Nach Spende vom Christchurch-Mörder wird gegen Chef der Identitären ermittelt

Nach Spende vom Christchurch-Mörder wird gegen Chef der Identitären ermittelt
Das Video zeigt eine Aktion namens „Stoppt den großen Austausch“ der Identitären am 21. März in Wien.

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Der mutmaßliche Attentäter von Christchurch hatte offenbar einen starken Österreich-Bezug. Er bereiste das Land nicht nur, sondern dürfte auch an die rechtsextremen Identitären dort gespendet haben.

Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien

„Der große Austausch“ betitelte Brenton Tarrant sein Pamphlet, das er vor dem Massenmord an 50 Muslimen in Christchurch ins Netz gestellt hatte. „Stoppt den großen Austausch“ prangte nur wenige Tage danach in großen Lettern auf einem Transparent, mit dem Aktivisten der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) durch Wien zogen. Nicht nur der Slogan deckt sich weitgehend mit dem, was der australische Massenmörder in seinem Manifest vermitteln wollte. Auch die international vernetzten Identitären warnen, dass die Einheimischen wegen ihrer niedrigen Geburtenraten bei gleichzeitiger Massenzuwanderung „zur Minderheit im eigenen Land“ werden.

Brenton Tarrant dürften es die Identitären angetan haben, auch wenn deren Anführer in Österreich jetzt findet, dass er ihm etwas angetan hat. Denn Martin Sellner musste Montagabend in einem hastig erstellten Video die Flucht nach vorne antreten, nachdem er wieder einmal Besuch vom Verfassungsschutz bekommen hatte.

Eigentlich wollte der IBÖ-Chef, wie er in dem Clip mitteilt, ja eh selber am nächsten Tag zur Polizei gehen, aber sie sei ihm eben zuvorgekommen. Anlass der Hausdurchsuchung war eine Spende, für die sich Sellner Anfang des Jahres auch artig beim Donator bedankt hatte. Obwohl es eine „unverhältnismäßig hohe Spende“ war, will sie Sellner erst am vergangenen Sonntag aufgefallen sein: „Ich machte die Steuer (gemeint wohl: Steuererklärung) und fand unter Spendern eine E-Mail-Adresse, die im Nachnamen Tarrant hatte. Ich war mir nicht sicher, ob er das war.“

Bevor Sellner noch seinen Anwalt kontaktieren und, wie angeblich beabsichtigt, die brisante Spende den Behörden melden konnte, „klopfte es an der Tür. Draußen standen Beamte, die haben mir eröffnet, dass gegen mich ein Ermittlungsverfahren läuft. Aufbauend auf der Tatsache, dass mir der Typ Anfang des Jahres gespendet hat“.

Das Innenministerium in Wien bestätigte gestern die Hausdurchsuchung bei Sellner aufgrund von Ermittlungen wegen des Verdachtes auf Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung. Die Staatsanwaltschaft Graz prüft etwaige Beziehungen zwischen dem Christchurch-Attentäter und dem IBÖ-Chef. Denn der E-Mail-Absender des Spenders von 1.500 Euro passt tatsächlich zum Namen des Massenmörders.

Tarrant auf Österreich-Tour

Sellner bestreitet jeglichen Kontakt zu Tarrant. Möglich wäre ein Treffen theoretisch durchaus gewesen. Denn der Australier dürfte sehr Austria-affin sein. Auf einer seiner Waffen war der Name Ernst Rüdiger von Starhemberg graviert. Dieser war bei der Türkenbelagerung Wiens im Jahr 1683 Stadtkommandant. Zudem absolvierte Tarrant – kurz bevor seine Idee zum Doppelanschlag von Christchurch konkret wurden – Ende November 2018 eine ausgedehnte Österreich-Tour.

