Die Schattenkünstler

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Grafiker sind Schattenkünstler. Im Gegensatz zu den meisten Kunstformen steht ihr Schaffen meist im Hintergrund, es muss sich der Funktionalität des jeweiligen Projektes zumindest teilweise anpassen. Das Endprodukt steht im Rampenlicht, nicht der Künstler selbst.

Kunstwerke von Grafikern

Das Schaffenswerk von Studio Polenta kennen Sie sicherlich, ohne es zu wissen. Dies liegt aber nicht nur daran, dass Annick Kieffer und Rick Tonizzo, die das Studio 2013 gegründet haben, regelmäßig vergessen, ihre Werke zu unterschreiben.

Vielmehr hat es damit zu tun, dass man auf Kunstwerke von Grafikern viel weniger achtgibt, da sie in pragmatischen Alltagskontexten auftauchen: Sie bestimmen die Aufmachung einer Zeitung, das Design einer Menükarte, das Logo eines Restaurants. Sie sind dafür verantwortlich, dass man ein Poster oder einen Flyer etwas länger begutachtet und sich für das beworbene Event länger interessiert.

Zu den in Luxemburg zu sehenden Werken des Grafikstudios, dessen Renommee in den letzten Jahren so stark angestiegen ist, dass es u.a. Projekte mit Adidas an Land gezogen hat, gehören Logos und Designs für Restaurants und Bars wie das „Paname“, „Ënnert de Steiler“, die Cocktailbar „Octans“, die „Hostellerie du Grünewald“ oder das mexikanische Restaurant „Mamacita“. Liest man sich durch die Liste dieser gastronomischen Orte, stellt man fest: Wer hip sein möchte, greift wohl besser auf das Duo Kieffer/Tonizzo zurück.

In der Woche, während der ich die beiden begleitet haben, haben sie am Grafikdesign für die „Pictures for Life“-Expo im CNA gearbeitet, eine Broschüre für das „Abonnement de Noël“ realisiert, eine Karte für die städtische Jugendherberge entwickelt, die „Clervaux – Cité de l’image“-Zeitung grafisch konzipiert, ein Bilanzgespräch mit den Organisatoren der „Nuit des musées“, für dessen neue grafische Aufmachung das Studio Polenta dieses Jahr verantwortlich war, geführt, an neuen Aufträgen für ein gastronomisches Projekt und für ein Filmunternehmen gewerkelt – und hatten nebenbei noch genug Zeit, mich auf ein ausführliches Gespräch einzuladen.

Im Studio mit dem Team

Inmitten des Studios in der rue des Bains steht ein zum Büro umfunktionierter Tischtennistisch (sehr redundant, dieses Wort), auf dem die verschiedenen Projekte ausgebreitet und begutachtet werden können – oder eine kathartische Partie nach einem harten Arbeitstag ausgetragen werden kann.

Unter einem grün leuchtenden „P“ stehen sich Annick Kieffers und Rick Tonizzos Büros gegenüber, die Schnittstelle der Schirme ist fast symmetrisch zum Netz der Tischtennisplatte und man fragt sich, wie viele grafische Ideenbälle sich hier zugeworfen werden, wie viele Projektentwürfe als zusammengeknüllte Papierkugeln im Mülleimer landen.

„Wir sind beide eigentlich so gegensätzlich wie nur möglich“, erklärt Annick Kieffer. „Aber unsere Gegensätzlichkeit erlaubt es uns, den anderen immer wieder im Laufe der zahlreichen Diskussionen aufzufangen. Und was qualitatives Grafikdesign anbelangt, sind wir uns im Endeffekt dann doch meist relativ einig.“

Neues Gebäude

Die Kaffeemaschine verbreitet den Duft frisch gebrühten Dopingstoffes, im rechten Teil des Raumes arbeiten der momentane Praktikant Marco Högdahl, der mit Rick Tonizzo eine Leidenschaft für das Jiu-Jitsu(1) teilt, und Sara Giubelli, die seit November 2016 das Studio Polenta verstärkt.

Umgezogen ins neue Gebäude in der rue des Bains ist das Studio Polenta vor fast einem Jahr, früher war es in den Rives de Clausen ansässig, ganz in der Nähe des Restaurants „Ukulele“.

