Freier in der Grauzone

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Verbieten oder legalisieren und regulieren? Luxemburg hat sich für keines von beidem entschieden. Eigentlich haben die großen Parteien das gleiche Ziel: die Prostitution loswerden. Nur traut sich keiner, eine klare juristische Richtung einzuschlagen.

Wie sollte eine Gesellschaft mit Prostitution umgehen? Sollte sie akzeptieren, dass Menschen ihren Körper gegen Geld verkaufen oder aber dagegen vorgehen und versuchen, die Prostitution auszumerzen? Eine richtige oder falsche Antwort gibt es auf diese Frage nicht. Trotzdem muss sich eine Gesellschaft überlegen, wie sie damit umgehen will. Und schließlich muss die Politik eine Entscheidung treffen und eine Richtung einschlagen. In Luxemburg wird am kommenden Dienstag im Parlament über ein neues Prostitutionsgesetz abgestimmt. Wobei der Entwurf diesen Namen kaum verdient. Es handelt sich vielmehr um eine Reihe Maßnahmen, die die Grauzone etwas entschärfen und der Polizei helfen sollen, gegen die Zuhälterei und den Menschenhandel vorzugehen. Eine wirkliche Richtung schlägt Luxemburg nicht ein.


Das „luxemburgische Modell“

Auch wenn die Politik ihren Ansatz „luxemburgisches Modell“ getauft hat, wähnt sich das Land weiter in der Grauzone. Prostitution wird nicht kriminalisiert, aber auch nicht legalisiert und reguliert. Luxemburg setzt seinen Fokus vielmehr auf die Bekämpfung der Zuhälterei und des Menschenhandels. Das Gesetz, das am Dienstag im Parlament gestimmt wird, konzentriert sich deswegen vor allem auf diesen Bereich. Einige Änderungen wird es trotzdem geben: Der Kauf von Sexdiensten wird verboten, wenn es sich bei der Prostituierten um eine Minderjährige handelt. Das Gesetz verbietet auch den Kauf von Sexdiensten von „verwundbaren“ Menschen. Dazu gehören beispielsweise Behinderte. Des Weiteren hat die LSAP einen Paragrafen eingebaut, der die Konfiszierung von Papieren wie zum Beispiel Pässen verbietet. Die Polizei kann in Zukunft bei Verdacht auf Prostitution Kontrollen in öffentlichen Gebäuden durchführen. Sie muss sich dafür grünes Licht von der Staatsanwaltschaft holen. In Privaträume kann sie eintreten, wenn sie Indizien auf Zuhälterei oder Menschenhandel hat. Auch hier muss die Staatsanwaltschaft grünes Licht geben.


„Ich bin nicht zuständig für die Prostitution, sondern für die Bekämpfung der Zuhälterei.“ Wenn man Justizminister Felix Braz („déi gréng“) auf das sogenannte „luxemburgische Modell“ und die Philosophie dahinter anspricht, wird aus dem Politiker plötzlich ein Technokrat. „In meinen Bereich fällt nur die Bestrafung dessen, was nicht erlaubt ist“, meint er. Wenn man ihn darauf anspricht, dass er als Politiker mitgestalten kann, was erlaubt ist und was nicht, weicht er aus. Auch die Frage nach dem Ziel des neuen Gesetzes kann er nicht wirklich beantworten. Er wiederholt nur immer wieder, dass er lediglich für das zuständig sei, das sich außerhalb einer einvernehmlichen Beziehung zwischen zwei Erwachsenen abspielt. „Unsere Strategie gegen Prostitution wurde ja im nationalen Aktionsplan festgelegt und der juristische Teil dieses Plans ist nur ein Aspekt“, sagt der Minister.

Weder schwedisch noch deutsch

Tatsächlich hat die luxemburgische Regierung vor etwa zwei Jahren ihren Plan vorgestellt. Dieser bestand aus fünf Pfeilern. Neben der Ausarbeitung des Gesetzes sollte die professionelle Begleitung der Prostituierten durch Ärzte und Sozialarbeiter verbessert, die Prävention und Information verstärkt und eine sogenannte Exit-Strategie ausgearbeitet werden, die den Prostituierten helfen soll, aus ihrem Gewerbe auszusteigen.