Auf seinem mittlerweile gelöschten Facebook-Profil hatte er Fotos aus Wien, Kärnten, Salzburg, Innsbruck und Steyr in Oberösterreich gepostet. Er selbst ist zwar nicht darauf zu sehen, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) geht aber aufgrund gesicherter Informationen über Tarrants Einreise über Ungarn am 26. November davon aus, dass er tatsächlich alle diese Orte besucht hat. Man wisse, „dass er mit einem Mietauto große Strecken durch Österreich gefahren“ sei, so BVT-Chef Peter Gridling. „Direktkontakte“, also etwa mit dem Spendenempfänger Sellner, seien aber „bis dato nicht bekannt“.

Die FPÖ und die Identitären

„Ich habe mit dem Terroranschlag nichts zu tun“, schwört Sellner in seinem Video. Diese Distanzierung ist insofern glaubwürdig, als die Identitären sich als intellektueller Aktionistenverein inszenieren und mit neonazistischen Gewalttätern nichts zu tun haben wollen. So hatte Sellner am Tag des Christchurch-Attentats gleich nach den ersten Meldungen darüber getwittert: „Für Terrorismus und das Töten Unschuldiger gibt es keine Rechtfertigung.“

Der These, dass Leute wie Sellner, die sich selbst die Hände nicht blutig machen, Terroristen wie Tarrant ideologischen Unterbau, Rechtfertigungen und Bestätigungen liefern, hält der IBÖ-Anführer seine Opferthese entgegen. „Sein (Tarrants, An.) Ziel des Anschlages war es, massive Repression gegen Patrioten auszulösen“, doziert Sellner. Er ist überzeugt, dass ihn der Australier mit der Spende „in die Sache hineinziehen wollte“. Tarrant halte nämlich die Identitären für „verlogen“ und „lächerlich“.

Nach dieser schwer nachvollziehbaren Theorie hätte der Rechtsextremist den Massenmord nur begangen, um Rechtsextremisten zu schaden. Und die Staatsanwälte, die gegen Sellner ermitteln, machen nach dessen Überzeugung „letztlich die Drecksarbeit der Terroristen“. Stoppen lassen will sich Sellner nicht: „Ich werde in keiner Weise aufhören, gegen den großen Austausch Information zu verbreiten.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprach sich dafür aus, dass die Justiz „mit allen nötigen Mitteln und Ressourcen ihre Ermittlungen gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden durchführen und diese Netzwerke ausheben kann.“ Jede Verbindung zwischen dem Attentäter von Christchurch zu Mitgliedern der Identitären müsse „restlos und schonungslos aufgeklärt werden“. Die SPÖ kritisiert allerdings, dass die ÖVP-FPÖ-Regierung dem Rechtsextremismus kaum Beachtung schenke. Mit Herbert Kickl (FPÖ) als Innenminister sei der „Geheimdienst“ de facto handlungsunfähig gemacht worden, beklagt der sozialdemokratische Fraktionschef Jörg Leichtfried. Tatsächlich hatten Kickl und seine FPÖ in der Vergangenheit keine Berührungsängste mit Identitären.

So referierte der damalige FPÖ-Generalsekretär im Oktober 2016 in Linz bei einem auch von Vertretern des identitären Lagers gut besuchten Kongress der „Verteidiger Europas“ vor einem „Publikum, wie ich mir das wünsche und vorstelle“. Journalisten waren bei dem Kongress übrigens ausgesperrt. Diese Vergangenheit nährt Zweifel, ob Kickl Rechtsextremisten dieselbe Härte zuteil werden lässt wie etwa Migranten.

FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der sich früher wohlwollen über den „friedlichen Aktionismus“ der Identitären geäußert und deren Inhalte auf Facebook geteilt hatte, forderte nun allerdings ebenfalls lückenlose Aufklärung. „Es wird gegen jeden Extremismusverdacht vorgegangen, egal ob von rechts, links oder religiös motiviert.“ Nach Christchurch ist eine Nähe zu Identitären nicht mehr opportun …