Den eigenen Vorfahren auf der Spur: Genealogie-Experte Alphonse Wagner im Gespräch

Den eigenen Vorfahren auf der Spur: Genealogie-Experte Alphonse Wagner im Gespräch

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Von André Feller

Wo lebten Ihre Vorfahren? Und wie kam die Umwandelung des Familiennamens „Meyers“ zu Meyer zustande? Gab es gar Ein- oder Auswanderer in Ihrer Familie? Wer sich diese Fragen stellt, steht, falls noch nicht geschehen, vor dem Einstieg in das Forschungsgebiet der Genealogie.

Tageblatt: Wie kamen Sie zu dem spannenden Hobby der Genealogie?

Alphonse Wagner: Alles begann, wie bei vielen Einsteigern in die Ahnenforschung, mit der Erbschaft eines alten Schuhkartons mit Familiendokumenten, Alben und Fotos aus der Familie meiner Frau. Recht schnell führte uns die Spurensuche über die Landesgrenzen hinaus, nach Deutschland und Frankreich. Eine Eheschließung blieb trotz Nachforschungen sehr lange ein Rätsel, bis sich eine Spur im französischen Loffre im heutigen Département Nord fand. Damit taten sich neue Fragen auf. Die Frau war in Echternach geboren, ihre Eltern stammten aus der Eifel, der Ehemann aus Fressain (Département Nord, Frankreich): Wie fanden diese beiden Menschen im Jahr 1884 zusammen? Bisher gibt es dazu keine wirkliche Erklärung.

Bei der Suche nach meinem Familienstamm „Wagner“ waren die noch vorhandenen Dokumente sowie eine handgeschriebene Auflistung der Stammlinie, die mein Vater als Nachweis der Luxemburger Staatsangehörigkeit beim Eintritt in die Armee vorzeigen musste, sehr hilfreich.

Dass mein Vater zu den alten Stammfamilien im Land gehört, hat er leider nie erfahren. Bis 1690 finden sich offizielle Urkunden, die die komplette Familienlinie der Wagner– eigentlich richtigerweise Wagener, denn das „e“ ging im Laufe der Zeit verloren – belegen. Dokumentiert sind wir in Kehmen, Bourscheid, Diekirch und Tandel. Weitere Spuren finden sich in Dahl, Goesdorf und Wiltz.

In Wahl, dem Geburtsort meiner direkten Wagner-Pleimling-Familienlinie, stieß ich auf die Todesurkunde meines Urgroßvaters von 1908. Von diesem Punkt an verlor sich die Spur in Luxemburg und führte mich nach Chiry-Ourscamp im französischen Département Oise, wo meine Familie lebte und arbeitete.

Lokalgeschichte und Ahnenforschung sind also eng miteinander verbunden?

Ja in der Tat. Unsere Vorfahren lebten oft nicht nur an einem Ort. Sie zogen dorthin, wo es Arbeit gab. Manche von ihnen hatten auch mehrere Jobs. Auch im Landesinneren wanderten Bauern und Arbeiter aus dem Ösling in den Süden. Die aufblühende Stahlindustrie versprach Arbeit mit gutem und stabilem Einkommen. Eisenbahnstrecken mussten gebaut werden. Mit dem Ausbau der Stahlindustrie und den daran hängenden Berufen wurden viele Arbeitskräfte benötigt. Damit wurde wiederum neues Gewerbe angezogen. Arbeiterwohnungen und -siedlungen entstanden, ebenso wie Gaststätten, Restaurants, Vereine, Geschäfte usw., und somit Lokalgeschichte.

Es ist also nicht verwunderlich, im Süden Luxemburgs auf Familien aus dem Norden des Landes, aus Belgien, Frankreich und der nahen Eifel zu treffen.

Man sollte dennoch Lokalgeschichte von Familien-/Ahnenforschung trennen. Manche Familienforscher konzentrieren ihre persönlichen Recherchen nur auf die wichtigsten Lebensereignisse in der direkten Familienlinie. Andere Familienforscher erweitern ihr Suchgebiet über sämtliche Familienlinien.

Verschiedene Ahnenforscher und Vereine sind aber auch bemüht, ganze Orte oder gar Regionen zu erfassen, zu dokumentieren und in Datenbanken festzuhalten.

Sie erwähnten die teils schwierige Suche. Ist es nicht damit getan, die jeweiligen Akten bei den Gemeinden einzusehen?

