Mafia ist stärker als vor 30 Jahren

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Von unserem Korrespondenten Wolf H. Wagner, Florenz

Das organisierte Verbrechen ist in Italien fest verankert – und reicht über die Landesgrenzen hinaus, wie eine neue Verhaftungswelle auch in Deutschland zeigt. Die Mafia nutzt die nördlichen Nachbarländer auch zur Geldwäsche.

In der Nacht zum Dienstag wurden in ganz Italien und in einigen deutschen Bundesländern 169 Angehörige der kalabresischen Mafia ’Ndrangheta verhaftet. In einer zeitgleichen Aktion schlugen die Beamten der Antimafiaspezialeinheit der Carabinieri sowie Angehörige verschiedener deutscher Polizeien in Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen zu. Mafiaeigentum in Höhe von 50 Millionen Euro wurde beschlagnahmt.


Deutschsprachige Behörden sind im Nachteil

Bei der Verhaftungsaktion am Dienstag wurden auch Pläne aufgedeckt, das in der Schweiz vorhandene Netzwerk der ’Ndrangheta zu erweitern. Erleichtert werden diese Aktivitäten der organisierten Kriminalität dadurch, dass es in den Staaten nördlich der Alpen kaum rechtliche Handhabe gegen Mafiosi gibt, solange keine Straftaten im betroffenen Staat selbst begangen wurden. Erst seit dem Sommer 2017 ist die Zugehörigkeit zu einer Mafia auch in Deutschland Straftatbestand, können Eigentum und Gelder beschuldigter Personen beschlagnahmt werden. Meist jedoch fehlt es den deutschen, österreichischen und Schweizer Behörden an Mitteln, Personal oder auch einfach Sprachkenntnissen, um gegen die Clans erfolgreich vorgehen zu können.

Auch Provinzchef festgenommen

Der Schlag richtete sich gegen den Clan Farao-Marincola aus Cirò Marina. Zu den prominenten Festgenommenen zählt der Präsident der Provinz Crotona, Nicoderno Parrilla. Der Politiker, der seit geraumer Zeit verdächtigt wird, der ’Ndrangheta anzugehören, wurde erst im vergangenen Jahr mit 62 Prozent der Wählerstimmen zum Chef der Provinz gewählt. Auch weitere Lokalpolitiker befinden sich unter den aktuell Verhafteten.

Die Aktion bestätigt, was viele Italiener befürchten: Die Mafias im Lande sind ausgedehnt verbreitet und stärker als je zuvor.

Umfragen zeigen Ängste auf

Jeder dritte Italiener ist davon überzeugt, dass die organisierte Kriminalität heute stärker im Lande aktiv ist als vor 30 Jahren. Zu jener Zeit ging das osteuropäische sozialistische System seinem Untergang entgegen. Der italienische Staat, der bislang die Mafia im Kampf gegen die „kommunistische Bedrohung“ nutzte, richtete nun seine polizeilichen Aktivitäten gegen die Clans. Die antworteten mit einer Mord- und Terrorserie, die erst 1993 nach Geheimabsprachen zwischen den führenden Köpfen beider Seiten beendet werden konnte.

Seither versuchen die Sonderstaatsanwaltschaften und Spezialeinheiten von Carabinieri und Polizei, wenigstens den Gipfel der organisierten Kriminalität unter Kontrolle zu halten. Führende Bosse wie Toto Riina und Bernardo Provenzano wurden verhaftet und verstarben mittlerweile in Isolationshaft. So genannter Isolationshaft muss man hinzufügen, denn die Bosse leiteten die Clans auch aus ihren Zellen.

Viele Italiener trauen den Erfolgen der Polizei nicht

Der Umfrage von Demos zufolge sind die Italiener allerdings nicht von der Wirksamkeit der staatlichen Maßnahmen überzeugt. 46 Prozent glauben, die Mafia ist so stark wie eh und je, 32 Prozent halten sie sogar für stärker als früher.

Die Clans von ’Ndrangheta, Camorra und Cosa Nostra agieren längst nicht mehr nur in ihren angestammten Gebieten Kalabrien, Kampanien oder auf Sizilien. 47 Prozent der Befragten sind sich sicher, dass der italienische Norden, vor allem die Lombardei und das Piemont, aber auch Südtirol und Venetien sowie Teile der Emilia Romagna von den Tentakeln der Clans infiltriert sind. Ein Viertel davon ist überzeugt, dass sich die Aktivitäten verstärken. Interessant ist dabei ein Abgleich mit den politischen Kräften der Region: Während Anhänger und Wähler der linken Bewegungen von LeU (Frei und Gleich des ehemaligen Antimafiarichters und derzeitigen Senatspräsidenten Pietro Grasso) und Pd von einer hohen Durchsetzung überzeugt sind, glauben die von Forza Italia und Lega eher, dass die Mafia in „ihrem Bereich“ weniger aktiv ist.

Sprungbrett über die Alpen

Der Generalstaatsanwalt von Catanzaro, Nicola Gratteri, beobachtet bereits seit Jahren mit Sorge, dass sich die Aktivitäten der Clans nach Norden und auch über die Alpen verlagern. Gratteri, der die aktuelle Verhaftungsaktion koordinierte, zeigte sich bereits zu Beginn dieses Jahrzehnts überzeugt, dass ’Ndrangheta und Cosa Nostra ein weit verzweigtes Netz in Deutschland betreiben. Mehr als 300 Restaurants in verschiedenen Bundesländern, die als Umschlagplatz für Drogen und Waffen, für Geldwäsche und als Unterschlupf für flüchtige Mafiosi dienen, führte er in einer Liste auf.