Woche der Entscheidung

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„Diese Woche“, sagte der Sprecher der katalanischen Separatistenregierung gestern, „wird eine Woche der Entscheidungen sein.“ Entscheidungen darüber, wie es nach der Ankündigung Madrids, die katalanische Führung in Barcelona demnächst wegen Ungehorsams abzusetzen, weitergeht.

Man werde diesem spanischen „Staatsstreich“, wie es Sprecher Jordi Turull nannte, nicht tatenlos zusehen. Das hört sich wie eine Drohung an. Werden die katalanischen Rebellen nun im Gegenzug, und solange sie noch an der Macht sind, im Eilverfahren die Unabhängigkeit der spanischen Region Katalonien beschließen? Jedenfalls klingen die Worte, die in Barcelona in diesen Stunden zu hören sind, nicht gerade danach, als ob sich die Separatisten den Zwangsmaßnahmen der Zentralregierung in Madrid beugen wollten.

Entmachtung eingeleitet

Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy hatte am Samstag, nach einer Krisensitzung seines Kabinetts, mitgeteilt, dass nun die Entmachtung der katalanischen Regionalregierung eingeleitet werde, „um die Legalität wiederherzustellen“. Zudem werde Katalonien befristet unter die Kontrolle Madrids gestellt. Innerhalb von sechs Monaten soll in der Region neu gewählt und damit zur Normalität zurückgekehrt werden.

Doch einfach wird dieser Eingreifplan der konservativen spanischen Regierung, der noch vom Senat, dem spanischen Oberhaus gebilligt werden muss, nicht umzusetzen sein. Das beginnt schon mit der geplanten Absetzung von Ministerpräsident Puigdemont, der auf den Fuß die Festnahme wegen Rebellion folgen könnte, wie Spaniens Generalstaatsanwaltschaft bestätigte.

Konfrontation vorprogrammiert

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Polizisten, die dann mit richterlichem Haftbefehl ausrücken, offene Türen vorfinden werden; zudem soll Puigdemont die Zahl seiner Leibwächter, die ihn Tag und Nacht beschützen, erhöht haben. Das schwer kalkulierbare Risiko, auf Widerstand oder Ungehorsam zu stoßen, gilt gleichfalls für den Plan, Schaltstellen der katalanischen Verwaltung mit Regierungsbeamten aus Madrid zu besetzen.

Konfrontationen mit der Polizei, wie sie sich schon am 1. Oktober, dem Tag des illegalen Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien, abspielten, könnten sich also die nächsten Tage und Wochen durchaus wiederholen. „Verteidigungskomitees“ der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung bereiten sich schon länger darauf vor, Gebäude der regionalen Regierung und Administration mit Menschenmauern zu schützen.

Gezielte Eskalation?

Auch bei der vom spanischen Verfassungsgericht verbotenen Abstimmung Anfang Oktober waren diese organisierten Verteidigungskomitees im Einsatz, um zu verhindern, dass die Polizei Wahlurnen beschlagnahmt. Die Bilder von Polizisten, die sich mit Knüppeln den Weg in manche Wahllokale bahnten, sorgten auch außerhalb Kataloniens für Empörung.

Puigdemont, dem von Madrid vorgeworfen wird, derartige Szenen bewusst zu provozieren und gezielt auf Eskalation zu setzen, rief auch am Wochenende wieder seine Anhänger zum Widerstand gegen die erwarteten spanischen Zwangsschritte auf: „Wir müssen zusammenhalten, um wieder unsere Institutionen zu verteidigen, wie wir es immer friedlich und zivilisiert gemacht haben.“

Erklärung zur Unabhängigkeit

Zugleich kündigte er an, dass das katalanische Parlament diese Woche über eine Antwort auf Madrids „Attacke gegen die Demokratie“ beraten werde. Voraussichtlich, wie man hört, soll diese Kammersitzung in Barcelona am Freitag stattfinden. Also am selben Tag, an dem auch Spaniens Senat in Madrid die Zwangsmaßnahmen gegen Puigdemonts Regierung billigen will.

Schon vor einigen Tagen hatte Puigdemont gedroht, dass die angestrebte einseitige Abspaltung beschleunigt werde, wenn Madrid in Katalonien eingreife. In diesem Falle, so erklärte er damals, werde das katalanische Parlament die bisher noch ausgesetzte Unabhängigkeitserklärung umgehend in Kraft setzen.

Herr Ministerpräsident, stellen Sie Wahlurnen auf!

Eine Neuwahl, wie sie Spaniens Regierung zur politischen Stabilisierung Kataloniens anstrebt, und wie sie offenbar auch viele Katalanen als Ausweg bevorzugen würden, lehnt Puigdemont bisher ab. „Wahlen stehen derzeit nicht zur Debatte“, sagte Puigdemonts Sprecher Jordi Turull. Die beiden größten katalanischen Tageszeitungen, La Vanguardia und El Periódico, warfen dem Separatistenführer gestern vor, Katalonien in eine Sackgasse manövriert und das Risiko einer gewaltsamen Konfrontation in der gespaltenen Gesellschaft in Kauf zu nehmen.

Am deutlichsten wurde Enric Hernàndez, Chefredakteur von El Periódico, in seinem Leitartikel. Er verglich die Manipulation der öffentlichen Meinung durch die Separatisten mit dem, „was die Befürworter des Brexits machten“. In der Tat haben sich bereits viele Behauptungen der katalanischen Regierung über die Vorteile einer blühenden und unabhängigen „Katalanischen Replubik“ als Propaganda erwiesen. Beide Zeitungen überschrieben ihre Leitartikel gestern mit dem Titel: „Herr Ministerpräsident, stellen Sie Wahlurnen auf!“

Laut einer am Samstag von El Periódico veröffentlichten Umfrage sind 69 Prozent der Katalanen dafür, dass Neuwahl der beste Weg sei, um angesichts wachsender Spannungen die Stimmung in der Region auszuloten. In der letzten Wahl vor zwei Jahren, die von den drei Parteien der Separatistenfront zum Plebiszit über die Zukunft Kataloniens erklärt worden waren, hatten die Unabhängigkeitsbefürworter 47,8 Prozent der Stimmen bekommen. Damit errangen sie aber die knappe Mehrheit im katalanischen Parlament.

Von unserem Korrespondenten Ralph Schulze, Madrid

pl
23. Oktober 2017 - 20.40

zur Zeit haben 700 groessere Firmen und 1300 PME ihren Firmensitz nach Spanien verlegt. darunter eine Firma deren Inhaberin eine Kusine des President ist das gibt doch zu denken

René W.
23. Oktober 2017 - 7.39

Ist es nicht eher Katalonien, die hier einen Putsch versucht ? Ich denke, die katalonische Administration steht immer noch unter der von Madrid. Die Katalonen sind sich wahrscheinlich gar nicht bewusst (wie damals die Briten), was es bedeutet, sich von Spanien zu entfernen. Da bereits über 100 Betriebe ihren Sitz aus Katalonien verlegt haben, hat es sich bald auch mit der guten wirtschaftlichen Lage. Einen neuen "Staat" zu gründen ist ja auch nicht umsonst.