Eine Suche klappt eigentlich sehr gut, wenn jemand alle Vorfahren im heutigen Großherzogtum Luxemburg sucht. Die mehrfache Neugliederung Europas und Luxemburgs erschwert die Suche, insofern man in der heutigen Großregion (D, B, NL, F) suchen muss.

In den Grenzen Luxemburgs findet man fast alle Urkunden aus den Zeiten der Kirchenbücher (1650-1796) und für die zivilen Akten von 1797 bis 1910 /1915 im Luxemburger Staatsarchiv. Auch Gerichtsbücher, Militärakten sowie Notarakten können sich hier als nutzbare Quelle erweisen.

In Frankreich und Belgien erleichtern Internetplattformen die Suche. Für Deutschland gibt es zahlreiche Ortsfamilienbücher. Eine einheitliche Internetplattform kommt eher zögernd in Schwung. Komplexer wird eine Suche bei Ein- und Auswanderung. Ich erinnere an dieser Stelle an die Auswanderungen nach Amerika oder an jene Italiener, Polen oder Portugiesen, die sich in Luxemburg niederließen.

Müssten nicht alle Archive im Nationalarchiv aufbewahrt werden?

Wenn das Gesetz angewendet wird, müssten alle Gemeinden und Verwaltungen ihr Archivgut regelmäßig an das Nationalarchiv übertragen. Das neue Archivgesetz ist oft unklar formuliert, manche wichtigen Fragen bleiben offen und ungeklärt.

Andere Fragen stellen sich zu Privatarchiven, Vereinsarchiven, Erbnachlässen, Akten aus der Privatwirtschaft, Akten aus Verwaltungen und von Notaren. Diese werden seltener im Staatsarchiv deponiert. Privatarchive landen häufiger im Altpapiercontainer. Für viele Unternehmen ist Archivierung auch zu teuer, denn es bringt ihnen keinen erkennbaren Nutzen. Hier müssten vielleicht andere Wege eingeschlagen werden.

Leider lässt ein neu funktional gestaltetes nationales Archivgebäude mit ausreichen Lagerkapazitäten immer noch auf sich warten. Man hat das Gefühl, dass unsere Politiker sich nicht dem Ernst der Lage bewusst sind und dass Archivierung immer noch für viele keine echte Priorität ist.

Sehen Sie mögliche staatliche Alternativen, um Betriebe und Vereine bei der Archivierung zu unterstützen?

Eine Möglichkeit wäre eine noch zu schaffende nationale Archivplattform unter der Regie des Staatsarchivs, etwa in Form eines mietbaren Speicherplatzes. Das Angebot könnte durch zusätzliche Schulungen, Beratungen und Hilfen zur fachgerechten Archivierung ergänzt werden. Die Luxembourg School of Commerce oder das Luxembourg Lifelong Learning Center wären wahrscheinlich ein guter Partner für die Schulung. Die Vernetzung einheitlicher digitaler Datenbanken wäre äußerst hilfreich, auch könnten neue Berufe, sogar Homeoffice-Berufe mit dieser Maßnahme geschaffen werden.

Wie sehen Sie die Aufgabe eines Gemeindearchivars?

Jede größere Gemeinde müsste zwei hauptberufliche Archivare anstellen. Das Aufgabengebiet würde aber nicht nur in einer Katalogisierung und Lagerung bestehen. Gemeinde-eigene Archivare könnten eine beratende Anlaufstelle für Vereine, Betriebe oder Privatpersonen sein. Auf diese Weise könnten wichtige und interessante Dokumente und Bilder aus privater Hand den Weg ins Gemeindearchiv finden.

Indirekt entstünden neue Arbeitsplätze, nicht nur Archivare, sondern auch Jobs im Bereich der IT.

Seit der europäischen Datenschutzverordnung, kurz DSGVO, und den Diskussionen um illegale Polizeidatenbanken ist das Thema Datenschutz in aller Munde. Ist der Datenschutz eine unüberwindbare Hürde für Ahnenforscher?

An erster Stelle möchte ich unterstreichen, dass Datenschutz ein wichtiges Instrument zur Kontrolle ist. Stellen Sie sich vor, jemand erforscht Ihre Familiengeschichte und veröffentlicht diese mit persönlichen Inhalten und Details ohne Ihr Einverständnis. Daraus stellt sich die Frage, wie jemand im Vorfeld ohne Erlaubnis des Betreffenden solche persönliche Daten einsehen konnte.

