überhaupt nicht auf die Straße zu gehen.‘ Aber trotzdem gibt es immer noch Ungleichheiten. Sei es bei der Care-Arbeit oder in anderen Bereichen. Frauen arbeiten öfter in Teilzeit. Eine Frau, die in Teilzeit arbeitet und dann schwanger wird, muss dann mit 80 Prozent ihres Teilzeitlohns über die Runden kommen. Das ist unfair. Und auch im Kulturbereich gibt es eine Menge Ungleichheiten, egal ob Angestellte oder Freischaffende, und dafür möchte ich mich hier auch einsetzen.“
Auch die Wohnungsnot trifft Frauen besonders hart, da sie oft über ein geringeres Budget verfügen und häufiger alleinerziehend sind. Gewaltopfer haben oft Schwierigkeiten, angemessene Unterstützung zu finden, sei es in Frauenhäusern oder auf dem privaten Wohnungsmarkt. Heute noch berichtet in Luxemburg jede vierte Frau von sexueller Gewalt in ihrem Leben.
Die Vielfalt von Frauen und Gender
Auch in der politischen Vertretung ist die Parität noch in weiter Ferne. Frauen teilen diese diskriminierenden Erfahrungen mit anderen benachteiligten Gruppen, darunter die LGBTQIA+-Gemeinschaft, Menschen mit Rassismuserfahrungen, Migrantinnen, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und Studierende.

In diesem Sinne bringt Elsa Dos Santos ihre Motivation für die Teilnahme an der Demonstration auf den Punkt: „Ich bin hier, um unsere Rechte als Frauen einzufordern. Es ist wichtig, präsent zu sein. Ich beschwere mich immer, dass die Menschen in Luxemburg nicht militant genug sind und so möchte ich mit dem guten Beispiel vorangehen“, erzählt sie. Und auch unterstützt sie diese Demo aus einem ganz bestimmten persönlichen Grund heraus: „Natürlich macht man jeden Tag diese Erfahrungen als Frau. Dazu kommt, dass ich nicht nur eine Frau bin, sondern auch schwarz bin, ein Immigrantenkind. Ich befinde mich an dieser Schnittstelle unterschiedlicher Diskriminierungen, was den Leuten vielleicht nicht immer so bewusst ist. Man muss aber jeden Tag damit kämpfen und das ist unsichtbar. Man sieht es nicht. Daher ist es wichtig, auf die Straße zu gehen und seine Rechte zu verteidigen.“

Die Strahlkraft der Demonstration erstreckte sich sogar bis nach Nancy und mitten ins Herz der LGBTQIA+-Gemeinschaft. Die Mitglieder des House of Drag aus Nancy fielen durch ihre auffälligen und individuellen Erscheinungsbilder auf. Mit einer kreativen Mischung aus farbenfrohen, extravagant gestalteten Outfits und kunstvollem Make-up betonten sie ihre Einzigartigkeit. „Wir sind ein House of Drag aus Nancy. Wir sind heute am 8. März hier, weil es wichtig ist, die Vielfalt von Frauen und Gender zu veranschaulichen. Wir sind nicht-binäre Personen und stehen dafür ein, eine Weiblichkeit zu repräsentieren, die queerer ist als die, die man am 8. März üblicherweise antrifft, und somit eine andere, queere und damit auch inklusivere Repräsentation für alle heute diskriminierten Frauen zu erreichen“, erzählt Kassia Vaxelaire.

Dem fügt Mitperformer*in Souleman Chelli hinzu: „Wir sind also hier, um den Weltfrauentag zu feiern. In diesem Sinne haben wir ein kleines Event organisiert, eine Performance, die ein wenig von dem abweicht, was wir normalerweise tun. Es handelt sich um eine etwas theatralischere und politischere Performance, die mit den Forderungen der Demonstration verschmelzen wird. Dafür arbeiten wir mit einer Gruppe von Künstler*innen zusammen, die dieses Projekt auf die Beine gestellt hat.“
Die Luxemburger Künstler, von denen hier die Rede ist, sind das Künstlerkollektiv Richtung22. Luc Lamesch, Mitglied des Kollektivs, erläutert die Idee hinter ihrer Performance: „Wir tragen eine Statue, die subtil an eine kirchliche Skulptur erinnern soll, jedoch bewusst nicht daran gebunden ist, da die Kirche historisch gesehen oft Unterdrückung symbolisiert hat. Stattdessen soll sie eine Schutzfigur darstellen für all jene, die sich ungehört fühlen, Minoritäten verkörpern oder unterdrückt werden.“

