EditorialWeltfrauentag: Wir haben eben nicht alles

Editorial / Weltfrauentag: Wir haben eben nicht alles
 Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Am 8. März ist der internationale Weltfrauentag. Wenn an diesem Tag weltweit Menschen für die Rechte der Frauen auf die Straße gehen, sind Stammtischparolen wie etwa „Warum brauchen die Frauen denn überhaupt einen eigenen Tag, sie haben doch bereits alles?“ oft nicht weit. Antworten auf diese Frage:

– Weil selbst in Europa ein Schwangerschaftsabbruch als Straftat gilt. Auf der Urlaubsinsel Malta sind Abtreibungen bei Vergewaltigung, Inzest oder schwersten Erkrankungen des Fötus nach wie vor illegal: Die Freiheitsstrafe für die Frau kann bis zu drei Jahre betragen, dem medizinischen Personal drohen Haftstrafen und lebenslängliches Berufsverbot. 

– Weil junge Mädchen in Afghanistan keine weiterführenden Schulen besuchen dürfen. 

– Weil am 16. September 2022 die Iranerin Mahsa Amini nach einer gewaltsamen Festnahme der iranischen Sittenpolizei in Teheran qualvoll starb. Ihr einziges „Vergehen“: Sie habe das vorgeschriebene Kopftuch nicht richtig getragen. 

– Weil 2023 laut Unicef 8.000-mal pro Tag (!) Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt an ihren Genitalien verstümmelt wurden. Etwa 500.000 beschnittene Frauen und Mädchen leben in der Europäischen Union – rund 650 in Luxemburg. Es wird geschätzt, dass mehr als 100 im Großherzogtum lebende Mädchen Gefahr laufen, bei einer Reise oder einem Aufenthalt in ihrem Heimatland beschnitten zu werden. 

– Weil Femizide verübt werden – Mord an Frauen, weil sie Frauen sind – und in den meisten Ländern kein eigener Straftatbestand sind. Die Witwenverbrennung existiert nach wie vor in Ländern wie Indien. Doch auch in Europa treten Fälle von Frauenmord auf. In Deutschland stirbt laut „BKA Gewalt in Partnerschaften in Deutschland“ fast jeden dritten Tag eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Das luxemburgische Strafrecht führt den Straftatbestand des Femizids nach wie vor nicht. 

– Weil immer noch viele Menschen unter häuslicher Gewalt leiden und Mädchen oder Frauen mehrheitlich davon betroffen sind – wie die Zahlen in Luxemburg belegen. Insgesamt 1.832 Fälle wurden 2022 laut dem „Rapport Violence“ vom Gleichstellungsministerium registriert: 1.100-mal waren Mädchen oder Frauen dabei das Opfer, 732-mal Jungen oder Männer. Von einer weitaus höheren Dunkelziffer wird ausgegangen. 

– Weil Frauen immer noch die Mehrheit der Care-Arbeit leisten. Diese umfasst die materielle und psychologische Unterstützung respektive Pflege der Familie sowie allgemeine Tätigkeiten des Haushalts, wie Putzen oder Kochen. Laut dem neuesten Gender Equality Index leisten 62 Prozent der Frauen in Luxemburg jeden Tag Kernarbeit, gegenüber von nur 49 Prozent Männern. Weltweit beläuft sich die von Frauen geleistete und nicht bezahlte Sorgearbeit auf einen Wert von 10,8 Billionen Dollar, wie Oxfam auf ihrer Webseite schreibt. 

Weil in Luxemburg nur 27 Prozent der Mitglieder in Sportvereinen weiblich sind. In den Vorständen der Luxemburger Sportklubs liegt der Frauenanteil sogar bei gerade einmal 21 Prozent.

– Weil der Frauenanteil in Entscheidungsgremien in Luxemburg zwar seit 2015 stetig gewachsen ist, dennoch sind die 50 Prozent, die zur Gleichstellung mit den Männern erforderlich wären, nach fast zehn Jahren nicht erreicht.

– Weil Frauen auch in der Luxemburger Politik noch unterrepräsentiert sind. Eine Premierministerin hatte das Land noch nie. Der Blick auf die Regierung zeigt weiter, dass diese sich lediglich aus fünf Ministerinnen, aber gleich zehn Ministern zusammensetzt. Im Parlament ist nur ein Drittel der Abgeordneten weiblich: 20 von 60. In der Lokalpolitik sieht es ähnlich aus: Nur etwa 30 Prozent der politischen Verantwortlichen in Gemeinderäten sind Frauen. 

– Weil Frauen heute immer noch den Preis für den jahrhundertelangen Sexismus im medizinischen Bereich zahlen. Viele Medikamente werden oder wurden hauptsächlich nur an Männern getestet und die Nebenwirkungen für Frauen sind teilweise unbekannt. Mit teils tödlichen Folgen. Außerdem werden ernsthafte und chronische Schmerzen bei Patientinnen häufiger als „übertrieben“ abgetan.

– Weil Frauen immer noch bei der Verhütung die Hauptverantwortung tragen müssen. Zwar sind Verhütungsmittel in Luxemburg mittlerweile kostenlos und somit die finanzielle Belastung geringer. Doch kann man das Tragen eines Kondoms und die jahrelange Beeinflussung durch hormonelle Mittel nicht miteinander vergleichen. 

– Weil die historischen Leistungen von Frauen immer noch nicht die gleiche Anerkennung bekommen wie die ihrer männlichen Kollegen. 

– Weil Frauen in den meisten Schulbüchern in Luxemburg völlig unterrepräsentiert sind – und Minderheiten wie etwa People of Color oder Personen mit einer Behinderung fast komplett unsichtbar sind. Das beweist eine rezente Studie von Dr. Sylvie Kerger, Enrica Pianaro und Claire Schadeck von der Uni Luxemburg. Von den 61.409 gezählten Figuren in 52 untersuchten Lehrbüchern waren 58,8 Prozent männlich, 21,1 Prozent weiblich und bei 20,1 Prozent konnte das Geschlecht nicht eindeutig bestimmt werden. So verschwinden Stereotypen nicht. 

– Weil der Umstand, dass Frauen weniger verdienen als Männer, fast schon eine alte „Kamelle“ ist und dennoch Bestand hat. Laut der neusten Statistik zum Equal Pay Day verdienen Frauen in der EU 13 Prozent weniger als Männer. Statec-Zahlen zeigen allerdings, dass die Situation in Luxemburg leicht anders ist. Im Großherzogtum arbeitende Frauen gelten im europäischen Vergleich als sehr gut bezahlt. Das gilt aber nur für den durchschnittlichen Stundenlohn, nicht hingegen für die Jahresgehälter, wie aus dem Papier hervorgeht. Spitzenlöhne verdienen nämlich immer noch mehr Männer als Frauen, sagt die Statistik. Und: Je nach Arbeitsbereich kann der Gender Pay Gap anders ausfallen.

– Weil weiblich gelesene Personen, die sogenannten „Minderheiten“ angehören, einem besonders hohen Risiko von Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt sind. Dies betrifft u.a. Personen mit einer Behinderung und Mitglieder der LGBTQIA+-Gemeinschaft. Laut Trans Murder Monitoring wurden 2023 mehr als 320 Trans-Personen ermordet. 94 Prozent von ihnen waren Frauen.

– Weil wir, auch in Luxemburg, noch jeden Tag Mikroaggressionen und Sexismus erleben. Und dann auch noch die Aufgabe übernehmen müssen, die betreffenden Personen auf ihre problematischen Aussagen aufmerksam zu machen und aufzuklären. 

– …

Darum.