Mehr als nur Gestein

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Das Schiefermuseum in Obermartelingen ist einen Besuch wert. Seit dem 6. Mai ist die acht Hektar große Anlage wieder für Besucher geöffnet. Das Tageblatt machte einen Streifzug durch das ehemalige Industrieareal.

Ein Gatter versperrt den Eingang zu den Schiefergruben. In der Touristensaison aber wird es geöffnet, um Besuchern den Zugang auf das Gelände zu ermöglichen. Dort werden sie von einem der insgesamt zwölf Fremdenführer empfangen, der ihnen dann erklärt, wie sich die Gruben bis zu ihrer Schließung im Jahr 1986 entwickelten.

Seit 1992 engagiert sich der Verein „Frënn vun der Lee“ für den Erhalt der Schiefergruben. 2003 kaufte der Luxemburger Staat das Areal in Obermartelingen, mit dem Ziel, die Anlage in ihrer Gesamtheit zu erhalten.

Mehr als 22 Gebäude und Überreste der Gruben verteilen sich auf dem Gelände. Interessant sind in diesem Zusammenhang u.a. das Sägewerk, die Spalthäuser, die Schmiede, die Schlosserei und die Schreinerei – ganz zu schweigen von den unterirdischen Grubenanlagen. Sehenswert sind aber ebenfalls das Bürogebäude, die Arbeiterhäuser sowie die Villa des Besitzers, mit ihrer englischen Parkanlage samt Jagdhütte und einem Hundefriedhof.

Bereits beim Eintritt auf das ehemalige Industriegelände hat man das Gefühl, eine andere Welt zu betreten. Auf dem Gelände befinden sich viele Bäume und Sträucher, breite Wege – alles eingebettet in ein Waldgebiet an der belgisch-luxemburgischen Grenze.
Das Areal gleicht nicht einer klassischen Fabrik. Und dort arbeiteten in der Hochzeit des Schiefers über 600 Menschen. Sie extrahierten den Stein in den verschiedenen Gruben, von denen leider nur noch eine besichtigt werden kann.

Auf dem Areal existierten im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts viele Gruben. Damals war Schiefer ein wichtiger Rohstoff. Jede Grube trug ihren eigenen Namen. Aus dem Stein wurde damals alles Mögliche hergestellt: Tische, Treppen, Grabsteine, Spülen, Bodenbelage, Schultafeln … Nach und nach litt die Schieferproduktion aber unter der Konkurrenz des Billigschiefers aus dem Ausland. Die Folge: die progressive Schließung der Gruben in der belgisch-luxemburgischen Grenzregion.

Alles weg

Nach der Schließung der Schieferfabrik in Obermartelingen wurde das ganze Material verkauft oder landete auf dem Schrottplatz, erklärte Agnes Hoogenhout, die Präsidentin der „Frënn vun der Lee“. So musste der Verein nach und nach das ganze Werkzeug und die Maschinen entweder zurückkaufen oder durch ähnliches Material ersetzen. Mehrere Buggys, die auf dem Grubengelände besichtigt werden können, stammen von Villeroy&Boch.

Beeindruckend ist das Spalthaus der Grube „Johanna“. Es wurde 1929 gebaut. Bis zu 120 Arbeiter spalteten dort die Schieferplatten, um Dachziegel zu erhalten. Auch heutzutage finden dort Vorführungen statt. In einer Ecke des Gebäudes wurde gar eine Stollenkammer nachgestellt.

Ein Modell veranschaulicht in einer anderen Ecke das ganze unterirdische Kammersystem. „Darin passt der ganze Kölner Dom“, erörtert Agnes Hoogenhout.
Vor dem Spalthaus befindet sich ein kleines Häuschen. „Dort stiegen die Arbeiter in die Grube hinab“, so die Präsidentin weiter. 550 Stufen führten 170 Meter ins Erdreich. Erst im Jahr 1941 wurde der Lift, der das Schiefergestein an die Oberfläche beförderte, auch für den Personentransport genutzt.