Es handelt sich hier um ganz pragmatische Maßnahmen, die jedem einleuchten sollten. Nur ist die Frage nach der Existenzberechtigung der Prostitution keine pragmatische, sondern eine ethische. Als vor ein paar Jahren eine Umfrage zur Prostitution vom luxemburgischen Institut TNS Ilres durchgeführt wurde, meinten 73 Prozent der Befragten, dass „die Prostitution ein Gesellschaftsphänomen ist, das organisiert und reguliert werden sollte“. Fast drei Viertel der Befragten sprachen sich also für das legalisierende Modell aus.

19 Prozent fanden das schwedische Modell am naheliegendsten, bei dem zwar der Kunde rechtlich belangt wird, die Prostituierte allerdings nicht juristisch verfolgt werden kann. Drei Prozent sprachen sich für eine Kriminalisierung des Kaufes und des Verkaufes von Sex aus und zwei Prozent hatten keine Meinung.

„Die verschließen ihre Augen“

Für die Berichterstatterin Josée Lorschée („déi gréng“) handelt es sich beim luxemburgischen Modell um ein abolitionistisches Modell – also um eines, das darauf abzielt, Prostitution loszuwerden. „Wir wollen den Beruf nicht als würdiges Geschäft anerkennen“, so die Abgeordnete. In Deutschland, wo die Prostitution legalisiert und reguliert wurde, gebe es immer mehr Sextourismus. Lorschée spricht zwar von Abolitionismus, sie hält eine Kriminalisierung trotzdem für sinnlos. „Wir sind ein kleines Land“, so Lorschée. „Wenn der Kunde weiß, dass er hier bestraft wird, ist er in einer halben Stunde in Trier.“ Sowieso könne man nicht kontrollieren, was zwei Menschen in ihren vier Wänden tun würden.

Lorschée weist im Gespräch auch darauf hin, dass das schwedische Modell mittlerweile umstritten ist: Wenn zwei Menschen miteinander schlafen wollen, sei das „ihre Privatsphäre“. Das könne ihnen kein Gesetz verbieten. „In Schweden gibt es sogar einige Regionen, in denen das Gesetz überhaupt nicht angewandt wird, weil es als sinnlos erachtet wird.“ Lorschée geht sogar weiter. Das Modell ist ihrer Meinung nach gefährlich: „Die verschließen einfach die Augen und tun so, als gebe es dieses Phänomen nicht“, meint sie.

„Wir wollen die Prostitution loswerden“

Die CSV sieht das anders. Zumindest mittlerweile. Die größte Oppositionspartei hat lange nach einer klaren Linie gesucht. Gilles Roth drückt sich vorsichtig aus, wenn er über eine Richtung spricht, in die Luxemburg gehen sollte: „Das schwedische Modell ist ein Ziel.“ Man solle einfach ehrlich sein und zugeben, dass nicht viele Frauen sich aus Spaß prostituieren. Ihm ist klar, dass das Modell seine Schwächen hat. Diese seien allerdings nicht unüberwindbar. Der ethische Ansatz der CSV ist aber klar: „Die Zielsetzung sollte sein, dass wir die Prostitution loswerden.“

Trotz dieser scheinbar klaren Linie störte sich Roth vor allem an technischen Details des Textes. Als er den Entwurf in den vergangenen Wochen kritisierte, ging es vor allem um Polizeibefugnisse, viel weniger um die philosophische Richtung des Gesetzes. Er warf Braz vor, der Polizei zu viele Rechte einzuräumen. Dieser entgegnete, dass das Gesetz juristische Klarheit schaffe und die Rechte der Polizei sogar teilweise einschränke, da sie nun Indizien brauche statt wie zuvor nur einen Verdacht auf „débauche“, also „Ausschweifung“. Sogar die Opposition traute sich also nicht wirklich, die Richtungslosigkeit der Regierung infrage zu stellen.

„Es gibt keine Patentlösung“

Der LSAP-Abgeordnete Franz Fayot, der sich für seine Partei mit dem Entwurf befasste, spricht aus, was im Raum steht: „Eigentlich ändert das Gesetz nichts am Luxemburger Modell.“ Zwar sei es in Zukunft möglich, härter gegen Zuhälterei vorzugehen, aber: „Wir übernehmen weder das schwedische noch das deutsche Modell“, sagt Fayot. Genau wie die anderen Parteien vertritt aber auch die LSAP die Position, dass Prostitution verschwinden sollte. Man könne ja fast nicht anders, als mit diesem philosophischen Ansatz einverstanden zu sein, sagt der Abgeordnete.

