Spielend Schwangere und Behinderte feuern

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Binnen weniger Wochen ist Frankreichs Spielewelt in Aufruhr geraten. Ein Sozialplan sorgt für Furore unter Freunden des gepflegten Kartenspiels.

Seit „Plan Social“, so heißt das Spiel, auf dem Markt ist, kommt der kleine bretonische Spielehersteller Arplay mit der Produktion nicht mehr nach. Und auch den Kritikern scheint die Puste nicht auszugehen.

„Mit so einem Spiel verletzt man ein Tabu“, monierte so zum Beispiel der Pariser Psychiater Michel Lejoyeux gegenüber der Zeitung Aujourd’hui. Es sei ein Auslöser für Aggressivität und lasse die Leute über die Not anderer spotten.

Schon immer beliebt

Ein Spielehersteller kann indes kaum bessere Werbung bekommen – waren solche Spiele doch schon immer am beliebtesten, bei denen derjenige gewinnt, der seine Mitspieler etwa vernichtet (Risiko) oder in den Ruin treibt (Monopoly).

Die „Plan Social“ zugrunde liegende Idee ist schnell erklärt: Jeder Mitspieler ist Aktionär einer Firma, bekommt einen Satz Karten, auf denen die verschiedensten Beschäftigten abgebildet sind – und wer als Erster alle seine Karten los ist, also alle gefeuert hat, der hat gewonnen. Er darf, zur Belohnung sozusagen, sein Unternehmen in ein totalitäres Land verlagern.

Erstauflage bereits vergriffen

Das Lieblingsspiel der großen Patrons, so steht es auf der Verpackung geschrieben, ist in einer Erstauflage von 3.000 Stück erschienen. Und die waren schneller verkauft, als sogar der rücksichtsloseste Boss seine Angestellten feuern kann. Arplay hat 10.000 weitere Exemplare auf den Markt gebracht, doch auch das wird kaum reichen, um die Nachfrage zu stillen. Bald soll es auch in Kanada, der Schweiz und Belgien (und damit wohl auch bei uns in Luxemburg) auf den Markt kommen. Zudem wurde aus Spanien, einem weiteren Land, das bitter an der Wirtschaftskrise zu kauen hat, bereits reges Interesse vernommen.

Verleger Stéphane Daniel freut sich über den Erfolg und kann die Kritik nicht recht nachvollziehen. In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung beschwichtigte er, dass man doch bloß provozieren wolle und „Frankreich die Nase voll hat von Sozialplänen und Firmenverlagerungen“. Das Spiel bietet mal die Gelegenheit, den Spieß umzudrehen und so etwas virtuelle Macht zu bekommen über in der Wirklichkeit kaum beeinflussbare Vorgänge.
Und sind die Raubtierinstinkte der Spieler dann erst einmal geweckt, wie es der Hersteller humoristisch bewirbt, kann es auch schon losgehen mit dem hemmungslosen Feuern.

Identifikation

Die Identifikation mit dem unsympathisch von der Verpackung grinsenden, einen dicken Schnurrbart tragenden Patron dürfte schnell geschafft sein – wer will schon gerne verlieren? Nachdem die Restbedenken erst weggewischt sind, kann sich der geneigte Zocker den schwierigeren Aufgaben des Spiels widmen: schwangere Mütter feuern, die kurz vor der Rente stehende Empfangsdame auf die Straße setzen, den Betriebsrat in die Wüste schicken, dem Behinderten die Papiere geben. Denn die meisten Punkte gibt es, je stärker die vor dem Rauswurf Stehenden durch das Arbeitsrecht geschützt sind.

Während die Aufregung in Frankreich über diese „unmoralische Spielidee“ (Psychiater Lejoyeux) groß ist, bekam „Plan Social“ Unterstützung aus einer eher unvermuteten Ecke. Ein Gewerkschaftsvertreter hat vorgeschlagen, das Kartenspiel auf den Lehrplan von Wirtschaftsschulen zu setzen – um anzuprangern, wie sehr der Kapitalismus aus den Fugen geraten ist.
Zur SZ sagte Stéphane Daniel weiter: „Unglücklicherweise leben wir in einer Wirtschaftskrise. Sonst würde das Spiel nie so laufen.“ Das Unglück der einen ist aber eben oft das Glück der anderen. Mit dem eher unerwarteten Erfolg von „Plan Social“ und aufgrund der regen Nachfrage könnte es ja dazu kommen, dass Hersteller Arplay weitere Mitarbeiter braucht.

Diese würden dann übrigens in Frankreich eingestellt. Der Hersteller verweist auf seiner Internetseite darauf, dass das Spiel in unserem Nachbarland produziert wird. Darüber hinaus unterliegen alle bei Arplay hergestellten Spiele EU-Öko-Normen – ein richtig fieser Patron würde diese Hippies wohl als Allererste feuern, bevor er sein aufstrebendes Unternehmen an die Börse bringt.