Analyse: Mit „MoDu02“ in „Immobilität.lu“?

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Von Robert Goebbels*

Mobilität ist ein menschliches Grundbedürfnis. Die ersten Menschen durchstreiften täglich als Sammler und Jäger mehrere Quadratkilometer zu Fuß, um sich halbwegs zu ernähren. In dem Maße, wie die Menschen sesshaft wurden, entwickelten sie immer neue Transportmittel.

Die Domestizierung von Reit- und Zugtieren erlaubte räumliche Ausdehnung und wirtschaftlichen Aufschwung. Letzterer ist eng mit Transportmitteln verbunden. Von Tieren gezogene Pflüge ergaben bessere Ernten. Mehr Ernährung führte zum Wachstum der Bevölkerung. Mehr Menschen produzierten Völkerwanderungen und letztlich die Erschließung aller Erdteile. Die Nutzung der Windkraft erlaubte die Seefahrt.

Die Dampfkraft, der Explosionsmotor, die elektrische Kraft und andere Erfindungen prägten die moderne Welt. Das Automobil wurde zu einem Instrument der persönlichen Freiheit. Der Siegeszug des Autos begleitet in allen Teilen der Welt den wirtschaftlichen Aufstieg und den wachsenden Wohlstand. Der eigene Wagen wurde zum wichtigsten Transportmittel, gar zum Statussymbol. Selbst wenn jährlich weltweit mehr Fahrräder (130 Millionen) als Autos (90 Millionen) produziert werden.

Laut Ministerium für Nachhaltige Entwicklung nutzten 55 Prozent aller Landesbewohner letztes Jahr ein Fahrrad. Das offensichtlich zu einem immer beliebteren Instrument für Sport und Freizeit wird.

Denn für berufliche Zwecke kommen Fahrräder sehr wenig zum Einsatz. Laut der Studie „Luxmobil 2017“ erfolgen bloß zwei Prozent der Transporte zwischen Wohn- und Arbeitsplatz mit dem Velo. Fußgänger haben einen Anteil von zwölf Prozent am sogenannten „Modal-Split“. Aber nur auf kurzen Distanzen. Bus und Bahn bewältigen 17 Prozent aller Bewegungen. Wichtigstes kollektives Transportmittel bleiben die Busse. Allein der RGTR transportiert jeden Arbeitstag 125.000 Passagiere. Die Eisenbahn schafft nur an die 90.000 Reisende.

Das Auto als wichtigster Transportträger

Hauptträger des Arbeitsverkehrs bleibt das Auto mit 69 Prozent aller Bewegungen. Zum Einkaufen wird das Privatauto gar von 85 Prozent der Einwohner genutzt.

Luxemburg ist das Land mit der höchsten Motorisierung in Europa. Zusätzlich zum Transitverkehr gesellen sich noch die Bewegungen von über 180.000 Grenzgängern. Von denen die übergroße Mehrheit das Auto nutzt. Laut der zitierten Studie transportiert jedes Auto bloß 1,22 Personen. Leicht besser als der inländische Berufsverkehr mit 1,16 Passagieren pro Wagen.

In Vorbereitung einer Konsultationsdebatte der Abgeordneten hat Minister Bauschs Ministerium einen nicht gerade hilfreichen Fragenkatalog vorgelegt. Die zehn Fragen reflektieren ideologisches Wunschdenken und verworrene Milchmädchen-Rechnungen.

So wird vorgerechnet, die nur dürftig besetzten Autos könnten täglich bis zu 250.000 Personen zusätzlich transportieren. Doch wie sind die individuellen Quell- und Zielbewegungen mehrere Hunderttausend täglich räumlich und vor allem zeitlich in und um Luxemburg zu organisieren?

Es gibt sicherlich noch Luft nach oben für Fahrgemeinschaften, womöglich ab Auffangparkings jenseits der Grenzen. Doch wie das Beispiel von BlaBlaCar zeigt, nimmt die Zahl der Bewegungen und der absolvierten Kilometer pro Vehikel eher zu als ab. Viele Menschen mögen zwar den gleichen Zielort für ihre Arbeit anstreben, etwa die Hauptstadt, wohnen aber nicht alle im gleichen Ort. Um zu funktionieren, müssen Fahrgemeinschaften Umwege und Wartezeiten einkalkulieren, die letztlich die gemeinsame Fahrt zeitlich länger und damit unattraktiver machen.

