Integration durch Freundschaft: Mit einem Ball, zwei Toren und viel Engagement überwindet Stefan Guden Grenzen

Integration durch Freundschaft: Mit einem Ball, zwei Toren und viel Engagement überwindet Stefan Guden Grenzen

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Schon vor zwei Jahren ist die Idee für ein Projekt in Esch entstanden, um die Integration von Flüchtlingen zu erleichtern. Unter Stefan Gudens Leitung trafen sich zunächst nur eine Handvoll Neugierige, um auf dem Rasen zu kicken. Im Laufe der Zeit wurde aus der wöchentlichen Trainingseinheit eine 20-köpfige Mannschaft, die sich nicht nur zum Fußballspielen trifft. Der FC Esch United war geboren. Bei einem Gespräch mit dem Tageblatt im Escher Kafé erklären Kader, Danay, Aron und Vereinsgründer Stefan, wie Integration auf dem Spielfeld funktionieren kann.

Von Laura Tomassini

Sie ist richtig spürbar, die Kameradschaft zwischen den vier Jungs, die wohl unterschiedlicher nicht sein könnten. Zwei stammen aus Eritrea, einer von der Elfenbeinküste und dann ist da noch Stefan, das Herz der Truppe. Was sie alle verbindet? Die Liebe zum Fußball.

FC Esch United ist aber mehr als nur ein Sportteam. Das Projekt, das vor zwei Jahren als Praxisübung fürs Universitätsstudium entstand, bedeutet mittlerweile rund 20 jungen Männern die Welt. Denn sie alle sind als Flüchtlinge nach Luxemburg gekommen und mussten all das hinter sich lassen, was ihnen ein Leben lang lieb war.

Mehrere Vereine in Luxemburg versuchen Asylsuchende mit ins Training einzubinden. Stefans Projekt geht aber noch ein Stück weiter: „Die meisten beschränken sich auf funktionale Integration, das heißt sie glauben, dass sich Flüchtlinge durch die Teilnahme an sportlichen Aktivitäten mit anderen von selbst integrieren. Und genau da liegt der Fehler.“

Mehr als nur elf Freunde

Erst vor kurzem hat der 27-jährige Luxemburger sein Bachelor-Studium in Sozialwissenschaften abgeschlossen. Demnächst will er sich nach einem Job umschauen. Momentan gilt seine Aufmerksamkeit aber zu 100 Prozent dem FC Esch United. Zweimal die Woche wird gemeinsam mit Asylsuchenden und jenen, die den Schutzstatus bereits erhalten haben, in der Halle in Lallingen trainiert. Gestellt wird ihnen diese von der Escher Gemeinde.

Daneben nimmt Stefan seine Mannschaft mit zu Spielen. Von luxemburgischen Vereinen, der Nationalmannschaft, aber vor allem zu den Einsätzen der Escher Fola. „Eigentlich hatte ich geplant, Club-neutral zu bleiben. Aber da ich immer Fola-Klamotten anhabe, fühlen meine Jungs sich dem Verein zugehörig“, meint der 27-Jährige lachend.

Und genau darum geht es: ein Gefühl der Zugehörigkeit zu schaffen. Auf allen Ebenen. „Fußball ist kein Heilmittel, jede Sportart kann zur Integration genutzt werden. Aber das ist nur das Mittel zum Zweck, im Hintergrund werden ganz andere Dinge gelehrt“, ergänzt Stefan.

Unterstützung im Alltag

Sein Studium kommt dem jungen Coach zugute, denn hier hat er die nötige Theorie für seine Arbeit mit Flüchtlingen gelernt: „Es gibt vier Arten der Integration. Erstens die soziale, bei der es darum geht, den Kontakt zu Menschen im neuen Heimatland herzustellen. Dann die kulturelle Integration: Hier helfe ich den Jungs, unsere Sprache zu lernen und mehr über Esch zu erfahren. Die dritte ist die strukturelle Integration. Ich bin Ansprechpartner und Vertrauensperson zugleich und unterstütze sie bei ganz banalen Alltagssituationen. Etwa, wie man von A nach B kommt oder wohin man seinen Lebenslauf schicken kann. Die letzte ist die identifikative Integration. Es geht darum, wie sich Flüchtlinge mit dem neuen Land identifizieren können und auch hier wohlfühlen.“

Neben den Trainingseinheiten steht Stefan jeden Tag in Kontakt mit seinen Leuten. Und das Konzept geht auf, wie der 27-Jährige verrät: „Eigentlich geht es ja um Integration, aber ich habe schnell gemerkt, dass eines noch viel wichtiger für sie ist: Abschalten. Jeden Tag müssen sie sich mit Fragen um ihre Zukunft herumschlagen, ganz zu schweigen von ihren privaten Sorgen. Bei mir spielt das alles keine Rolle.“

Das Spiel mit anderen lässt die jungen Menschen für kurze Zeit ihre Situation vergessen. „Das ist eigentlich psychologisch. Ich klaue ihnen sozusagen Stunden des Nachdenkens, damit sie dann mit positiven Gedanken ins Bett gehen können“, mein Stefan.