Die Grubenbahn fährt

Besonders die kleinen Besucher dürfte aber eine Fahrt mit der Grubenbahn interessieren. Diese führt quer über das Gelände, das zudem schon als Kulisse für mehrere Filme genutzt wurde.

Beeindruckend ist auch die „Villa Rother“, die sich im Zentrum der Anlage befindet und in der u.a. ein Tennisplatz und eine Kegelbahn eingerichtet wurden. In der vormaligen administrativen Schaltzentrale des Betriebs wurde indes quasi alles so gelassen, wie es 1986 war, als die Grube ihre Tore schloss. Im ersten Stockwerk des Bürogebäudes wurde ein kleines Museum eingerichtet, mit Objekten und Dokumenten, die die Geschichte der Grube erzählen. Im Erdgeschoss kann der Besucher im Museumsshop diverse Objekte aus Schiefer, eine DVD über den Schieferabbau sowie Bücher kaufen.

In unmittelbarer Nähe der Büros liegt ein 1943 eingerichteter Schutzbunker für das Personal. Daneben befindet sich die ehemalige Kantine, die mittlerweile baufällig ist. „Wir wollen das Gebäude wieder aufbauen und als Restaurant nutzen“, erörtert Agnes Hoogenhout.

In einem anderen Gebäude öffnet in der Saison zwischen 11 und 18 Uhr an jedem ersten Sonntag im Monat ein kleines, uriges Café, das „Bopebistro“, seine Türen.
Es sei ein „einmaliges Gelände in Europa“, so die Vorsitzende abschließend. Sie hofft auf weitere staatliche Hilfe, um dieses Stück Industriegeschichte am Leben zu erhalten. Das Tourismusministerium hat bereits seine Unterstützung angekündigt. Fehlt laut Agnes Hoogenhout jetzt nur noch die Antwort des Kulturministeriums.

Weitere Infos unter www.ardoise.lu.


Die Historie

Hier die Hauptdaten der Entwicklung der Schieferindustrie in Obermartelingen:

In der gallorömischen Zeit: Schiefer aus dem heutigen Raum Martelingen wird zum Decken der Dächer der Villen benutzt.
 1770: Auf der Karte von Jean de Ferraris steht im heutigen Obermartelingen nur ein Holzsägewerk an der Mündung zweier Bäche.
 Ab 1790: Beginn des unterirdischen Schieferabbaus an mehreren Orten durch verschiedene Besitzer.
 1820er Jahre: Entstehung der Siedlung Obermartelingen, mit Werkstätten und Wohnhäusern der Besitzer der Schiefergruben.
 1839: Nach der belgischen Revolution verläuft die Grenze zwischen Belgien und dem Großherzogtum mitten durch die Ortschaft Martelingen.
 1842: Zollunion mit Deutschland. Der „Zollverein“ und das Verbot der Strohdächer (1845) führt zu einem Aufschwung der Schieferindustrie.
 1852: In einer Einwohnerzählung, die im Hinblick auf die Wahlen der Abgeordnetenkammer durchgeführt wurde, zählt Obermartelingen 95 Einwohner.
 1889: Im Memorial des 16. Februar 1891 steht rückblickend auf das Jahr 1889, dass in Obermartelingen zwei Besitzer bis zu 140 Arbeiter beschäftigten und insgesamt 6 Millionen Schieferplatten jährlich produzierten.
 1890: Die Strecke der Schmalspurbahn „Jhangeli“ wird in Betrieb genommen. Mit einer Haltestelle in Obermartelingen ist die Eisenbahn maßgebend für den Export und die Entwicklung der Industrie.
 Zwischen 1890 und 1910: Alle Gruben in der Umgebung werden von der deutschen Firma „Gebrüder Rother“ aufgekauft und modernisiert.
 Um 1910: Blütezeit der „Obermosel Dachschiefer- und Plattenwerken, Obermartelingen“, mit 600 Grubenarbeitern auf insgesamt 800 Angestellten und Arbeitern. 12 Millionen Schieferplatten werden im Schnitt pro Jahr hergestellt.
 1920: Der Schiefergrubenbesitzer August Rother Junior wechselt den Hauptwohnsitz seiner Familie von Frankfurt am Main nach Obermartelingen. Im gleichen Jahr wird der Name der Firma „Obermosel Dachschiefer- und Plattenwerke, Obermartelingen“ durch den französischen Zusatz „Ardoisières de Haut-Martelange“ ergänzt.
 1923: Umwandlung der Firma in die Aktiengesellschaft „Ardoisières de Haut-Martelange s.a.“.
 1940/1945: Die Schieferindustrie arbeitet in Kriegszeiten weiter und wird von den Nazis als „kriegswichtig“ eingestuft.
 Dezember 1944: Vorläufige Festnahme durch amerikanische Soldaten des Schiefergrubenbesitzers August Rother wegen Spionage-Verdachts. Freilassung Mitte Januar, nachdem keine belastenden Beweise gefunden werden konnten.
 Ab den 1950er Jahren: Stetiger Verfall der Einnahmen wegen hoher Personalkosten sowie immer mehr ausländischem Billigschiefer und Ersatzprodukten auf dem Markt.
 1963: Tod von August Rother Junior, Übernahme der Geschäftsführung durch seine Tochter Christiane Rother.
 1985: Tod von Christiane Rother.
 1986: Endgültige Schließung der „Ardoisières de Haut-Martelange“. Durch diesen Schritt wird gleichzeitig ein Schlussstrich unter den Schieferabbau im Großherzogtum gezogen.