„Im besten Fall würde keiner mehr die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen“, so Fayot. Trotzdem sehe die Realität anders aus. Genau wie Lorschée nutzt er das Argument des nahen Auslands, in das die Freier ausweichen würden, wenn der Akt in Luxemburg kriminalisiert würde. „Wir müssen also pragmatisch mit dem Phänomen umgehen.“ Weder das schwedische noch das deutsche Modell hätten das Problem lösen können. Hinzu komme, dass einige Prostituierte ihrem Job tatsächlich aus einer „gewissen Entscheidung“ heraus nachgehen würden. „Es gibt keine Patentlösung, sonst wäre sie schon gefunden worden.“

Eine Grauzone namens „luxemburgisches Modell“

Auch die DP unterstützt das Gesetz in seiner jetzigen Form. Ihre Jugendabteilung, die „Jonk Demokraten“, hatte zwar vor etwa einer Woche einen Vorstoß gewagt und forderte – ganz nach der liberalen Philosophie – eine Legalisierung und Regulierung nach deutschem Modell. Das beeindruckt den DP-Fraktionsvorsitzenden Eugène Berger aber recht wenig: „Unsere Jugendpartei ist wie jede andere unabhängig von uns“, sagt er. „Sie kann ihre Meinung haben, das ändert aber nichts daran, dass wir das Projekt unterstützen werden.“ Keiner der DP-Abgeordneten habe ein Problem mit dem Entwurf. Die ganze Fraktion stehe dahinter.

Eine klare Gesetzgebung wird es also auch in Zukunft nicht geben. Die Parteien sind sich einig, was das Ziel angeht. Trotzdem beschränken sie sich darauf, den Kampf gegen die Zuhälterei zu verstärken, statt eine klare Richtung einzuschlagen. Luxemburg wähnt sich weiter in seiner eigens eingerichteten Grauzone, die kurzerhand von der Politik zum „luxemburgischen Modell“ umdeklariert wurde. Wirklich ändern, wird sich trotz des Namens nichts.


Verbieten oder legalisieren?

Es gibt für die Politik keine tausend Möglichkeiten, mit Prostitution umzugehen. Neben der Grauzone, in der sich immer noch zahlreiche Länder in Europa befinden, haben sich drei Modelle herausgeschält. Auf folgender Karte sehen Sie, welche europäischen Länder welches Modell benutzen.

Das Verbot

Beim prohibitionistischen Modell steht sowohl der Kauf als auch der Verkauf von Sexdiensten unter Strafe. Es ist vor allem im Osten Europas weit verbreitet. Die Politik setzt bei diesem Modell auf Abschreckung, um gegen die Prostitution vorzugehen. Das reine Verbot ist mittlerweile höchst umstritten, da sich die Prostituierten nicht an die Behörden wenden können, ohne sich selbst strafbar zu machen. Im prohibitionistischen Modell sind sie Täter, genau wie ihre Kunden.

Die Regulierung

Manche Länder haben entschieden, Prostitution zu legalisieren und zu regulieren. Dadurch soll sie einerseits entstigmatisiert werden, andererseits soll es der Politik und den Behörden möglich gemacht werden, das Gewerbe besser zu kontrollieren. Die Prostitution wird im regularistischen Modell als Beruf anerkannt. Die Prostituierten werden versichert und zahlen Sozialabgaben. Einige Länder, darunter die Niederlande und Deutschland, gingen einen Schritt weiter: Sie erlauben sogar die Zuhälterei unter bestimmten Bedingungen.

Das schwedische Modell

Schon Ende der 90er Jahre entschied sich Schweden für ein Modell, das sich abseits des Verbotes und der Legalisierung befand. Nach intensiven Diskussionen in der schwedischen Gesellschaft stand fest: Der Kauf von Sex-Dienstleistungen – so befand es die schwedische Politik – ist ein Akt der Gewalt von Männern gegen Frauen und Kinder. Deswegen steht der Kauf unter Strafe, genau wie beim prohibitionistischen Modell. Nur verzichtet das schwedische Modell auf eine Kriminalisierung des Verkaufs. Die Prostituierten machen sich also nicht strafbar und können sich notfalls an Behörden wenden, ohne Konsequenzen zu befürchten. Sie werden in der schwedischen Gesetzgebung als Opfer betrachtet. Das Modell wurde später in anderen europäischen Ländern in teils angepassten Versionen kopiert.