Eine Ilres-Umfrage belegt zudem, dass die übergroße Mehrheit der befragten Automobilisten nicht daran denkt, den eigenen Wagen zu „teilen“. Langfristig mögen sich die Mentalitäten ändern. Doch kurz- bis mittelfristig ist kaum mit einer spürbaren Entlastung im Verkehr zu rechnen.

Alle auf das Velo?

Richtig abenteuerlich werden die Fragen an die Abgeordneten, wenn diesen suggeriert wird, höhere Transport-Anteile für Radfahrer und Fußgänger anzuvisieren. Sicher gibt es noch Raum für „sanfte Mobilität“, vor allem auf kurzen Distanzen und im schulischen Bereich. Doch die Luxmobil-Studie errechnete für in- wie ausländische Verkehrsteilnehmer folgende Werte für die Distanz Wohnort-Arbeit und die durchschnittliche Zeitspanne für deren Bewältigung:

– Luxemburger: 13 km in 34 Minuten;

– Franzosen: 34 km in 54 Minuten;

– Belgier: 42 km in 51 Minuten;

– Deutsche: 40 km in 49 Minuten.

Wären solche Bewegungen wirklich per Fahrrad oder gar zu Fuß zu bewältigen? Zwei Mal am Tag?

Es muss zu einem weiteren Ausbau des öffentlichen Transport-Angebotes kommen. Wobei es noch einige Jahre dauern wird, bevor die bestehenden Engpässe auf dem Schienennetz, besonders Richtung Frankreich, bewältigt sind.

Doch gebietet eine nicht ideologische Analyse der nationalen Verkehrslage den Einbezug des Automobils in die Mobilitäts-Planung. Die Schreibtischtäter der Direktion der Mobilität erwähnen mit keinem Wort notwendige Investitionen in das nationale Straßennetz. Sie scheinen nicht einmal das letzte Positionspapier des Ministeriums für Raumplanung zu kennen.

So stellen die Raumplaner fest, dass die auf dem nationalen Straßennetz absolvierten Fahrten von 14 Milliarden Kilometer in 2007 auf 16,1 Milliarden Kilometer in 2015 anstiegen: ein Plus von 14,7%. Obwohl in diesen Jahren keine neue Straßen in Dienst genommen wurden. Von wegen „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“

Lebensqualität dank Nordstraße

Minister Bausch war es vergönnt, die früher verdammte Nordstraße in Betrieb zu nehmen. Sowie die Umgehung von Junglinster. Dazu das Ministerium für Raumplanung: „La mise en service du dernier trançon de l’autoroute du Nord en 2015 a permis de baisser dramatiquement le trafic sur les axes secondaires ralliant la capitale depuis le Nord, comme le long de la vallée de l’Alzette, de Heisdorf à Dommeldange, ou encore à Kopstal ou encore à Larochette.“

„De même, le contournement de Junglinster a permis de diviser par plus de deux le nombre de véhicules traversant le tissu urbain.“ Eine Erfahrung, die bei allen Umgehungsstraßen gemacht wurde, etwa in Lintgen oder Sandweiler.

Die Strategen des „MoDu 2.0“ beschäftigen sich nicht mit solchen Petitessen. Über das Jahr 2025 hinaus wird gar ein „MoDu 03“ bis 2035 anvisiert. Für Fußgänger und Radfahrer.

In sechs Monaten wird gewählt. Hoffentlich räumt die nächste Regierung mit dem Wunschdenken der „MoDu“-Planer auf. Die in einer seltenen Einsicht schreiben: „(…) en dehors des bureaux ministériels et parlementaires le pays se développe et (…) les grands projets doivent être lancés 10 à 15 ans à l’avance.“

Luxemburg wird nicht an weiteren Investitionen in das Straßennetz vorbeikommen. Selbst Minister Bausch scheint dies erkannt zu haben. Doch Initiativen wie mehr Sicherheit auf der Achse Luxemburg-Thionville durch das Anlegen einer dritten Spur kommen sehr spät. Auch Luxemburg-Arlon muss dreispurig werden. Vor allem sind lokale Umgehungsstraßen unumgänglich. Bascharage, Dippach, Ettelbrück, Schieren, Hosingen und andere Zentren können erst „sanfte Mobilität“ innerorts fördern, wenn der Transitverkehr umgeleitet wird.

* Der Autor war u.a. Wirtschafts- und Transportminister. Zuletzt gehörte der LSAP-Politiker dem EU-Parlament in Straßburg an.