„Ich war kein Stier mehr“: Der Niederkorner Aleksandre Karapetians traf doppelt für Armenien

„Ich war kein Stier mehr“: Der Niederkorner Aleksandre Karapetians traf doppelt für Armenien

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Die Nations League lässt Träume von Fußballzwergen wahr werden – auch die Aleksandre Karapetians. Noch vor ein paar Wochen war der Deutsch-Armenier am Boden zerstört und stand bei seinem Verein in Niederkorn am Scheideweg. Am letzten und vorletzten Spieltag des neuen Wettbewerbs traf er jedoch doppelt für die Heimat seiner Vorfahren. Jetzt schöpft „Kara“ neue Hoffnung und hat im kaukasischen Land einen ganz neuen Status erreicht.

Am 7. Oktober wurde Aleksandre Karapetian die ganze Härte des Fußballgeschäfts ins Gesicht geschmettert. Kurz zuvor war der Niederkorner Angreifer vom armenischen Verband für die Nations-League-Partien gegen Gibraltar und Mazedonien berufen worden. Doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. „Ich hatte bereits meine Koffer gepackt und meine Frau hatte das Flugticket besorgt. Dann kam es kurzfristig zu einem Trainerwechsel und mir wurde eine Absage erteilt. Meine letzte Hoffnung, noch einmal etwas auf internationaler Ebene erreichen zu können, war geplatzt. Der Traum Nationalmannschaft war für mich vorbei. Danach habe ich mich gehen lassen, habe ein paar Kilo zugelegt und war auch auf dem Platz nicht mehr ich selbst. Ich war frustriert“, erzählt der 30-Jährige.

Karapetians Leistungen wurden daraufhin noch durchwachsener. Gegen Düdelingen und Strassen fand er sich zweimal nacheinander auf der Bank wieder. Das war dem Stürmer, der in der vergangenen Saison 29 Tore erzielt hatte, in Niederkorn noch nicht passiert. Auch Präsident Fabio Marochi und Teammanager Thomas Gilgemann machten sich Sorgen um ihre Torgarantie und zitierten ihn zu einem klärenden Gespräch.

„Das Problem war eigentlich nicht, dass ich keine Tore mehr geschossen habe, sondern dass ich nicht mehr fit war und auf dem Platz nicht genug gekämpft habe. Ich war kein Stier mehr. Nach dem Gespräch wurden die morgendlichen Trainingseinheiten meinem Programm angepasst und ich habe meine Ernährung umgestellt. Seitdem gibt es keinen Zucker und kein Fast Food mehr.“

Knoten geplatzt

Am 10. November platzte dann der Knoten. Karapetian erzielte beim 5:1-Erfolg gegen Petingen ein Doppelpack. Nach dieser Erleichterung wurde der Tag des in Tiflis geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Mittelstürmers mit einem Telefonanruf gekrönt. Nach dem Ausfall von Angreifer Artur Sarkisov (Enisey Krasnoyarsk/RUS) hatte sich Nationaltrainer Armen Gyulbudaghyants entschieden, Karapetian nachzunominieren.

„Es war ein unglaubliches Gefühl, damit hatte ich überhaupt nicht mehr gerechnet.“ Der Niederkorner packte seine Sachen und flog am folgenden Tag nach Gibraltar. Im Hotel angekommen, postete er in den sozialen Medien Videos, wie die berühmten Affen aus dem britischen Überseegebiet seinen Balkon erklommen. Aber „Kara“ war nicht zum Spaß an den südlichsten Zipfel Festland-Europas gereist. Er wollte sich beweisen. Zeigen, dass die Absage im Oktober ein Fehler war. Nationaltrainer Gyulbudaghyants gab ihm die Chance dazu und wechselte ihn gegen Gibraltar in der 70. Minute ein. Karapetian bedankte sich in der 94. Minute mit einem sauber abgeschlossenen Kontertor. Bereits zuvor hatte er in den Trainingseinheiten auf sich aufmerksam gemacht. „Im Trainingsspiel hat die B-Mannschaft die Stammelf mit 4:1 bezwungen und ich habe alle vier Tore erzielt. Ich war wieder so aggressiv wie zu alten Zeiten. Meine Mitspieler waren erstaunt und der Trainer sagte mir: „So einen wie dich haben wir gebraucht.“

In der zweiten Nations-League-Partie gegen Liechtenstein erarbeitete er sich dann den vollständigen Respekt seiner Teamkollegen. Armenien drohte gegen Liechtenstein die Blamage. Das Fürstentum lag mit 2:1 in Front. Karapetian wurde in der 72. Minute eingewechselt und avancierte durch einen Kopfballtreffer zum 2:2-Endstand innerhalb von vier Tagen zum zweiten Mal zum Joker von Trainer Gyulbudaghyants.