Mitbürger sensibilisieren

Obwohl seine Teammitglieder das Gespräch auf Luxemburgisch nicht verstehen, kommt bei der Frage nach ihrem Lieblingsort in Esch von allen eine eindeutige Antwort: die Sporthalle. „Dort sehen wir keine schlechten Dinge“, sagt der 28-jährige Aron, der 2018 aus Eritrea nach Luxemburg geflohen ist.

Die Spieler des FC Esch United haben alle im Flüchtlingsheim in Esch oder Monnerich gelebt, manche warten dort immer noch auf die Bewilligung ihres Asylantrags. Der 21-jährige Kader muss nach wie vor um seinen Status bangen. Auf den ersten Eindruck wirkt er gut gelaunt, doch auf seinem Weg nach Europa wurde der junge Mann nicht immer so offen empfangen wie in Luxemburg.

„Hier sieht man einem nicht direkt an, dass er ein Flüchtling ist. Das ist der Vorteil an Luxemburg: die vielen unterschiedlichen Nationalitäten“, erklärt Stefan. „Kader aber musste beispielsweise durch Griechenland und da gab es mehrmals Anfeindungen von den Bürgern.“

Der Spaß steht im Vordergrund

Um solche Erfahrungen zu vermeiden, ist der Coach vorsichtig bei der Wahl der Turniere, an denen der FC Esch United teilnimmt: „Wenn es einen Geldpreis gibt, kommen die anderen Mannschaften dahin, um zu gewinnen. Bei uns geht es um Spaß. Ich will meine Jungs aus solchen Konkurrenzsituationen raushalten.“

Für das Team ist Stefan in erster Linie ein Freund. „Das, was er für uns tut, klingt vielleicht nicht nach einer großen Sache, aber er hat wahre Freundschaften geschaffen“, lobt Aron den Gründer des Klubs. Einen Schwarzen mit weißer Haut nennen die Jungs vom FC Esch United ihren Coach scherzend, wenn er mal wieder zu spät zum Training erscheint. „Wir nutzen die klassischen Vorurteile, um die Stimmung zu heben“, sagt Stefan mit Augenzwinkern. Und derer gibt es genug.

Aus diesem Grund sieht der 27-Jährige seine Aufgabe nicht nur in der Integration von Flüchtlingen, sondern zu einem Großteil auch in der Sensibilisierung der Menschen in Luxemburg. „Wenn die Leute mit Asylsuchenden in Kontakt kommen, dann erfahren sie die wahre Geschichte. Deshalb versuchen wir, gegen möglichst viele andere junge Teams zu spielen. Denn die Jugend von heute entscheidet, wie die Jugend von morgen über eine Thematik denken soll.“

Ein eigenes Bild vom Schicksal seiner Spieler macht sich der Fußballer jede Woche. Teil für Teil setzt er das Puzzle durch private Gespräche mit den Flüchtlingen zusammen, ohne dabei alte Wunden aufzureißen: „Das sind Informationen, die findet man in keinem Buch. Die gibt es nur aus erster Hand.“

Tore und Tiramisu

Die Zeit, die Stefan als Trainer einer Fola-Jugendmannschaft genutzt hat, will er in der nächsten Saison komplett ins Projekt investieren. Unterstützung erhält er unter anderem vom Escher Bürgermeister Georges Mischo (CSV), aber vor allem von seinen Teamkollegen: „Es sind Kleinigkeiten, durch die sie mir auf ihre eigene Art Danke sagen.“

Ein mitgebrachter dreistöckiger Kuchen eines gelernten Kochs oder das selbst gemachte Tiramisu für Stefans Mutter – dass die Asylsuchenden die Arbeit ihres Coaches mehr als nur zu schätzen wissen, drücken sie immer wieder aus. „Er ist nicht nur der Gründer der Asbl, Stefan tut einfach alles für uns“, findet Kader.

Denn trotz vereinzelter Sprachbarrieren – nach dreistündigem Versuch hat Stefan das Erlernen der eritreischen Sprache für sich als gescheitert erklärt – sind die Resultate der Initiative schon auf den ersten Blick sichtbar. Auf der Terrasse des Escher Kafé sitzen nicht etwa ein Luxemburger und drei Flüchtlinge, sondern Mitglieder eines Teams. Freunde. Und die, betont Stefan, können noch viel mehr: „Ab nächstem Jahr wollen wir ein bis zwei Turniere pro Monat spielen. Das Projekt soll größer werden, wobei größer in diesem Fall nicht mehr Spieler bedeutet, sondern dass die, die wir haben, besser werden.“

Denn Integration ist zwar das Hauptziel des FC Esch United, doch wenn „Coach Guden“ seine Spieler abends nach dem Training mit einem Lächeln auf den Lippen nach Hause schicken kann, dann ist seine Arbeit definitiv gelungen.


