Ein Umriss von Georges Hausemers literarischem Schaffen: „Versprich, dass du nicht weinen wirst“

Ein Umriss von Georges Hausemers literarischem Schaffen: „Versprich, dass du nicht weinen wirst“

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Am Mittwochabend findet im „Centre national de littérature“ in Mersch eine Gedenkfeier für den am 13. August verstorbenen Schriftsteller Georges Hausemer statt. Dem engagierten Autor, Reisenden, Blogger, Fotografen, Übersetzer und Zeichner, der sich vor allem durch eine beeindruckende Vielseitigkeit auszeichnete, huldigt das Tageblatt am Mittwoch, indem wir in einer selektiven Werkschau beleuchten, was sein literarisches Schaffen eigentlich ausmachte.

Der vor Kurzem verstorbene Philosoph Clément Rosset schrieb in seinem erschütternden Essai „Le réel. Traité de l’idiotie“, dass das wahrhaftig Tragische, das Untröstliche in unserer Existenz nicht die Gewissheit des eigenen Todes, sondern die des Todes der anderen ist. Darin liege, so Rosset, der wahrhaftige Skandal: in der Gewissheit des Sterbens derjenigen, die wir lieben und schätzen. Wesentliche literarische Werke beschäftigen sich aus gutem Grund immer auch mit dem Tod, ein guter Schriftsteller schreibt nicht gegen (der Kampf wäre von Anfang an verloren), sondern mit dem Tod.

Paul Ricoeur verdeutlichte dies in seinem Essai „Soi-même comme un autre“, als er schrieb, dass der eigene Tod zu den wenigen Lebensmomenten gehören werde, die wir nicht nachschildern können. Der Tod stellt damit ein erzählerisches No-Man’s-Gebiet dar, eine Grauzone der Erfahrung, welche die Literatur immer wieder mit ihrer Vorstellungskraft zu belichten versucht.

Auch bei Georges Hausemers Werk ist der Tod stets ein Gefährte gewesen: Bereits in „Das Institut“, einer 1989 bei Op der Lay erschienenen Fiktion um eine Erzählerin, die eine monotone Existenz in einem Geldinstitut verbringt, wird mit den Figuren der Katharina und des Großvaters der Tod thematisiert. „Versprich mir, dass du nicht weinen wirst, hatte der Großvater gesagt, als er später nicht einmal mehr aus seinem Bett aufstehen konnte. Ich stand daneben, er fuhr mir mit seiner Hand über den Kopf. Ja, sagte ich, ja, dabei hätte ich am liebsten sofort zu weinen begonnen, obwohl ich nicht verstehen konnte, was er eigentlich meinte.“

Dieser Stoizismus, dieses Verweigern des Gefühlsduseligen ist ein herausragendes Merkmal von Hausemers Prosa – ein Kennzeichen, das sich auch noch Dekaden später in seinen Texten manifestiert, ob er nun den Tod seines eigenen Vaters im „Suppenfisch“ oder seine Krebserkrankung im Blog „Mein Tumor und ich“ behandelt.

Im Rahmen eines Vortrags über u.a. die literarische Auseinandersetzung mit einer Erkrankung bemerkte Literaturwissenschaftler Sébastian Thiltges, dass das Verarbeiten der Krankheit auf Hausemers Blog der stilistischen Distanz, die auch sonst in seinem Werk vorherrsche, folge – und der Schriftsteller im Allgemeinen wenig Intimes preisgebe.

Außerdem sieht Thiltges das Schreiben in diesem Kontext als eine Möglichkeit, den Bruch in der Lebensgeschichte, den die Krankheit darstellt, erzählerisch zu umgehen – um somit der Notwendigkeit, weiterzumachen (was für Hausemer bedeutete, stets weiterzuschreiben und weiterzureisen), Ausdruck zu verleihen.

Dabei ist bei Hausemer, der Mitbegründer des Schriftstellerverbandes war und dessen Karriere die Professionalisierung des luxemburgischen Literaturbetriebs spiegelte, das sehr frühe Auftauchen des Todes keineswegs das Zeichen einer morbiden Obsession – es zeugt vielmehr von dem Erforschen des Unbekannten durch unsere Vorstellungskraft. Letztere ist in der prosaischen Außenwelt leider Mangelware, wie auch die Erzählerin im „Institut“ feststellt: „Es fehlt an Vorstellungskraft, ganz allgemein. Keiner will sich den Schrecken ausmalen. Es ist diese allumfassende Feigheit.“

Metamorphosen des Alltages

Das Vorstellungsvermögen Hausemers manifestiert sich in den ständigen Metamorphosen seiner erzählten Welten: Oft entstellt sich in seinen Büchern die fiktionale Wirklichkeit durch die Vorstellungsgabe der Erzählerfiguren. „Das Institut“ pendelt zwischen der vorprogrammierten Langeweile der Arbeitswelt, ihrer ereignislosen Zeitregelung, den langweiligen Kaffeepausen und der teilweise morbiden Fantasiewelt der Erzählerin (in einer Passage stellt sie sich vor, wie sie eine Familienangehörige mit einem Schneebesen tötet).

