Einfallslos und unbestechlich

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„Ohne Grundsätze ist der Mensch wie ein Schiff ohne Steuer und Kompass,
das von jedem Winde hin und her getrieben wird.“

(Samuel Smiles, schottischer Schriftsteller, 1812-1904)

Der Kompass. Ein Gerät zum Bestimmen der Himmelsrichtung. Das wir alle kennen. Und das einfallslos und unbestechlich stets nach Norden zeigt … Und uns so Orientierung gibt.
Wahrscheinlich haben die Chinesen den Kompass erfunden. In einem Buch aus dem Jahr 1085 ist zu lesen: „Wenn Zauberer die nördliche Richtung suchen, greifen sie zu einer Nadel, reiben diese an einem Magnetstein und hängen sie an einem Stück Faden auf. Dann zeigt die Nadel normalerweise nach Norden.“
Der Norden auf dem Kompass. Der einigen allerdings verloren gegangen zu sein schein. Frei nach Bob Dylan: „… einen Kompass ohne Norden. So treibe ich verloren in ein unbekanntes Morgen.“ Oder auch, um auf das einführende Zitat zurückzukommen: ohne erkennbare Grundsätze, ohne Steuer, ohne Kompass. Hin und her getrieben. Ohne erkennbares Konzept.

Navigation auf Sicht
Man veranstaltet bestenfalls Navigation auf Sicht … So empfinden nicht wenige die Orientierungslosigkeit der europäischen Politik. Oder man verfolgt als EU-Kommission (Zitat) „die Geschehnisse sehr aufmerksam“, wenn es brenzlig wird, und wenn man nichts zu unternehmen gedenkt – siehe den rezenten Skandal um die Fipronil-Eier. Im Klartext gelesen: Man sieht als EU zu, wenn sich Belgien und die Niederlande gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben.

Oder aber generell im Kontext dieses Beitrags gemeint: „Verheerend sind nicht unsere Probleme, sondern unsere Ziellosigkeit.“ So ein iranischer Autor. Und dass die Probleme dieser Welt ob permanenter Verfügbarkeit aller möglichen Nachrichten so ziemlich jeder Art in unserer modernen, digitalen Zeit besonders auffallen, dürfte wohl jedem klar sein.
Mit entsprechenden Konsequenzen.

Allgemeine Verunsicherung

Zeiten, in denen das Gefühl einer allgemeinen Verunsicherung, ja zunehmender Ängste, die als Existenz-Bedrohung empfunden werden und die viele von uns bewusst oder unbewusst belasten, deutlich spürbar ist.

Das alles kann der Normalo des 21. Jahrhunderts „christlich“ definierter Zeitrechnung mehr oder weniger bestätigen. Glücklich jedenfalls all jene, die diese innere unsichere Gefühlswelt nicht kennen. Ein Zustand, ein Sicherheitsgefühl, das an sich eigentlich, besonders in unseren westlichen Wohlstandsgesellschaften, doch nur Standard sein müsste…

Negative Turbulenzen

Doch dem ist eben längst nicht so. Denn wie viele Zeitgenossen in dieser zunehmend negativ turbulenten Welt scheitern und noch scheitern werden, ist ein offensichtliches Problem. Das man jedoch tunlichst verdrängt. Besonders in aktueller Urlaubszeit, was an sich nur verständlich ist. Nur: Der Urlaub geht schnell vorbei und der Alltag holt uns ebenso schnell wieder ein …

Politisch verheerender noch ist allerdings die erwähnte zunehmende Ziellosigkeit unserer politischen EU-Eliten, die sich anderen, deren Ziele allerdings sehr klaren, einseitigen Vorgaben zu folgen pflegen – Stichwort: Profit um jeden Preis – scheinbar wehrlos unterworfen haben. Profit: Credo eines neoliberalen, scheinbar alternativlosen Wirtschaftsmodells. Mit Beispielen kann man zur Genüge dienen, die Konsequenzen sind ebenfalls bekannt: verheerend, in der Tat. Wenn die (EU-) Politik nicht nur in ihrer Kommunikationsproblematik den Kompass verloren hat … Besonders den sozialpolitischen, alles das, was das gemeine Wahlvolk im Alltagsdasein am meisten betrifft.

Kein blindes Vertrauen in die USA mehr

Eine EU, die sich nicht nur in der Sozialpolitik neu aufzustellen hat und in der die Zeiten, in denen die USA für Brüssel den definierten Norden auf dem Kompass darstellten, meint ein Zeitalter, in dem man es „europäisch“ in totalster Selbstverständlichkeit gewohnt war, blind den USA zu vertrauen. Doch damit dürfte es ob des Erscheinens eines Donald Trump auf der Politbühne – und das ist leider wörtlich zu lesen – nun endgültig vorbei sein. Das ist wohl das einzig „Gute“ an diesem Polit-Zirkus der besonderen Art, der dem Zeitgeist des totalen Durcheinanders und des Verlustes des Nordens auf unserem Kompass leider allerdings total entspricht.