 


Festival „Koll an Aktioun“

Am Pfingstwochenende (19. und 20. Mai) findet auf dem Gelände des Schiefermuseums das Festival „Koll an Aktioun“ statt. Auf dem Programm stehen u.a. Konzerte, Street Animation, ein lokaler Markt, eine Kunstausstellung, geführte Besichtigungen des Schiefermuseums, Fahrten mit dem Industriezug, Vorführungen beim Schieferspalten und Zuschneiden sowie in der Werksschmiede mit den „Stater Schmatten“. Das Festival beginnt morgen um 16 Uhr und endet am Sonntag um 1 Uhr. Am Samstag kann sogar bis 3 Uhr gefeiert werden. Adresse: Maison 23 in Obermartelingen.


„Frënn vun der Lee“

Die „Frënn vun der Lee a.s.b.l.“ („Freunde des Schiefers“) wurde 1992 mit dem Ziel gegründet, die Erinnerung an die Schieferindustrie in der Gegend von Martelingen sowie allgemein in Luxemburg aufrechtzuerhalten.
Zu der Hauptaktivitäten gehört seit Jahren die Erhaltung des Schiefergrubenareals in Obermartelingen. Die „Frënn“ veranstalten aber auch Führungen, Lehrgänge, Jugendcamps usw., um der Öffentlichkeit die Industriegeschichte der Region zu vergegenwärtigen. Daneben werden auch u.a. Schieferarbeitstage und Schmiedekurse organisiert.
Der Verein zählt aktuell etwa 400 Mitglieder, von denen rund 30 regelmäßig auf dem Gelände aktiv sind.


Das Wiltzer Lyzeum hilft

Ein- bis zweimal pro Jahr erhalten die ehrenamtlichen Mitarbeiter der „Frënn vun der Lee“, die sich um den Unterhalt der ehemaligen Grubenanlagen kümmern, Unterstützung aus Wiltz. Seit einem Dutzend Jahren nämlich begeben sich die 8e und 9e-Klassen der MO4 des Wiltzer Lyzeums nach Obermartelingen und bereiten das Areal auf die Touristensaison vor bzw. machen es winterfest. Acht Schüler helfen während etwa zehn Tagen tatkräftig bei allen Arbeiten auf dem ehemaligen Industriegelände mit. Neben der Tatsache, dass die Jugendlichen so verschiedene Handwerke entdecken, werden ihnen auch Werte wie Solidarität und Teamgeist vermittelt, erklärten die Projektverantwortlichen dem Tageblatt.