Im Datenschutz muss man auch unterscheiden zwischen öffentlich frei zugänglichen Informationen und unter das personenbezogene Datenschutzrecht fallende Angaben.

Jeder sollte respekt- und verantwortungsvoll mit Daten umgehen. Wir alle haben ein Recht auf Schutz unserer eigenen Privatsphäre. Aus diesem Grunde umfassen die neuen Datenschutzregeln strenge Schutzfristen und Schutzregeln. Dies gilt sowohl für persönliche Bilder, Dokumente als auch für Texte und Publikation in anderer Form.

Bei Onlinepublikationen stellt sich die Frage aber erst recht nach dem Datenschutz.

Genealogie, Datenschutz und Urheberrecht sind sehr komplex. Obwohl in Europa für jeden Bereich ein geltendes Gesetz erstellt wurde, gelten in jedem Land andere Rechtsgrundlagen. Diese unterschiedlichen Vorschriften erschweren manchmal Recherchen und Veröffentlichungen zur Ahnenforschung erheblich.

Vom Datenschutz zum Bildrecht ist es nur ein Katzensprung. Spielt dies auch in der Genealogie eine Rolle?

Absolut, jedoch ist auch hier die Gesetzeslage schwierig. Weltweit sammeln Familien- und Geschichtsforscher Daten, etwa durch Abfotografieren von Grabsteinen an Friedhöfen. In Luxemburg ist dies ohne vorherige Erlaubnis eigentlich verboten, außer für sein eigenes Familiengrab.

Bei der Wiederverwendung von Veröffentlichungen, etwa Zeitungen, Vereinsbroschüren oder den typischen Klassenfotos, bedarf es der Erlaubnis des Urhebers und/oder des Verlegers. Ein wichtiger Ansprechpartner für die urheberrechtlichen Fragen und zur Beantragung einer entsprechenden Lizenz ist Luxorr (Luxembourg Organization for Reproduction Rights Asbl).

Kommen wir nun zur Praxis. Wie und wo beginne ich meine Nachforschungen?

Anfangen sollte man seine Suche zuerst mit seinen eigenen Familienpapieren, Urkunden, Dokumenten und Familienbüchern. Über diesen Weg und speziell den Heiratsurkunden finden sich erste Daten und Informationen zur Familie. In Gemeinden und Pfarrämtern finden sich anschließend weitere Anhaltspunkte.

Bei diesen ersten Nachforschungen sollte man zudem nach alten Meldekarten fragen, hier sind oft Umzüge vermerkt. Wichtige Hinweise liefern zudem ältere Familienmitglieder und Verwandte, beispielsweise bei Familienfeiern. Sie erzählen oft von früher. Mein Tipp lautet daher: alles Mitschreiben oder auch Aufzeichnen und nach weiteren Details fragen. Alte Nachbarn oder alte Bekannte der Familie können oft etwas zur Familiengeschichte oder zu unbekannten Ereignissen erzählen.

In Luxemburg liefern derzeit zwei größere Datenbanken weitere Hinweise: Luxracines.lu und Luxroots.com. International kann man bei Familysearch.org, Geneanet.com oder Ancestry.com fündig werden. Einige dieser Anbieter sind aber nur per Abonnement oder Mitgliedskarte einsehbar.

Wertvolle Hilfe bei der Suche bieten auch regionale Ahnenforscher und Lokalhistoriker an, etwa bei Aktionstagen wie der „Journée nationale de la généalogie“ am kommenden 20. Oktober in Walferdingen oder im Rahmen lokaler und regionaler Veranstaltungen. Bücher, Archive, Broschüren und Zeitungsausschnitte ergänzen oft dieses Suchangebot. Eine weitere Möglichkeit wäre eine kostenpflichtige Beauftragung eines Ahnenforschers.

Sie selbst bieten seit kurzem Kurse und Workshops an. Können Sie einige Details erläutern?

Seit 2018 bitte ich kostenlose Workshops mit dem Thema Familien-/Ahnenforschung in Differdingen an. An insgesamt acht Workshop-Abenden versuche ich den Teilnehmern anhand einer Präsentation, Informationen und Tipps zur Suche nach ihren Familien zu vermitteln. Ab dieser Saison werde ich jeweils eine Stunde vor Workshop-Beginn Fragen zur eigenen Suche beantworten und Hilfestellung geben. Beginn der Workshop-Serie ist am 12. November um 19.00 Uhr im Hochzeitssaal im zweiten Stock des ‘‘Aalt Stadhaus‘‘ in Differdingen.