Marco Högdahl, der gerade ein fünfmonatiges Praktikum für sein Masterdiplom absolviert, wurde durch eine Empfehlung eines anderen Studenten auf Polenta aufmerksam gemacht. „Ich wollte unbedingt ein Praktikum in einem kleineren Studio machen, nicht in einem dieser Big-Shot-Corporate-Läden. Hier arbeite ich in einem kleinen Studio mit verrückten Leuten. Also genau das, was ich gesucht habe.“

Högdahl lacht, schaut auf Rick Tonizzo, der kurz wie zur ironischen Verneinung abwehrend die Hände in die Luft streckt, bevor er eines seiner verschmitzten Schuljungengrinsen auflegt.

Liebe zum Desing

„Meine Liebe zum Grafikdesign ist allumfassend. Ich mochte immer schon das Design von Verpackungen, Fotos, Zeichnungen, die Gestaltung von Magazinen. Mein Bruder ist Art Director in einer Firma in Montreal“, führt Högdahl fort.

Sara Giubelli, die Grafikdesign in Italien studiert hat, ist nach einigen Praktika in Venedig und London in Luxemburg beim Studio Polenta gelandet.

„Ich schickte Lebensläufe überall in Europa. Man sagte mir, dass es in Italien relativ schwierig wäre, eine Arbeit in einem dort doch sehr gesättigten Milieu zu finden, und ich mich deswegen auch im Ausland bewerben sollte. Das Praktikum, das ich in London absolvierte, war unbezahlt. In Luxemburg hat man mich dann bei Maison moderne für ein weiteres, bezahltes Praktikum engagiert, was gegenüber der finanziellen Situation in London viel verlockender klang. Ich bin seit vier Jahren in Luxemburg. Nachdem ich dann einen festen Vertrag mit Maison moderne unterschrieben hatte und dieser abgelaufen war, wollte ich wie Marco in einem kleinen Studio arbeiten.“

Brauner Gürtel in Jiu-Jitsu

„Saras Mail war die längste Bewerbungsanfrage, die wir je gelesen haben. Wir haben ihr deswegen schnell, kurz und bündig geantwortet“, erklärt Annick Kieffer lachend. „Auch bei meiner Anfrage wart ihr richtig schnell“, fügt Högdahl, der seine Master-Arbeit in Trier absolviert, hinzu.

„Du hast einen braunen Gürtel in Jiu-Jitsu, logisch, dass wir dich an Bord haben wollten“, lacht Rick Tonizzo, bevor er erklärt, dass ein besonderer Wert auf das Portfolio des Bewerbers gelegt wird. Da lässt sich nämlich sofort feststellen, ob dessen Idiosynkrasien, sein Verständnis von Grafikdesign und sein Stil zur Persönlichkeit des Studios passen.

Bei der Zusammenarbeit, die verlangt, dass man seine persönliche stilistische Note einerseits mit einbringt, sich andererseits an die grafische Identität des momentanen Projektes und des Studios im Allgemeinen anpassen kann, ist es umso wichtiger, dass die beschäftigten Personen untereinander sowohl menschlich als auch künstlerisch harmonieren.

Kollektives Schaffen

Wie wird konkret kollektiv Kunst geschaffen? Ist es eine kollektive Arbeit, oder hat jedes Projekt einen grafischen Leiter, der mit seiner Idee kommt, die dann zusammen umgesetzt und verfeinert wird?

Wir wollten vom Studio Polenta wissen, wie konkret der kreative Prozess abläuft, nachdem ein Auftrag von einem Kunden validiert wurde – und wer eigentlich was übernimmt. „Ich kümmere mich um den Kaffee“, lacht Högdahl.

„Normalerweise ruft ein Kunde uns an oder schickt uns eine Mail“, erklärt Annick Kieffer. „Wenn es ein größeres Projekt ist, möchten wir uns mit dem Kunden treffen – damit wir sein Milieu erkunden können, uns seine Wünsche und Vorstellungen anhören können, eine Einsicht in frühere Projekte bekommen, ein Feeling für das Projekt entwickeln. Das übernehmen Rick und ich. Danach reden wir mit unseren Angestellten und Praktikanten. Oft kümmert sich Rick dann um die visuelle Identität, um die ersten stilistischen Schritte, die Skizzen des Logos, manchmal tue ich das aber auch.“

„Auf jeden Fall bringt Annick es dann zum nächsten Level“, ergänzt Rick Tonizzo.