„Im Stadion vergisst man all seine Probleme“ (Kader, 21)

Kader drückt mit Aron im „Lycée Guillaume Kroll“ die Schulbank. Wegen der politischen Aktivität seines Vaters musste der 21-Jährige die Elfenbeinküste verlassen: „Unser Leben war in Gefahr. Wenn ein Präsident durch einen anderen ersetzt wird, wird Ersterer zum Feind und alle, die ihm gedient haben, sind im Land nicht mehr sicher.“ Trotz der Tatsache, dass der afrikanische Staat für ihn noch immer der schönste Ort der Welt ist, weiß Kader, dass er wahrscheinlich nie wieder dorthin zurückkehren kann. „Meine Mutter und Schwester sind noch zu Hause, es sind nur die Männer, die dort in Schwierigkeiten stecken“, erklärt der 21-Jährige.

Am 11. Oktober 2017 erreichte er die luxemburgische Grenze, seitdem wartet er im Flüchtlingsheim in Monnerich darauf, dass ihm der Flüchtlingsstatus verliehen wird. Durch eine Erzieherin erfuhr Kader von Stefans Projekt, seither kann er sich einen Alltag ohne den FC Esch United nicht mehr vorstellen. „Ich war jetzt relativ lange am Knie verletzt und bin noch immer nicht fit, aber zu den Trainings gehe ich trotzdem“, sagt er. Derzeit ist der ehemalige Kleiderladenbesitzer auf der Suche nach einem Arbeitgeber. „Mein Vorteil ist, dass an der Elfenbeinküste Französisch gesprochen wird. Das ist meine Muttersprache.“
Für die Zukunft wünscht er sich, in Luxemburg bleiben zu dürfen und vielleicht irgendwann hier eine eigene Kleidermarke zu besitzen. „Kader Fashion“, verkündet er lachend.


„Ich will Stefans Beispiel folgen und mehr tun“ (Aron, 28)

Wegen der politischen Lage in seinem Heimatland Eritrea musste der ehemalige Taxifahrer Familie und Zuhause zurücklassen, in Luxemburg hofft er nun, endlich angekommen zu sein.

„Davor habe ich eine Zeit lang im Sudan gelebt, aber da gibt es auch keine Freiheit. Deshalb habe ich versucht, nach Europa zu kommen“, erklärt der junge Eriträer.
„Man muss wissen, dass in Eritrea noch immer die Militärpflicht besteht. Offiziell sind das nur fünf Jahre, inoffiziell dient man aber ein Leben lang und der Lohn reicht nicht, um die Familie zu ernähren“, erklärt Stefan.

Im September 2018 erhielt Aron seine Papiere, jetzt geht er hier wieder zur Schule, um die Sprache zu lernen und ein Diplom zu erhalten.


„Das Multikulturelle im Team gefällt mir sehr“ (Danay, 26)

Dank Aron ist Danay beim FC Esch United gelandet, seit etwa fünf Monaten ist er offizielles Gründungsmitglied des Vereins. Im Gegensatz zu den anderen Spielern der Mannschaft besaß Danay von Anfang an eine eigene Wohnung, was ihm ermöglichte, die Asbl gemeinsam mit Stefan aufzubauen.

Auch er musste sein Heimatland Eritrea wegen der politischen Lage verlassen und ohne Vertrauensperson nach Luxemburg flüchten. Seit acht Monaten hat der 26-Jährige nun seinen Status und die Gewissheit, dass er ein Leben im Großherzogtum aufbauen kann. „Luxemburg ist ein wunderschönes Land mit viel Multikulturalität. Man fühlt sich hier nicht allein, da man nicht der Einzige von außerhalb ist“, sagt Danay.

Fußball gespielt hat er schon als kleiner Junge, doch seine neue Mannschaft gebe ihm viel mehr, als nur Tricks mit dem Ball zu üben: „Es ist ein erster Schritt in Richtung Integration. Man muss nicht alleine zu Hause sitzen, durch das Training kommt man raus und lernt neue Leute kennen.“


Erstes Turnier am 13. Juli

Am 13. Juli organisiert der FC Esch United sein erstes Turnier „Tournoi Esch United“. Beim „6 vs. 6“-Spiel dürfen die insgesamt 32 Mannschaften ihr Talent mit dem Ball beweisen, vor allem aber sollen neue Kontakte geknüpft werden. Startschuss ist um 10.00 Uhr morgens und gespielt wird bis in die frühen Abendstunden. Alle Infos auf der Facebook-Seite des Vereins.