Ein persönliches Album von Lady Gaga

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(dpa)

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Zitternde Electro-Beats, verrücktes Make-up und Abendkleider aus rohem Fleisch waren gestern. Verwandlungskünstlerin Lady Gaga streift mit "Joanne" ein Stück ihrer Extravaganz ab, erzählt eine aufrichtige Geschichte – und hat sich gerade dadurch wieder einmal neu erfunden.

Bei den MTV Video Music Awards hing sie wie leblos mit Kunstblut beschmiert über der Bühne. Bei den Grammys stieg sie aus einem überdimensionalen Ei. Bei einem Konzert in Texas erbrach Künstler Millie Brown grüne Flüssigkeit auf ihren halbnackten Körper. Abenteuerliche Auftritte und polarisierende Outfits waren stets das Markenzeichen von Lady Gaga, die sich mit jeder Performance und jedem Song wie ein Chamäleon neu zu färben schien. Mit ihrem fünften Album „Joanne“ hat sich die Diva vom Freak-Status verabschiedet.

Was nicht heißt, dass die vorsichtige Rückbesinnung zur Normalität einen Karriereknick für die 30-Jährige bedeuten würde. Doch im am Freitag erschienenen Album präsentiert sich Lady Gaga von einer ganz persönlichen, ruhigen und ehrlichen Seite, wie schon der Titel verrät: „Joanne“ ist der Mittelname der bürgerlich als Stefani Germanotta bekannten Sängerin sowie der Vorname ihrer Tante Joanne Stefani Germanotta, die im Alter von 19 Jahren an den Folgen der seltenen Autoimmunkrankheit Lupus erythematodes verstarb.

Das Spiel mit den Genres

Auf 13 Titeln durchquert die stark von Country beeinflusste Lady Gaga die Welten von Funk, Pop, Dance und Electro. Sie erweitert ihren musikalischen Horizont, spielt mit Genres und liefert trotzdem die typischen Pop-Titel, auf die Fans gehofft haben dürften. „Diamond Heart“ etwa, oder das vom „Queens of the Stone Age“-Musiker Josh Homme begleitete „John Wayne“, die beide beste Chancen haben, zu Hits bei der Super-Bowl-Halbzeitshow im Profi-Football im Februar zu werden.

Doch die Größe von „Joanne“ liegt in den sanfteren Titeln, in denen die wahre Kraft ihrer Stimme abseits von Gaga-Glamour und Bling-Bling zum Vorschein kommt. Sie erzählt von Kummer und Schmerz, zum Beispiel in der bewegenden, gleichnamigen Single für ihre verstorbene Tante. „Der Himmel ist nicht / Bereit für Dich“, heißt es im Text. „Ich bin gläubig, es herrscht Chaos / Wo sind unsere Anführer?“, fragt sie im politischen Stück „Angel Down“. Der Titel erzählt auch von der Angst der Afroamerikaner, von Polizisten erschossen zu werden.

Ungefiltert

„Die Gefühle auf dem Album haben kein Make-up, keinen Filter. Es geht direkt in die Eingeweide“, sagt sie dem Apple-Radiosender „Beats 1“. „Stimmlich und textlich versuche ich Schwingungen zu erzeugen, bei denen du das Gefühl hast, ich gebe dir eine Umarmung oder eine Art Erlösung. Einen Platz, wo du wütend sein kannst oder an dem du dich geheilt fühlst.“ Wer Lady Gaga so sprechen hört und sich an zitternde Electro-Beats und an Club-Knaller wie „Poker Face“, „Bad Romance“ oder „Just Dance“ erinnert, fühlt sich kurz in einer verkehrten Welt.

Nicht alle Fans werden die ungeschminkte Lady Gaga daher lieben, die auf dem Cover im schlichten Seitenprofil mit einem rosafarbenen Hut posiert. Schon die rohe, ungesüßte Single-Auskopplung „Perfect Illusion“ im September hatte eher verhaltenes Interesse ausgelöst. Aber nachdem die Grammy-Gewinnerin sich aus immer neuen Kostümen geschält und musikalisch immer wieder gehäutet hat, ist der Blick nach innen womöglich der spannendste. Er zeigt, dass selbst die pinke Pop-Primadonna eine ganz normale, ehrliche Seite hat.