Visuelle Sprache

„Bei einem großen Projekt entwickeln wir sowohl das Logo als auch die visuelle Sprache, das Konzept, das dann z.B. auf Postern oder einer Internetseite durchdekliniert wird. Wir schaffen ein globales grafisches Universum. Diese grafische Identität kann in alles einfließen. Das Logo ist nur ein kleiner Teil davon“, erklären die beiden.

Für Högdahl ist diese Identität vergleichbar mit einem Kleiderstil. Bei einem Rapper oder einem Hipster impliziert das grafische Universum nicht nur die Kleidung, sondern auch den Haar- oder Bartschnitt, die Attitüde. Jedes einzelne Element nimmt eine Bedeutung in einem semiotischen Gesamtkonzept an. Wie Roland Barthes gesagt hätte: Alles nimmt Bedeutung, denn Sprache ist überall.
„Meistens schaffe ich die visuelle Sprache, die Markenidentität. Annick ist konzeptueller und kümmert sich mehr um das Layout. Darin bin ich nicht so gut. Und Sara zeichnet sich in den Bereichen des Layouts und der Illustration aus. Manchmal haben wir auch Projekte, die eine bestimmte Person von uns mehr anspricht. Annick mag Projekte für Kulturinstitute, ich kümmere mich eher um Lifestyle-Projekte, um poppigere Sachen. Ich würde sagen, ich bin etwas mutiger – wohingegen Annick viel raffinierter als ich ist.“

Die Polenta-Metapher

Und wie geht man damit um, wenn ein Auftraggeber eine zu klare Vorstellung vom Design hat und dem Studio versucht, seine eigenen Ideen oder Konzepte aufzudrängen, ganz nach dem Motto, der Kunde sei schließlich immer noch König? Denn auch der König, will man den verstaubten Faden dieser Metapher weiterspinnen, hat seine Berater, ohne die er aufgeschmissen wäre. Doch nicht jeder König hört auch auf diese Berater.

Die beiden Köpfe von Studio Polenta erläutern den Verhandlungsprozess mit ihren Kunden folgendermaßen: „Manchmal zeigen wir dem Auftraggeber eine erste Idee, die ihm meistens gefällt. Dieser möchte dann trotzdem, dass wir noch weitere Vorschläge entwickeln.

Wir schlagen dann weitere Ideen vor, gehen durch einen ganzen Designprozess, bis der Kunde schlussendlich feststellt, dass ihm die erste Idee trotzdem am besten gefallen hat. Es ist ein bisschen so wie wenn man in einer Großstadt quasi auf Anhieb eine coole Kneipe sieht. Und man sich dann trotzdem auf die Suche nach anderen Plätzen macht, weil man etwas noch Besseres sucht, nur um dann nach einer halben Stunde wieder zur ersten Bar zurückzukehren. Oft haben wir aber Glück und dem Kunden gefällt auf Anhieb, was wir ihm anbieten.“

Gegen den Trend

Der Name Studio Polenta entstand, weil die beiden Designer gegen den Trend der englischsprachigen, futuristischen und schnellen Onomastik gehen wollten.

„Wir wollten einen Namen, der von der Tonalität her irgendwie sympathisch klingt“, so Annick Kieffer. Ricks Vater kommt aus der Gegend, in der Polenta erfunden wurde. Einmal laut formuliert, stieß der Name sofort auf Zustimmung, zumal Polenta auf vielfältige Art und Weise aufgetischt werden kann und je nach Zubereitungswahl in sowohl einfachen wie auch gehobeneren kulinarischen Kreisen serviert wird.

Die Metapher der Vielfältigkeit, der Anpassungsfähigkeit wurde dann konzeptuell ausgearbeitet(2) – und erlaubte dem Studio, programmatisch auf eine diversifizierte Zukunft hinzuarbeiten.