„Ich bin zen“

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In seiner Fraktion war er der Fachmann für Transport- und Umweltthemen. Doch Roger Negri (LSAP) interessiert sich auch für Finanzpolitik. Laute Töne mag der Politiker nicht. Er setzt auf profunde Kenntnis der ihm anvertrauten Dossiers. Sein Parlamentsmandat hat er einem jüngeren Parteikollegen überlassen.

Tageblatt: Was war Ihr größter politischer Erfolg?

Roger Negri: 2005 war ich Budgetberichterstatter für 2006. Es war das erste Jahr, in dem man bereits erste Anzeichen der Krise verspürte. Am Ende desselben Jahres mussten 300 Millionen Euro im Etat gestrichen werden. Das war schon eine große Herausforderung. Spannend und äußerst bereichernd dabei war, dass ich mich ausgiebig mit einer neuen Haushaltsarchitektur befasste: der „Loi organique relative aux lois de finances“* (LOLF). Dabei hatte ich mich bei unseren französischen Nachbarn inspiriert. Ich traf mich mit einem der Initiatoren der französischen LOLF, dem Abgeordneten Didier Migaud. Ende 2009 hatte ich dann einen entsprechenden Gesetzesvorschlag unterbreitet. Ich bin der Ansicht, dass ein besseres „suivi“ der Finanzen notwendig ist. Der Vorschlag liegt noch immer vor und wartet auf das Gutachten des Staatsrats. Ich war zwar transport- und umweltpolitischer Sprecher meiner Fraktion, aber der Bereich Finanzen hat mich schon immer stark interessiert.

Und Ihre größte Enttäuschung?

Eine große Enttäuschung habe ich eigentlich nicht erlebt. Oder doch: Persönlich und politisch enttäuschend war der Ausgang des Referendums von 2015. Ich finde es bedauerlich, dass wir nicht wegen der Sache an sich, sondern wegen des politischen Umfelds abgestraft worden sind. Ich empfinde das als Rückschlag für die ganze Koalition.

An welchem Projekt hätten Sie noch unbedingt mitwirken wollen?

Die LOLF habe ich genannt. Im Verkehrsbereich muss noch viel geschehen. So wie unser Land wächst – aber das ist ja eine andre Debatte – brauchen wir viel mehr Infrastruktur in allen Bereichen. Ich hatte seinerzeit einen Gesetzesvorschlag gemacht, die Zugstrecke Luxemburg-Bettemburg zu verdoppeln und eine neue Verbindung zwischen Luxemburg und Esch zu bauen. Letztere ist in den vergangenen Jahren in Vergessenheit geraten. Am Anfang aus finanziellen Gründen. Ich bleibe aber überzeugt, dass wir eine direkte Verbindung zwischen beiden Städten brauchen, insbesondere auch wegen der Uni auf Belval. In meiner letzten Parlamentsrede am 16. Januar 2018 habe ich gesagt, dass man das Projekt nicht aus den Augen verlieren sollte. Nun wird ja an eine Verlängerung der Tram bis Leudelingen gedacht, und ja, es ist ja dann nicht mehr weit bis Esch.

Im Parlament sind verschiedene Parteien vertreten. Die meisten Gesetzesvorhaben werden auch von der Opposition mitgetragen. In dieser Legislaturperiode beispielsweise hat die CSV 80 Prozent der Projekte befürwortet. Gab es in Ihrer politischen Laufbahn Momente, in denen Sie sich sagten: Eigentlich könnte ich ja auch in jener Partei sein?

Ich hätte mir nicht vorstellen können, einer anderen Partei anzugehören. Ich muss aber ganz offen sagen, und das aufgrund meiner 18-jährigen Erfahrung in der Gemeinde Mamer und von zwei Legislaturperioden, in denen wir als LSAP mit der CSV die Regierung bildeten, dass ich eher Positionen der CSV teilen kann, wenn auch nicht in den Bereichen, in denen sie das C tragen. Aber in sozialpolitischen Fragen würde ich mich schon eher bei der CSV zurechtfinden. Ich empfinde mich als linker Realpolitiker.

Gab es in Ihrer Vergangenheit Misstöne zwischen Regierung und Parlament? Was stört im Verhältnis Regierung-Parlament?

