EU muss sich festigen

EU muss sich festigen
(Alain Rischard)

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Schaffung einer politischen Union drängt sich auf

Die Gründe für den negativen Ausgang des Verfassungsreferendums in Italien sowie die Bedeutung, die dem Resultat beigemessen werden kann, sind mannigfaltig.

Wer etwa den Umstand hervorhebt, dass Matteo Renzi die Wahl unnötigerweise auch zu einer Abstimmung über seine Person gemacht hat, muss diesem einen Achtungserfolg zugestehen. Denn immerhin konnte der Regierungschef 40 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, während sich die Reformgegner – sozusagen alle anderen Parteien: M5S, Forza Italia, Lega Nord, Nuovo Centrodestra, sogar Teile des Partito Democratico und einige Kleinparteien – 60 Prozent der Stimmen teilen müssen. Doch sicherlich waren die vorgeschlagenen Reformen auch nicht ausgewogen, zu radikal für eine politische Kaste, die nicht auf ihre Pfründe verzichten will, und nicht ausgegoren genug, als dass sie protestbereite Wähler hätten dazu bewegen können, für ein Aufbrechen phlegmatischer Strukturen zu stimmen.
Das Verfassungsreferendum jedoch als eine Niederlage der Europäischen Union zu deuten, ist ziemlich abwegig.

Immerhin handelt sich hier um eine rein inneritalienische Angelegenheit, die mit der europäischen Politik nichts zu tun hat, auch wenn versucht wird, die mit der Abwahl des Pro-Europäers Renzi erzeugte Stimmung gegen die EU zu wenden. Wobei gesagt werden muss, dass Matteo Renzi im Wahlkampf auch schon mal das falsche Spiel getrieben hat, die Einhaltung der von den EU-Staaten, also auch Italien, festgelegten Regeln der Stabilitätskriterien als gegen ihn gerichtete Geißel aus Brüssel darzustellen. Die politischen und vor allem finanzwirtschaftlichen Folgen des Volksentscheids mögen vielleicht zu einigen Turbulenzen führen, von denen allerdings in erster Linie Italien betroffen sein wird. Daraus gleich wieder eine existenzielle Bedrohungslage für die EU oder die Eurozone zu stricken, ist jedoch einstweilen etwas zu dick aufgetragen.

Überhaupt wird auf fast schon inflationäre Art und Weise versucht, jede anstehende Wahl in den EU-Mitgliedstaaten als eine weitere Entscheidung über den bevorstehenden Untergang der EU auszulegen. Wie etwa auch die Präsidentschaftswahl in Österreich.

Es stimmt, dass der Brexit die Bürger und die publizierte Öffentlichkeit in der EU ordentlich aufgeschreckt hat und sich jene rechtsextremen und -populistischen Kräfte im Aufwind wähnen, die das seit Jahrzehnten mit beachtlichem Erfolg betriebene europäische Integrationsprojekt einreißen wollen. Wenn dies aber für eine Mehrheit in der EU ein Schreckensszenario ist, dann müsste sich doch die Erkenntnis durchsetzen, dass nur eine politische Union, eine noch tiefere Integration Europas, die EU vor dem Zerfall bewahren kann. Dieser Schritt drängt sich auf, wenn künftig nicht jede Wahl mit der Furcht einhergehen soll, dass EU-Gegner sich durchsetzen und den Zeitgeist nutzen könnten, um ein Referendum gegen „die da oben“ zu organisieren.

Die letzten Krisenjahre haben gezeigt, dass die Schaffung einer politischen Union längst überfällig ist, sollte der Euroraum auf dauerhaft stabile Füße gestellt werden. Auch wenn es angesichts der gegenwärtigen Stimmung in der EU ziemlich verwegen anmutet, ist es Zeit, diesen Integrationsschritt einzuleiten.