Zagreb zittert vor dem letzten Urteil

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Von unserem Korrespondenten Thomas Roser

Zum Autor

Geboren 1962 in Traben-Trarbach. Ausbildung zum Keramikformer an der Porzellanmanufaktur Ludwigsburg. Studium der Journalistik in Dortmund und Utrecht. Volontariat beim Kölner Stadtanzeiger. Seit 1994 Korrespondent deutschsprachiger Zeitungen zunächst in den Benelux-Staaten (bis 2001) und Polen (bis 2006). Lebt und arbeitet seit 2007 als Balkan-Korrespondent in Belgrad. Seit 2013 bei Zeit online.

Mit Spannung wird der Ausgang des Berufungsverfahrens vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal gegen sechs bosnische Kroaten auch in Zagreb erwartet. Denn in erster Instanz hatte das Gericht die von Kroatien stets dementierte Verwicklung in den Bosnienkrieg bestätigt – und gegen Staatsgründer Tudjman schwere Vorwürfe erhoben.
Zumindest für Kroatiens Landesmutter Kolinda Grabar-Kitarovic gibt es an der Unschuld des Angeklagten im fernen Den Haag keine Zweifel. Der Beitrag von General Slobodan Praljk „zur Verteidigung von Kroatien und Bosnien und Herzegowina“ sei „von großer Bedeutung“ gewesen, ließ die Präsidentin kürzlich in einer Grußbotschaft wissen.

Völlig anders bewertet das UN-Kriegsverbrechertribunal dessen Wirken als Kommandant der bosnisch-kroatischen Armee (HVO) während des Bosnienkriegs (1992-1995): Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstöße gegen die Genfer Kriegsrechtskonvention war der heute 72-jährige 2013 in erster Instanz zu zwanzig Jahren Haft verurteilt worden.

Schwere Kriegsverbrechen

Nun wird das UN-Tribunal sein letztes Urteil vor dem Ende seines Mandats zum Jahreswechsel verkünden. Mit Spannung wird der Ausgang des Berufungsverfahren gegen sechs führende Politiker und Militärs des einstigen Parastaats Herceg-Bosna auch im benachbarten Kroatien erwartet.

Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien

Denn in erster Instanz hatte das Gericht die Angeklagten wegen schwerer Kriegsverbrechen an muslimischen Bosniaken nicht nur zu insgesamt 111 Jahren Haft verdonnert, sondern auch die von Zagreb stets dementierte Verwicklung in den Bosnienkrieg klar bestätigt: Ausdrücklich benannte das Tribunal Kroatiens verstorbenen Staatsgründer Franjo Tudjman als Teil einer „gemeinsamen kriminellen Vereinigung“ mit dem Ziel der Vertreibung der muslimischen Bevölkerung aus Herceg-Bosna.

Beim Ausbruch des Bosnienkriegs hatte die HVO zunächst Bosniens Regierungsarmee im Kampf gegen die Truppen der bosnischen Serben (VRS) unterstützt. Doch ab 1993 begannen in der Herzegowina die Spannungen zwischen den bosnischen Kroaten und muslimischen Bosniaken zu einem offenen Konflikt zu eskalieren. Mit der Unterstützung Zagrebs forderte die HVO die Regierungsarmee zunächst zum Rückzug aus den von den bosnischen Kroaten beanspruchten Gebieten auf.

Mit böser Vorahnung

Auf die Weigerung Sarajevos reagierte die HVO zwischen Mai 1993 und Januar 1994 mit heftigen Angriffen auf die geteilte Stadt Mostar und ethnische Vertreibungen: Hunderte von muslimischen Bosniaken wurden getötet, Tausende vertrieben.

Der Bürgerkrieg in Bosnien forderte zahllose Opfer

Es sind indes weniger die von der HVO begangenen Kriegsverbrechen von Ahmeci und Vitez, sondern der Vorwurf der Mitverantwortung des Mutterlands, der Kroatiens Öffentlichkeit vor der Urteilsverkündung beschäftigt: Ziel Zagrebs sei die Schaffung einer ethnisch gesäuberten Entität gewesen, die bei einem Zerfall Bosniens ans Mutterland angegliedert werden oder als autonomer Teilstaat enge Bindungen zu Kroatien haben sollte, so die Richter in erster Instanz.

Schon im Prozess gegen General Ante Gotovina hatte das Tribunal Ex-Präsident Tudjman in erster Instanz als Angehörigen einer kriminellen Vereinigung zur Vertreibung der Serben aus der Krajina bezeichnet, den Vorwurf aber im Berufungsurteil 2012 fallen gelassen. Zwar hofft Zagreb nun auf ein ähnliches Szenario. Doch mit einem Freispruch für die Angeklagten scheint dieses Mal nur schwerlich zu rechnen.

Auch die von der Anklage vorgelegten Gesprächsprotokolle und Geldanweisungen haben den Vorwurf der Kontrolle und Steuerung der HVO durch Zagreb eher bekräftigt als entkräftet. „Kroatien erwartet das Urteil über Heceg-Bosna mit böser Vorahnung“, titelte am Montag düster die Zeitung Novi List.