Aushängeschild der 68er-Generation

Aushängeschild der 68er-Generation
(Sophia Kembowski)

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Er ist Soziologe, Schriftsteller und Künstler: Urs Jaeggi hat die wilden Zeiten der Studentenbewegung mit geprägt. 85 sind für den Tausendsassa kein Alter.

Mit seinem Bestseller „Macht und Herrschaft in der Bundesrepublik Deutschland“ gehörte Urs Jaeggi zu den Aushängeschildern der Studentenbewegung von 1968. Doch der Schweizer Soziologe und Wahlberliner hat sich auch als Künstler einen Namen gemacht.

Als Schriftsteller erhielt er den Ingeborg-Bachmann-Preis. Am Donnerstag (23. Juni) wird der große Grenzgänger 85 Jahre alt – und hat noch nichts von seiner Neugier verloren. „Manchmal war es ein etwas krummer Weg, aber ich habe mir alle meine Wunschträume erfüllt“, sagt er in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Mir war es wurscht, wenn die Leute gesagt haben: Muss er denn das jetzt auch noch machen?“

Erst Wissenschaftler, dann Künstler

Anfangs war es vor allem die Wissenschaft, die den Sohn eines engagierten Schweizer Sozis beschäftigte. 1966 von Bern als Professor an die neue Ruhr-Universität in Bochum berufen, wurde seine kritische Studie „Macht und Herrschaft in der BRD“ (1969) in den wilden Zeiten der Studentenrevolte zur Pflichtlektüre. Das Werk erreichte eine für Fachbücher sensationelle Auflage von 400.000 Exemplaren.

„Ich weiß bis heute nicht, wie das zustandekam“, sagt Jaeggi schmunzelnd. Die Analyse, dass eine vergleichsweise kleine Elite die Schaltstellen der Macht beherrscht, hält er bis heute im Grunde für richtig. Damals jedoch eckte der undogmatische Querdenker damit auch an. Die Konservativen hielten ihn für einen linken Rädelsführer, die Ultralinken für einen „Scheißliberalen“.

Konflikt mit den Eliten

Den Konflikt arbeitete Jaeggi später in seinem autobiografischen Roman „Brandeis“ (1978) auf: Es geht um einen Professor, den der ideologische Furor der Studentenbewegung zunehmend in einen Zwiespalt mit sich selbst treibt. Zusammen mit den Romanen „Grundrisse“ und „Rimpler“ wird daraus eine Trilogie zum großen gesellschaftlichen Umbruch der 68er Jahre.

1931 in Solothurn geboren, hatte Jaeggi schon als Kind Maler werden wollen. Doch prügelnde Lehrer trieben dem Linkshänder die Lust aus. Nach dem frühen Tod des Vaters macht er zunächst eine Lehre als Bankkaufmann, holt das Abitur nach und wird schließlich nach einem Studium von Volkswirtschaft und Soziologie Professor.

Lernt Bildhauerei von der Pike auf

Mehr als 20 Jahre ist er nach den aufreibenden Zeiten in Bochum und einer Zwischenstation in New York Ordinarius an der Freien Universität (FU) Berlin. Zuletzt geht er auf eine halbe Stelle, um bei einem Bildhauer das Handwerk nochmals von der Pike auf zu lernen. Seit 1985 stellt er seine Werke in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland vor.

„Wenn’s noch ein paar Jahre so weiterginge, wäre ich zufrieden“, sagt der immer noch stattliche Hüne. Mit seiner zweiten Frau lebt er halb in Berlin, halb in Mexiko. „Ich habe keine Angst vor dem Alter“, sagt Jaeggi. „Es ist ja auch schön, wenn man ein bisschen Erfahrung hinter sich hat.“