Die französische Atomlobby zittert

Die französische Atomlobby zittert
(Robert Spirinelli)

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Im Fall eines Wahlsiegs der Sozialisten sollen 24 von 58 Reaktoren in Frankreich abgeschaltet werden. Die Atomlobby muss jetzt das bislang Unvorstellbare denken.

Die bislang allmächtige französische Atomlobby muss zum ersten Mal in ihrer Geschichte ernsthaft um ihre Zukunft zittern. Die derzeit in allen Umfragen führenden Sozialisten gehen mit dem Versprechen in die Präsidentschaftswahlen 2012, bis Mitte des nächsten Jahrzehnts 24 von 58 Atomreaktoren abzuschalten. Am Donnerstag gab es eine weitere Hiobsbotschaft: Nach dem Atomunglück im japanischen Fukushima halten Experten den französischen Atompark nicht mehr für hundertprozentig katastrophensicher. In einer 500 Seiten umfassenden Studie forderte das Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit (IRSN) unverzüglich Nachrüstungen an allen Reaktoren im Land.

Für die erfolgsverwöhnte französische Nuklearindustrie sind solche Nachrichten in der derzeitigen Situation ein Super-Gau. Seit der Katastrophe in Fukushima gibt es erstmals seit Jahren wieder eine Diskussion über Gefahren. Frankreich hatte sich im Gegensatz zu anderen Ländern mit der Atomkraft arrangiert, rund 75 Prozent des Energiebedarfs wurde zuletzt über sie gedeckt. Nicht einmal Zwischenfälle sorgten für große Aufmerksamkeit. Die Regierung um Präsident Nicolas Sarkozy feierte die Nuklearenergie stattdessen als Lösung im Kampf gegen den Klimawandel.

Hoffen auf Sarkozy

Wie manche Umweltschützer versucht es die Atomlobby nun mit Panikmache. Ein Atomausstieg könnte bis zu einer Million Menschen den Job kosten, warnte vor kurzem der Chef des Energieriesen EDF, Henri Proglio. Zudem drohe die ohnehin schon schwächelnde französische Wirtschaft zwischen 0,5 und 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu verlieren. „Schwachsinn“ entgegnen Umweltschützer. Sie verweisen vor allem auf die neuen Arbeitsplätze, die im Bereich der erneuerbaren Energien entstehen würden.

Die Atomlobby muss nun hoffen, dass Sarkozy aus dem derzeitigen Umfragetief herauskommt und wiedergewählt wird. Der Präsident und seine Anhänger stehen bedingungslos hinter der französischen Vorzeigeindustrie. Den Anteil der Atomenergie zurückzufahren könnte „erhebliche Schäden“ verursachen, sagte er am Donnerstag. Er werde es nicht zulassen, dass eine „Trumpfkarte“ Frankreichs infrage gestellt werde.

Kritik an Sicherheit

Genau dies tat aber am gleichen Tag das vom französischen Staat finanzierte Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit (IRSN). Die jüngsten Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Sicherheitssysteme an einigen Stellen unverzüglich weiterentwickelt werden müssten, schrieben die Wissenschaftler in einem Bericht. Röhrensysteme könnten beispielsweise bei Erdbeben auseinanderbrechen. Auch Dampf- und Notstromgeneratoren seien nicht überall ausreichend gegen Extremsituationen geschützt. „Die Anlagen können zu Recht als sicher bezeichnet werden“, heißt es. Nach der Fukushima-Katastrophe müsse aber mehr als früher das Unvorstellbare in Erwägung gezogen werden.

Wie auch immer der Streit um die Zukunft des französischen Atomparks ausgeht: Umweltschützer können auf einen schnellen großen Erfolg der neuen Diskussion hoffen. Im Europaparlament kursiert das Gerücht, dass Sarkozy Anfang nächsten Jahres das Aus für das elsässische Atomkraftwerk Fessenheim an der deutsch-französischen Grenze verkünden könnte. Aus wahlkampftaktischen Gründen, heißt es. Keine Informationen gibt es bislang über Cattenom.