Wo Parteien die Debattenkultur diktieren

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Während Wahlkämpfen wird mit harten Bandagen gekämpft. Die Kandidaten ziehen von Briefkasten zu Briefkasten, buhlen in den Straßen mit allen erdenklichen Mitteln um jede Stimme und versuchen natürlich ein Maximum an medialer Aufmerksamkeit zu erzielen, um eine ganze Reihe Menschen mit einem Schlag zu erreichen. Gleiches gilt nun für die hauptstädtische CSV. Die Lokalsektion hat am Mittwochmorgen eine Mitteilung an die Presse geschickt. Sie und ihr Spitzenkandidat Serge Wilmes fühlen sich unfair behandelt, weil RTL eine Duell-Konstellation geändert hat.

Eigentlich sollte Wilmes gegen die amtierende Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) antreten. RTL hat seine Entscheidung noch einmal überdacht und lässt stattdessen Polfer gegen den LSAP-Spitzenkandidaten Marc Angel antreten. Wilmes soll seinerseits gegen die Schöffin der Grünen, Sam Tanson, vor die Kamera treten. Die CSV teilte mit, dass sie nur am Duell teilnehmen werde, wenn Wilmes gegen Polfer antritt. RTL meldete sich am Mittwochabend zu Wort. Das Format hätte nichts mit ihrem öffentlich-rechtlichen Auftrag zu tun. Die Konstellation der Duelle sei eine journalistische Entscheidung gewesen.

Tatsächlich hat die CSV fünf Sitze im hauptstädtischen Gemeinderat, während die LSAP deren vier hat. Für RTL ändert das aber nichts. Der Sender habe die Entscheidungshoheit, wie er seine Duelle zusammenstellen will. Durch die neuen Konstellationen habe man sich eine lebendigere Debatte erwartet.

Eklat in Frankreich

Beide Seiten haben in gewissem Maß recht. RTL hat tatsächlich die Hoheit über seine Sendungen, die sich außerhalb ihres öffentlich-rechtlichen Auftrags befinden, und kann damit entscheiden, wer gegen wen antritt. Das ist Pressefreiheit. Die Freiheit der CSV liegt darin, die Einladung ablehnen zu können.

Mit ihrer Entscheidung liegt die Partei sogar im internationalen Trend. Es ist nicht das erste Mal in diesem Jahr, dass es zu einem Streit über ein Sendungsformat kommt. Während der französischen Präsidentschaftswahlen in diesem Frühjahr kam es zum Eklat vor der Debatte auf dem privaten Sender TF1. Der Kandidat Nicolas Dupont-Aignan (Debout la France) hatte während eines Interviews wutentbrannt das Studio verlassen und dem Sender vorgeworfen, „die republikanische Gleichheit“ nicht zu respektieren. TF1 hatte eine „große“ Debatte mit den fünf umfragestärksten Kandidaten organisiert. Die restlichen sollten in einer zweiten Debatte der „kleinen Kandidaten“ antreten.

Alle blieben

Dupont-Aignan ging so weit, sich vor dem audiovisuellen Rat zu beschweren. Der ließ ihn aber abblitzen, mit der Erklärung, dass es in der redaktionellen Verantwortung eines Senders liege, seine Formate zu definieren. Und genau hier liegt der Punkt. Ein Sender weiß noch immer am besten, welche Formate funktionieren. Die Entscheidung, nur fünf Kandidaten einzuladen, kann die Debatte beleben. Je weniger Politiker im Studio sind, desto schneller ist der Schlagabtausch. Mit über zehn wäre wohl kaum eine ernsthafte Debatte entstanden. Der Politiker klagte auch vor dem französischen Staatsrat. Auch hier stieß er auf Granit.

Trotzdem gab ein großer Teil der Bevölkerung dem Kandidaten recht. Als die „große“ Debatte begann und der Streit zwischen dem Politiker gerade einmal ein paar Tage alt war, fühlten sich die Kandidaten gezwungen, sich solidarisch zu zeigen. Bevor sie ihre Redezeit nutzten, um sich vorzustellen, kritisierten sie alle vor den sichtlich entnervten Journalisten den Sender. Alle blieben. Sie wussten, dass die Debatte zu wichtig für ihr Rennen um die Präsidentschaft war, um aus dem Studio zu stürmen und den Sender zu boykottieren.

Eine Debatte „wie immer“

Das Phänomen beschränkte sich nicht auf den französischen Wahlkampf, sondern wiederholte sich noch einmal, in einer etwas anderen Form, beim Bundestagswahlkampf in Deutschland. Die amtierende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sollte in den öffentlich-rechtlichen Sendern gegen ihren Kontrahenten Martin Schulz (SPD) antreten. Die Sender hatten eine klare Vorstellung, wie diese Debatte aussehen soll. Sie wollten, ganz nach amerikanischem Vorbild, mehr Freiheit für die Journalisten und Publikum im Studio. Außerdem wünschten sie sich zwei Debatten. Dazu sollte es aber nicht kommen.

Merkel schickte ihren Regierungssprecher Steffen Seibert und ihre Vertraute Eva Christiansen zu den Sendern. Sie stellten klare Forderungen: Die Kanzlerin werde nur zum Duell erscheinen, wenn es „wie immer“ stattfinden werde. Keine neuen Ideen. Die Sender gaben nach. Der Ex-Chefredakteur des ZDF, Nikolaus Brender, nannte das Fernsehformat gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel eine „Missgeburt“, die unter Erpressung des Kanzleramtes entstanden sei. Die Kanzlerin wies darauf hin, dass sie das Recht habe, eine Einladung zu einem Duell abzulehnen, wenn ihr das Format nicht gefällt.

Genau dabei hätten es die Sender belassen sollen. Sie hätten nicht nachgeben dürfen und das Duell hätte ins Wasser fallen sollen. Im Namen der Pressefreiheit sollte die Entscheidungshoheit in solchen Fragen bei den Medien bleiben und nicht an die Parteien übergehen. Darum hat RTL am Mittwoch das Richtige getan, als der Sender sein Bedauern über die Entscheidung der CSV ausgedrückt und Serge Wilmes in die Wüste geschickt hat.