Von meinem Schopf auf deinen Kopf: Wenn aus 25 Zentimetern eine Perücke für Krebspatienten wird

Von meinem Schopf auf deinen Kopf: Wenn aus 25 Zentimetern eine Perücke für Krebspatienten wird

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Seit Jahren trägt Michelle Schmit ihre Haare fast bis zur Taille. An Ostern entscheidet sie sich jedoch, der blondbraunen Mähne Ade zu sagen und ihre Haare zu spenden. Ihr langer Zopf wandert also nicht wie üblich in den Mülleimer, sondern geht an eine Perücken-Manufaktur in Deutschland. Vermittler ist Salonbesitzer Tun Machado, denn seit einem Jahr ist das Haus ByTun offizieller Partner von Haare-spenden.de.

Abgabestellen im Süden:
Maison de coiffure et de beauté byTun (Esch)
Intercoiffure Young-Style byTun (Esch)
Intercoiffure byTun (Beles)

Anleitung und Formular:
www.haare-spenden.de

„Nur die Spitzen, nicht zu viel abschneiden bitte!“, dieser Satz kommt den meisten Damenfriseuren wohl bekannt vor. Die eigene Haarpracht ist vielen Trägerinnen heilig, jeder verlorene Zentimeter grenzt an Körperverletzung. Doch was, wenn plötzlich die Haare nicht nur zusehends kürzer werden, sondern radikal ausfallen? Ein Anblick, der nicht nur optisch zeigt, dass mit dem eigenen Körper etwas nicht stimmt, sondern für viele Betroffene ein davor ungekanntes Tief darstellt. Denn Kleider machen zwar Leute, doch was auf dem Kopf getragen wird, bestimmt nicht nur Schönheit, Geschlechtlichkeit und Attraktivität, sondern ganz grundlegend die Person, als die Frau (oder Mann) sich definiert.

Die Gründe für Haarausfall sind vielfältig. Schon alltäglicher Stress kann zum Verlust des Schopfes führen, aber auch Hormonstörungen, Nährstoffmangel oder Krankheit können schuld daran sein, wenn der Kopf anfängt, kahl zu werden. Besonders weibliche Betroffene leiden emotional extrem unter der unfreiwilligen Veränderung ihres Erscheinungsbildes. Ein kleiner, doch oftmals für die Moral Wunder wirkender Trost sind Perücken.

Schnipp, schnapp die Spende ist ab

Ob synthetisch oder aus Echthaar, die Haarpracht aus der Manufaktur bietet ihrem Träger die Möglichkeit, wenigstens nach außen hin das ästhetische Problem zu vertuschen und sich wieder schön zu fühlen. Doch Perücken kosten – und zwar nicht gerade wenig. Wer ein qualitativ hochwertiges Modell erwerben möchte, der zahlt gerne mal Summen bis in den vierstelligen Bereich. Übernommen wird von der Krankenkasse allerdings nur ein Höchstbetrag von 250 Euro und auch nur dann, wenn die gefertigte Mähne vom Arzt verordnet wurde.

Es gibt allerdings eine andere Alternative: Haarspenden. Immer mehr Friseursalons in Luxemburg bieten ihren Kunden an, den abgeschnittenen Zopf zu spenden, um daraus anschließend eine Perücke für Krebspatienten fertigen zu lassen. Auch Michelle Schmit hat über ihre Hairstylistin von dieser Möglichkeit erfahren und war sofort Feuer und Flamme. „Ich hatte immer langes, dickes Haar. Letztes Jahr wollte ich dann irgendwann schon einen kürzeren Schnitt und meine Friseurin hat mich gefragt, ob ich meine abgeschnittenen Haare nicht spenden wolle“, erzählt die 24-Jährige.

Von Juni bis April ließ sie ihren blondbraunen Schopf wachsen, um dann die gebrauchte Länge von 25 Zentimetern zu erreichen. Nach einem ersten, nicht gelungenen Spendeversuch über eine andere Organisation ging es schließlich mit dem geflochtenen Zopf zu Tun Machado von Coiffeur&Créateur ByTun. Seit einem Jahr ist der Betreiber von mehreren Haarsalons in Esch und Beles Partner der deutschen Organisation Haare-spenden.de. Rund 50 Zöpfe haben bereits den Weg aus Luxemburg in die Perückenmanufaktur Rieswick nach Deutschland gefunden, um dort zu neuen Echthaarteilen weiterverarbeitet zu werden.

Herzblut statt Geldmacherei

Erfahren hat der Friseurmeister von der Initiative durch eine junge Kundin. Nach kurzer Recherche war er von Haare-spenden.de überzeugt. „Auf einen Schlag habe ich dann Haare aus 14 Jahren verschickt, denn ich habe immer alle langen Zöpfe aufbewahrt“, so Tun. Für die Empfänger sind die gefertigten Perücken kostenfrei – sonst würde der Salonbetreiber seinen Kunden diesen Dienst auch nicht vorschlagen: „Ich bin zwar ein Geschäftsmann und habe kein Problem damit, meinen Klienten Extensions im Wert von 3.000 Euro zu verkaufen, aber mit der Krankheit anderer Leute darf man kein Geld machen. Das geht gegen alle meine Prinzipien.“

Die Initiative liegt Tun auch persönlich am Herzen, denn seinen ersten Geschäftspartner verlor der Friseur an Krebs. Umso mehr berührt es ihn, wenn seine Kunden sich dazu entscheiden, ihre Haare zu spenden: „Erst vor Kurzem hatte ich den Fall, dass ich morgens in meinem Salon am Escher Bahnhof die Rollläden hochzog und schon ein junges Mädchen wartete, um sich ihre Haare für diesen Zweck schneiden zu lassen.“

Auch Michelle ist sich bewusst, wie viel der Schereneinsatz an ihrem Zopf für eine andere Person bedeuten kann: „Meine Haare wachsen ja wieder nach, aber es gibt so viele Frauen, die an Krebs oder einer anderen Krankheit leiden und schon genug Probleme haben. Da muss nicht auch noch ihr Aussehen ihnen Kummer bereiten, denn schließlich sind Haare für viele eine Art Schutz.“ Ihr Entschluss, so viel abzuschneiden, sorgte allerdings für Aufregung im Salon, wie die 24-Jährige berichtet: „Es standen fünf Friseurinnen um mich herum und fragten mehrmals, ob ich mir auch wirklich sicher wäre. Wenn Leute schon bei ein paar Zentimetern einen solchen Aufstand machen, dann will ich nicht wissen, wie schlimm es sein muss, wenn einem die Haare komplett ausfallen.“

Das Einzige, was die junge Studentin an der Initiative noch stört, ist ihre momentane Unbekanntheit. „Ich musste bei mehreren Salons nachfragen, bis ich einen gefunden hatte, der Haarspenden annimmt. Für mich müsste es einen offiziellen Aufkleber geben, den die Salons in ihren Fenstern anbringen können oder sonstige Aktionen, um mehr auf das Thema aufmerksam zu machen“, so die Studentin. Denn wer beim Gang zum Friseur Mut zur Veränderung beweist, der tut nicht nur sich selbst etwas Gutes, sondern hilft einem anderen Menschen, durch die Perücke den ungeplanten Haarverlust vielleicht wenigstens mit etwas mehr Würde zu ertragen.

 

Von Laura Tomassini