Misstöne gab es eigentlich keine. Ich konnte und habe stets meine Meinung in der Fraktion gesagt. Dass da manchmal kritischer diskutiert wurde, ist eigentlich normal. Aber Misstöne zwischen Regierung-Parlament … Um offen zu antworten: Ich musste niemals Projekte stimmen, die ich im Endeffekt nicht hätte mittragen können. Es ist normal, dass man nicht in allen Punkten einer Meinung ist. Man muss immer Kompromisse eingehen. Als Politiker habe ich die Erfahrung gemacht, dass man seine Bedenken gleich zu Beginn äußern soll. Wenn die Sache abgehakt ist, ist es zu spät und man kann ohnehin nicht mehr viel tun, abgesehen von Lärm schlagen. Aber das war nie mein Stil. Wenn man sich rechtzeitig einbringt, hat man noch eine Chance, Änderungen vornehmen zu lassen. Aber das setzt natürlich voraus, dass man das Dossier kennt.

Wenn ich ein Problem hatte, habe ich nicht gezögert, den Ressortminister, ungeachtet seiner Parteizugehörigkeit, anzurufen. Mit der Zeit wird man dann auch um seine Meinung gefragt, und das gleich zu Beginn des Gesetzgebungsprozesses. Dann darf man jedoch nicht zögern, seine Meinung wirklich zu sagen.

Was müsste noch getan werden, um die Parlamentsarbeit zu verbessern?

In meinen Jahren als Abgeordneter hat sich das Parlament sehr stark emanzipiert. Vieles wurde geändert. Das Parlament gewinnt an Gewicht. Ohne Staatshaushalt läuft nichts. Dessen Ausführung muss ständig kontrolliert werden. Das ist ja eigentlich auch der Sinn meines Gesetzesvorschlags (LOLF). Es gibt gute Ansätze (für diese Kontrollarbeit, Anm. d. Red.) mit dem Budgetkontrollausschuss. Dort wird dann darauf verwiesen, dass beispielsweise Kreditüberschreitungen eines Ministeriums genehmigt werden müssen. Gut ist auch das regelmäßige Infragestellen von Gesetzen.

Nutzt das Parlament seine Vollmachten?

Kann man schon sagen. Man kann natürlich stets mehr tun. Ich muss sagen, dass ich begeistert bin von der Demokratie, wie wir sie in Luxemburg ausüben. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit. Man muss sich ständig infrage stellen.

Was würden Sie einem jungen Parlamentsmitglied oder einem jungen Menschen, der sich der Politik verschreiben will, raten?

Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Und niemals aufgeben. Wenn man von seiner Idee überzeugt ist, soll man dranbleiben. Und man sollte auch wissen, wann man aufhört.

* Die LOLF sieht einen Umbau der Budgetarchitektur vor. Die Zuwendung öffentlicher Mittel würde nicht nach Ministerien und Abteilungen, wie derzeit im Budgetgesetz, sondern nach konkreten Projekten erfolgen. Das würde die Lesbarkeit des staatlichen Haushalts verbessern und dem Parlament eine bessere Kontrolle über die Verwendung der öffentlichen Mittel ermöglichen.


Anstrengender Kumul

„Wäre ich nicht Abgeordneter, hätte ich Ende des Jahres ohnehin die Altersgrenze erreicht. Dann wäre ich in Rente gegangen“, sagte Roger Negri (64) zu seiner Rücktrittsentscheidung. Man soll das auch tun, um jungen Menschen Platz zu lassen. Er sei von seiner Partei gefragt worden, ob er nicht seiner Nachfolgerin (Simone Asselborn-Bintz) eine Chance geben wolle, um noch einige Monate Parlamentsarbeit erledigen zu können. Diesem Wunsch sei er gerne nachgekommen. Roger Negri trat am 1. April zurück. Dem Abgeordnetenhaus gehörte der ehemalige CFL-Abteilungsleiter seit dem 3. August 2004 an.

„Vieles, wofür ich mich eingesetzt habe, wie die Tram etwa, wurde umgesetzt oder wird es bald.“ Er habe sich in parlamentarischen Fragen für eine Fortführung der Tramlinie über die Arloner Straße bis nach Mamer, Capellen ausgesprochen. „Wenn ich nun sehe, dass dies in den sektoriellen Leitplänen eingetragen wird, dann kann ich sagen: Mission accomplie. Ich bin zen.“ Politisch aktiv bleibt Negri auf kommunaler Ebene. Seit dem 1. Januar 2000 ist er Schöffe in Mamer. Die letzten 14 Jahre als Deputierter und Schöffe im Kumul seien nicht immer einfach gewesen. Da bleibe wenig Zeit für die Familie und für sich selbst. Nun will er sich mehr mit der Gemeinde beschäftigen.