Unweit dieser Schutzpatronin marschiert eine Frau, die uns ihren Namen zwar nicht verraten hat, jedoch ebenfalls eine Menge über die problematische Einstellung der Kirche zu erzählen hat: „Ich habe bei der Kirche gearbeitet und dort ist die Frau wirklich nichts wert! Männer hatten führende Positionen inne, obwohl sie keine bessere Ausbildung oder mehr Fähigkeiten hatten als die Frauen oder ich zum Beispiel. Sie sind einfach die Treppe hinaufgefallen, weil sie ein Mann waren. Das ist bei der Kirche gang und gäbe. Und ich bin der Meinung, dass die Kirche immer die Gesellschaft widerspiegelt.“
Männer haben sich an mich herangemacht, haben mich zu Handlungen gedrängt, in Situationen, in denen ich total machtlos war
Selbst heute erlebt sie, dass Männer weiterhin versuchen, ihr die Welt zu erklären. Aus diesem Grund hielt sie stolz ihr Schild mit der treffenden Aufschrift „Mansplaining Survivor“ hoch.
Früher hat sie eine Menge traumatisierende Erfahrungen gemacht, die sie teilen möchte: „Heute passiert es nicht mehr so oft, aber früher bin ich sehr oft sexuell … also ungewollt angefasst worden. Männer haben sich an mich herangemacht, haben mich zu Handlungen gedrängt, in Situationen, in denen ich total machtlos war.“ Mit diesen belastenden Erfahrungen im Gepäck, marschiert sie also heute dafür, dass nicht noch mehr Frauen unter solchen oder ähnlichen Situationen leiden müssen.
Dennoch ist sie sich bewusst, dass sich seit ihrer Jugend so einiges verändert hat: „Ich finde, dass, hier in unseren Ländern sehr wohl eine Menge passiert ist, aber es gibt immer noch eine Ungleichheit in der Gesellschaft. Männer, ob sie jetzt intellektuell sind oder nicht, behandeln Frauen oft wie Objekte, als seien sie kleine Kinder, denen man die Welt erst mal erklären muss.“ In ihren Augen bleibt es daher nach wie vor eine große Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen der angestrebten Gleichberechtigung der Frauen und ihrer eigenen Weiblichkeit, ihrer Stärken und Fähigkeiten als Frau zu finden.
Wem all diese Beispiele noch nicht Grund genug sind, der kann sich gerne das am vergangenen Freitag publizierte Editorial der Journalistinnen dieser Zeitung zu Gemüte führen, das weitere Einblicke und Perspektiven zu diesen Themen bietet.
Struktureller Sexismus, Patriarchat und Misogynie
In den vergangenen Jahren ließ sich international eine unkontrollierte Ausbreitung reaktionärer Bewegungen und Rechtsextremismus beobachten, wodurch die Rechte von Frauen und LGBTQIA+-Personen beeinträchtigt wurden. Auch 2024 sind Menschenhandel, Angriffe auf das Recht auf Abtreibung, sexuelle Gewalt im Migrationskontext und weitere Grausamkeiten nach wie vor Realität.
Die Ursachen dieser Probleme sind weltweit die gleichen: struktureller Sexismus, Patriarchat und Misogynie. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des diesjährigen Frauenstreiks appellieren daher an die Abgeordnetenkammer, die Regierung und den Staatsrat, diese Realität anzuerkennen und Geschlechtergleichheit in die Gesetzgebung und Politik zu integrieren. Sie betonen, dass vermeintlich geschlechtsneutrale Maßnahmen oft bereits benachteiligte Gruppen diskriminieren.
Die Organisatorinnen sehen im Gender-Mainstreaming die Antwort, um gegen jegliche Diskriminierung vorzugehen. Dies bedeutet, die Geschlechterperspektive systematisch in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, um Ungleichheiten zu identifizieren und aktiv entgegenzuwirken. Während die Europäische Union diese Lösung bereits seit den 1990er Jahren als Grundpfeiler verankert hat, ist es nun an der Zeit, dass Luxemburg seine Konzeption endlich aktualisiert.
Eine Tatsache fiel jedoch an diesem Tag besonders auf, und zwar die starke Präsenz der palästinensischen Demonstrantinnen und Demonstranten, die vor allem in eigener Sache demonstrierten. Die Mitorganisatorin und Direktionsbeauftragte des CID Fraen an Gender, Isabelle Schmoetten, äußerte sich dazu wie folgt: „Die JIF solidarisiert sich klar mit der palästinensischen Zivilbevölkerung, und wir freuen uns auch, dass sie dabei waren und sich Gehör verschafft haben. Am 8. März ist es jedoch wichtig, dass die Vielfalt feministischer Kämpfe sichtbar wird und dass wir untereinander freundlich, respektvoll und solidarisch sind.“ Man wolle sich keinesfalls von den Anliegen der palästinensischen Mitbürgerinnen und Mitbürger distanzieren. Bedauerlich sei nur, wenn dadurch andere Anliegen in den Hintergrund gedrängt würden.
Außerdem befeuere eine solche Situation den zurzeit auf den sozialen Medien sehr präsenten „White-Feminism-Bashing“. „White Feminism“ bezieht sich in diesem Sinne auf eine feministische Perspektive, die als zu stark auf die Erfahrungen und Interessen weißer Frauen fokussiert wird und wenig Sensibilität für die unterschiedlichen Herausforderungen und Diskriminierungen anderer ethnischer Gruppen zeigt. Dies findet Isabelle Schmoetten angesichts der explizit intersektionalen Ausrichtung der Plattform JIF und der Diversität ihrer Mitglieder in diesem Kontext jedoch nicht gerechtfertigt. Trotzdem zeigte sie sich von der diesjährigen Demo begeistert: „Es sind so viele Menschen gekommen, alles war bunt – wir sind absolut zufrieden.“

De Maart
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