Die persönliche Krönung folgte nach dem Spiel. „Der Präsident, der normalerweise sehr autoritär ist, hat mich umarmt und mich gefragt, wo ich die letzten 20 Jahre war. Im Mannschaftsbus hat mich Henrikh Mkhitaryan nach hinten gerufen. Dort sitzen normalerweise nur die Führungsspieler. Ich habe mich gut mit ihnen unterhalten und ihren Respekt gespürt. Als ich 2014 zum ersten Mal für die Nationalmannschaft berufen wurde, war ich wie ein Geist. Keiner hat mich wahrgenommen“, erzählt Karapetian voller Stolz. Nicht förderlich war, dass Karapetian fast überhaupt kein Armenisch spricht und ständig von einem russischen Übersetzer begleitet wurde.

Miki wie Oli und Séba

Mit Arsenal-Star Mkhitaryan hat er sich auch nach seiner Rückkehr nach Luxemburg unterhalten. „Er hat mir gesagt, dass es sehr einfach war, mich anzuspielen. Ich habe mich blind mit ihm auf dem Platz verstanden. Es war wie mit Olivier und Sébastien Thill in Niederkorn.“

Dass Karapetian überhaupt noch einmal berufen wurde, grenzt an ein Wunder. Von Februar 2015 bis Mai 2018 erzielte er in der BGL Ligue nicht weniger als 59 Tore in 71 Partien. In dieser Saison stehen nur drei Tore aus elf Spielen zu Buche. „Ich wurde eigentlich in meiner schlechtesten Phase nominiert. Aber in Armenien ticken die Uhren wohl anders. Die vorherigen Nationaltrainer und der damalige Verbandspräsident haben immer an den gleichen Stürmern festgehalten. Diesmal habe ich meine Chance genutzt und gehe fest davon aus, in der kommenden EM-Qualifikation nominiert zu werden.“

Ungern spricht Karapetian über seine Zeit nach seinem Debüt für Armenien im Oktober 2014. Damals stand der Angreifer noch bei Düdelingen unter Vertrag. Nach zwei Kurzeinsätzen gegen Serbien und Frankreich erwartete ihn in der „Forge du Sud“ ein frostiger Empfang. „Zwei Wochen nach meiner Rückkehr stand das Spitzenspiel gegen Fola an, das wir mit 0:2 verloren haben. Trainer Sébastien Grandjean hat mich als Sündenbock ausgemacht und immer wieder behauptet, dass ich mich mehr auf Armenien als auf Düdelingen konzentrieren würde. Ich war damals der beste Torschütze des F91 und trotzdem hat er mir gesagt, dass ich im Winter gehen könnte. Er wollte zeigen, dass er der Boss ist, hat mich abrasiert und in einer guten Phase gekillt.“

Angebote aus exotischen Fußballländern

Karapetian spielte die Saison in Düdelingen zu Ende und sah sich danach nach einem neuen Verein um. Angebote gab es vor allem aus exotischen Fußballländern. „Ich hatte mir das damals zu einfach vorgestellt. Nach Thailand zu gehen mit zwei Kindern, ist nicht problemlos. Danach hat sich mein Berater bei einigen Transfers verspekuliert und zudem habe ich mich bei Jahn Regensburg kurz vor der Vertragsunterschrift verletzt.“ „Kara“ war sechs Monate vereinslos, ging danach nach Rosport und nach Niederkorn. Der Rest der Geschichte ist bekannt.

Damit sich ein solches Szenario nicht noch einmal wiederholt, will der Deutsch-Armenier mit seinem Teamkollegen am Sonntag in der BGL Ligue gegen Racing Luxemburg nachlegen. „Wir sind körperlich und mental fitter als vor einigen Wochen und gehen mit Selbstvertrauen in diese Partie. Wenn wir uns für die Europa League qualifizieren wollen, dann müssen wir auf Sieg spielen.“ Und ein paar Tore des armenischen Nationalspielers würden bei dieser Mission mit Sicherheit helfen.