Im „Suppenfisch“ (2014) liegt ein kranker Mann 143 Seiten lang im Bett. Im Laufe der Erzählung vermischen sich Erinnerungen, Besuche und Wahnvorstellungen einer vermeintlich senilen Person zu einem komplexen, humorvollen und poetischen Flickenteppich, der den zukünftigen Tod als definitive Emanzipation von einer biederen Wirklichkeitsdarstellung definiert. Wie in Ionescos „Le roi se meurt“ wird hier gezeigt, wie jede Störung unserer Sinne, jede Funktionsstörung unseres Körpers unsere Wirklichkeitsauffassung verfremdet.

Claude D. Conter, Leiter des Literaturarchivs, sieht das ähnlich: „Hausemers fiktionales Werk scheint mir den Rückzug des Ichs aus der vereinbarten Welt geradezu programmatisch durchzudeklinieren. Seine Texte erzählen von der zunehmenden Entfremdung der Protagonisten von der Umwelt, von der zunehmenden Flucht aus dem Alltag in die Innenräume und in die Innenwelten, von der Müdigkeit, der Vereinzelung, der Vereinsamung und der Ohnmacht.“ Weswegen der Erzähler im „Suppenfisch“ gleich zu Beginn ein Inventar des Schwindens erstellt: „Nach und nach sind alle Dinge verschwunden. Als räumte jemand eine Autowerkstatt aus, die dir gehört, weil sie dichtgemacht wird.“

Wohl auch um der vorprogrammierten Langeweile zwischen Arbeitswelt und Pauschalreisen zu entfliehen, entdeckte Hausemer die Reiseberichte für sich. Denn im Gegensatz zur Feststellung der Erzählerin in „Das Institut“, die bemerkt, dass das Verreisen oft nur für Gesprächsstoff auf der Arbeit sorge (aber, stellt sie fest, „sogar das wiederholt sich, schrumpft, verengt, verflüchtigt sich, löst sich auf“), sind Hausemers Berichte keineswegs nur Enklaven im Alltagsbrei. In seinem rezenten „Bushäuschen in Georgien“ wurden beispielsweise anhand einer Vielzahl von Momentaufnahmen, Fotos und Metaphern (die Bushäuschen wurden zu riesigen Waffeleisen oder Badewannen) sozioökonomische Realitäten und Paradoxe der Landesgeschichte auf einfühlsame Weise geschildert.

Neben der Großzügigkeit, mit der Hausemer immer wieder aus fernen Ländern berichtete, fallen vor allem seine Kurzgeschichten und ihre Fragmentaufnahmen auf: Sowohl im rezenten „Fuchs im Aufzug“ wie auch in „Die Tote aus Arlon“ werden Lebensabschnitte meist vereinsamter Personen umrissen. Oftmals entgeht einem, abgesehen von dem Scheitern zwischenmenschlicher Begegnungen und einer gewissen Neigung zur Einsamkeit, was sich wirklich zugetragen hat.

Oft passiert auch rein gar nichts. Hausemer verweigert nämlich meist, wie in „Seasons in the Sun“, wo zwei ehemalige Schulkameraden sich nach teilweise gescheiterten Existenzen wiederbegegnen, das Hollywood-Narrativ der lebensverbessernden Epiphanie, lehnt die Idee ab, dass zwischenmenschliche Begegnungen notgedrungen zu irgendwas führen müssen.

Im Nachwort zur „Toten in Arlon“ bezeichnet Roger Manderscheid Hausemers Blick deswegen folgerichtig als „mitleidlos, unbestechlich, hellsichtig“. Die Literaturwissenschaftlerin Jeanne E. Glesener weist in diesem Kontext darauf hin, dass Hausemer während der Verleihung des Batty-Weber-Preises 2017 erklärte, er sei kein „Langstreckenschreiber“.

„Folglich ist es in der Kurzform, in der Hausemer sowohl sprachästhetisch wie auch thematisch neue Maßstäbe setzte. Hier gelingt es Hausemer, sich in einer scheinbar simplen Sprache mit alltäglichen Themen und Lebenssituationen auseinanderzusetzen, die zudem reichhaltige Überlegungen über den Bezug des Individuums zur Welt greifbar machen.“

Wörter können nichts gegen den Tod. Aber das Schweigen kann noch viel weniger. Die Literatur erlaubt es, uns mit der Tragik unseres Ablebens auseinanderzusetzen. Und ein Schriftsteller, der sich mit dem Tod auseinandersetzt, braucht eine ganze Menge Mut. Den Georges Hausemer definitiv hatte.

Die Gedenkfeier findet um 19.30 Uhr im CNL in Mersch statt.