Im Klartext gemeint ist die Zeit reif, dass diese EU sich endlich einen eigenen Kompass auf einem stolzen Schiff mit eigenem Steuer, das mit konkreten Zielen fähig ist, auf den (politischen) Weltmeeren zu segeln, zu geben bereit erklärt. Und das mit dem gesicherten Respekt und der Würde, besonders aber mit dem Vertrauen seiner Passagiere – gemeint sind natürlich wir, das Wahlvolk. Endlich, kann man da nur hinzufügen.

Was ist wichtiger als eine stabile EU?

Denn was kann wichtiger sein als eine stabile EU, wissend, dass nationale Alleingänge in Zukunft noch weniger bringen werden und eine starke EU jedem Mitgliedsstaat nur Gewinn bringen kann. In sämtlichen politischen Bereichen, in denen allgemeine Interessen des Volkes, siehe beispielsweise unser „täglich Ei“, um „banal“ zu bleiben, vorrangig sind.
Das Projekt EU ist, aller Unkenrufe zum Trotz, in der Tat alternativlos – sofern diese EU sich endlich als Union überzeugend zu finden fähig ist und sich zu einem für uns alle spürbaren, realpolitisch umgesetzten sozialen Europa durchgerungen hat. Auch wenn einige „Liberale“ vom rechten DP-Flügel, die sich in mehr als fragwürdigen „Liberalix-Denkfabriken“ der Pflege klassisch wirtschaftsliberaler Thesen verschrieben haben und ihrer Mutterpartei, die sich bekanntlich der linken Mitte zurechnet, damit wohl einen – nicht nur rein elektoral betrachteten – wahren Bärendienst leisten und deren Abrechnung mit der Sozialdemokratie mehr als nur einige Stimmen an den Wahlurnen kosten wird.

Schon allein die Lektüre dieses Unfugs gewisser „Déi Liberal“- Provokateure lässt erahnen, wes Geistes Kinder diese Anhänger irgendeiner bekannten neoliberalen Schule in der Tat sind und genau jene politische Klasse verkörpern, die wir heuer und auch in Zukunft garantiert nicht mehr brauchen. Diese Marktliberalen verkennen in ihren entsprechenden Thesen gegen die Sozialdemokratie, die sie schamlos und nicht umsonst in einer gewissen Presse veröffentlichen, jedwede Sozialpolitik, predigen den Segen einer generellen Privatisierung sämtlicher öffentlicher Dienstleistungen, verherrlichen den ihnen sakrosankten „freien Markt“, der nach ihrer Theorie alle Probleme löst, und hassen alles, was irgendwie „sozial“ erscheinen mag und gehen sogar so weit, diesen Terminus ganz einfach für inexistent zu erklären.

Wenn die DP sich da nicht als Partei gefordert sieht … Nur, das neoliberale, ultraliberale Wirtschaftsmodell zerstört sich von selbst und ihr Ende ist nur mehr eine Frage der Zeit. Das kann immerhin beruhigen…

Neues Denken in der Wirtschaftspolitik

Was wir brauchen, ist ein neues Denken in der Wirtschaftspolitik, national und international, ein Konzept der internationalen Zusammenarbeit als Antwort auf die Globalisierung der Märkte. Globalisierung und Digitalisierung erhöhen den Druck auf Arbeit und Leben. Doch gerade in Zeiten wie diesen müssen wir Standards für die Zukunft definieren, unter anderen eine soziale Absicherung ausbauen, die allen ein gutes Leben ermöglicht. Und das ist eindeutig eine politische Vorgabe, eine dezidiert formulierte Aufforderung des Wahlvolkes an seine Vertretung in den Parlamenten. Ach ja – Stichwort: Parlament. Der politische Kompass kann nur in starken Parlamenten der entscheidende Orientierungspunkt des Wahlvolkes sein.

Ein Parlament, das sich allerdings dem Zeitgeist des zunehmenden Engagements der Zivilgesellschaft anzupassen hat und dazu bereit sein muss, sich den entsprechenden realpolitischen Herausforderungen der immer deutlicher geforderten aktiven Bürgerbeteiligung mit den bekannten Instrumenten der Volksinitiative oder der Volksbefragung zu stellen. Ohne diese in Frage zu stellen.

Was ist ein Staat, der die Bürger ignoriert?

Denn was ist eine Demokratie, die diesen Aufforderungen des Wahlvolkes nicht gerecht werden will, eigentlich noch wert? Ein Staat, der seine Bürger ignoriert? Nur weil er Angst vor ihnen hat und sich den Gefahren des (rechten) Populismus ausgesetzt zu sein vorgibt? Ein Parlament, das ob intelligenter Nutzung dieser, einer wahren Demokratie würdigen Instrumente doch nur an Glaubwürdigkeit gewinnen kann?
Der politische Kompass, der den Norden sehr wohl noch erkennt, besteht doch längst.
Man möge ihn nur wiederentdecken. In unseren nationalen Parlamenten und im EU-Parlament … in perfekter Symbiose, und dem gesunden Menschenverstand folgend.
„Aus Fehlern, die wir einsehen, nichts zu lernen – das geht immer ins Auge.“
So Ernst Ferstl, österreichischer Lehrer, Dichter und Aphoristiker.

Frank Bertemes