Schaukampf mit Risiko in Österreich: ÖVP schickt FPÖ-Hasser in EU-Wahl

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Ausgerechnet den schärfsten Gegner ihres rechtspopulistischen Koalitionspartners kürte die ÖVP zum Spitzenkandidaten für die EU-Wahl. Das wird spannend: Denn die zwecks Wählermobilisierung kalkulierte Konfrontation könnte außer Kontrolle geraten.

Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer

Bundeskanzler Sebastian Kurz machte es spannend. Während SPÖ und Grüne ihre Spitzenkandidaten für die EU-Wahl am 26. Mai längst gekürt haben und bei der FPÖ die Nominierung des bereits im EU-Parlament sitzenden Generalsekretärs Harald Vilimsky nur noch eine Formsache ist, herrschte bei der ÖVP striktes Schweigen. Dabei gab es nur einen logischen Kandidaten: Othmar Karas. Der 61-Jährige mit 20 Jahren EU-Parlamentserfahrung ist nicht nur über Parteigrenzen hinweg als kompetenter Europapolitiker anerkannt, sondern hat auch den Beweis erbracht, dass man auch ohne das Feindbild EU Wahltriumphe feiern kann. Bei den EU-Wahlen 2009 und 2014 erzielte der Schwiegersohn des früheren Bundespräsidenten Kurt Waldheim jeweils das beste Vorzugsstimmenergebnis aller Kandidaten.

Was ihn aus der Masse der Parteisoldaten herausragen lässt, macht ihn freilich nicht bei allen Parteifreunden beliebt: Vor der Wahl zwischen Parteiräson und Europabegeisterung stehend entscheidet sich Karas meist für Letztere. So machte er aus seiner tiefen Abneigung gegen die FPÖ auch nach der Bildung der türkis-blauen Koalition vor 13 Monaten kein Hehl. Und diese bringt er auch bei jeder Gelegenheit unverblümt zum Ausdruck, auch dann, wenn seine Kritik die eigene Partei miteinschließt. Als der Kanzler im Herbst auf Druck der FPÖ plötzlich den Ausstieg Österreichs aus dem UNO-Migrationspakt verkündete, tanzte Karas als einziger ÖVP-Politiker aus der Reihe und kritisierte die Entscheidung mehrfach.

Taktische Karas-Kür

Auch die von der Bundesregierung beschlossene Indexierung der Familienbeihilfe für in Österreich arbeitende Ausländer, deren Kinder in der Heimat leben, lehnt Karas offen ab, weil er sie für einen Verstoß gegen EU-Recht hält. Als die FPÖ im vergangenen Sommer EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein Alkoholproblem unterstellte und eine regelrechte Kampagne gegen den Luxemburger lancierte, war es nicht Kurz, sondern wieder Karas, der sich öffentlich davon distanzierte und vom Koalitionspartner sogar eine Entschuldigung bei Juncker verlangte. Auch an der Einladung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Hochzeit von Außenministerin Karin Kneissl ließ Karas kein gutes Haar: „Ein solches persönliches Fest so zu inszenieren und missbrauchen zu lassen, dafür fehlt mir jedes Verständnis.“

All das nährte Spekulationen, dass Kurz kein Verständnis für eine erneute Kandidatur Karas’ haben könnte. Neben den sachlichen Differenzen haben die beiden auch auf persönlicher Ebene ein alles andere als herzliches Verhältnis. Karas repräsentiert eher die alte, schwarze ÖVP, die Kurz in eine türkise Bewegung umgemodelt hat. Dennoch sprach wahltaktisch wie strategisch viel für das Urgestein. Die ÖVP versteht sich ungeachtet aller Konflikte auf EU-Ebene nach wie vor als proeuropäische Partei. Als solche wird sie in der bevorstehenden EU-Richtungswahl Farbe bekennen müssen. Daher drängte sich ein prononcierter FPÖ-Kritiker als Frontmann geradezu auf, dies umso mehr, als eine unabhängige Kandidatur Karas’ gegen die ÖVP nicht ausgeschlossen werden konnte. Einer, der sich leidenschaftlich mit der FPÖ duelliert, könnte zudem zur Mobilisierung der EU-wahlfaulen Österreicher beitragen.

Die Freiheitlichen schießen sich jedenfalls schon auf Karas ein: Noch bevor ihn der ÖVP-Vorstand gestern einstimmig zum Spitzenkandidaten nominierte, hatte ihm Harald Vilimsky beim FPÖ-Neujahrstreffen am Wochenende den „Fehdehandschuh“ hingeworfen. „So sehr ich auch Freund, Anhänger und Unterstützer dieser türkisblauen Allianz bin, so sehr bin ich auch Feind dieser alten und uralten Schwarzen, die sich am liebsten mit den Sozialisten ins Bett legen wollen“, sagte der FPÖ-Spitzenkandidat in Richtung Karas.

Riskanter Spagat

Die Attacke verrät auch die hinter den Kulissen wohl abgesprochene Taktik: Die FPÖ tobt sich nach Lust und Laune an Karas aus, ohne aber die Koalition in Wien zu attackieren. Das türkis-blaue Kalkül: Die Medien könnten den Schaukampf zwischen FPÖ und ÖVP so spannend finden, dass die übrigen Kandidaten aus dem Fokus geraten. Das ist freilich ein hochriskantes Konzept, da die von Kurz bisher durchaus erfolgreich praktizierte Message Control im Eifer des Gefechtes außer Kontrolle geraten könnte. Die Rechtspopulisten werden ihren Anhängern die übliche EU-Verteufelungsshow bieten, weshalb es für die ÖVP zur Aufrechterhaltung der europapolitischen Glaubwürdigkeit nicht genügen wird, wenn nur Karas dagegenhält. Da auf Platz zwei der ÖVP-Wahlliste die einen strammen Rechtskurs verfolgende Innen-Staatssekretärin und Kanzler-Vertraute Karoline Edtstadler steht, könnte der europapolitische Konflikt schnell mitten in der Regierung und damit bei Kurz selbst landen.

Karas wird im Eskalationsfall kaum zur Beruhigung beitragen können und wollen. Sein guter Ruf als glühender Europäer steht auf dem Spiel. SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Schieder gratulierte ihm zwar ausdrücklich zur Kür und würdigte ihn als „seriösen Kandidaten“, warnte ihn aber zugleich davor, „pro-europäisches Feigenblatt für die anti-europäische Politik von Sebastian Kurz zu werden“. Die mit der FPÖ voraussichtlich um Platz zwei ritternden Sozialdemokraten stellen also Karas’ Rolle als Supereuropäer infrage. Und der von Sebastian Kurz nicht wirklich abhängige Alt-Schwarze wird sich, wenn es hart auf hart und um seinen Ruf geht, wohl wieder gegen die Parteiräson entscheiden.