Defizit-Streit weitet sich aus: Auch Frankreich macht zu viele Schulden

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Nach Italien wird auch Frankreich zum budgetpolitischen Sorgenkind. Die EU-Kommission will beiden Ländern entgegenkommen und zieht damit neuen Ärger auf sich.

Von unserem Korrespondenten Eric Bonse, Brüssel

Nun ist es offiziell: Wegen der teuren Zugeständnisse an die „Gelbwesten“ wird Frankreich im kommenden Jahr die EU-Defizitgrenze von drei Prozent reißen. Die Neuverschuldung werde 2019 voraussichtlich bei rund 3,2 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, sagte Premierminister Edouard Philippe. Die EU-Kommission will das tolerieren, Italien ist empört.

Nach massiven Protesten der Gelbwesten („Gilets jaunes“) hatte Staatspräsident Emmanuel Macron eine Erhöhung des Mindestlohns um 100 Euro, eine Entlastung niedriger Renten und andere Sozialleistungen angekündigt. Die Maßnahmen werden nach Schätzungen aus Paris rund zehn Milliarden Euro kosten. Deshalb erhöht sich das Budgetdefizit, das ursprünglich bei 2,8 Prozent liegen sollte.

Bisher sorgte das nicht für große Aufregung. So erklärte der für den Euro zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici, dass Brüssel eine „einmalige und begrenzte“ Überschreitung der Drei-Prozent-Regel dulden könne. Macrons Zugeständnisse seien richtig und nötig gewesen, um die Kaufkraft zu erhöhen, sagte der Franzose, der bis 2014 selbst Finanzminister in Paris war.

Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte Verständnis. Macron habe sich seine Antwort auf die Gelbwesten „sehr gut überlegt“, sagte sie beim EU-Gipfel am vergangenen Freitag in Brüssel. Sie sei überzeugt, dass er sein „umfassendes Reformprogramm“, das auch den Schuldenabbau enthält, fortsetzen werde. Kritik an der erhöhten Neuverschuldung äußerte Merkel nicht.

Umso heftiger fällt die Reaktion in Italien aus. Er sei es leid, dass beim Haushalt mit „zweierlei Maß“ gemessen werde, erklärte der starke Mann in Rom, Matteo Salvini. Falls sich daran nichts ändere, würden andere Saiten aufgezogen, so der Chef der rechtsnationalen Lega. Salvini steht unter Druck aus Brüssel – denn die EU-Kommission hat ein Defizitverfahren gegen Italien eingeleitet.

Dieses Verfahren bezieht sich auf den ersten Blick auf das italienische Budgetdefizit, das mit 2,4 Prozent unter den französischen Zahlen liegt. Als Rechtsgrundlage für das Strafverfahren hat Brüssel allerdings eine andere EU-Regel gewählt, die sich auf den Schuldenstand bezieht. Dieser liegt in Italien mit 130 Prozent der Wirtschaftsleistung deutlich über den erlaubten 60 Prozent.

Italien bessert nach

Allerdings reißt auch Frankreich diese EU-Schwelle, die Schuldenquote beträgt dort rund 100 Prozent. Theoretisch könnte die EU-Kommission also auch gegen Paris vorgehen. Moscovici kündigte aber an, zunächst neue Konjunkturprognosen abzuwarten, die im Frühjahr erwartet werden. Brüssel spielt auf Zeit – und legt die Regeln flexibel aus.
Aber auch Italien darf auf Flexibilität hoffen. Hinter den Kulissen laufen bereits Gespräche mit der italienischen Regierung, die zu einem Stopp des Defizitverfahrens führen könnten. Die EU-Kommission stehe in Kontakt mit Finanzminister Giovanni Tria, erklärte der Chefsprecher von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gestern in Brüssel. „Wir werden auf Grundlage der Ergebnisse dieser Gespräche entscheiden.“

Zuletzt hatte Rom angeboten, das Budgetdefizit von 2,4 auf 2,04 Prozent zu senken. Die EU-Kommission hatte jedoch angedeutet, dass weitere Zugeständnisse nötig wären. Ähnlich wie Frankreich will auch Italien neue Sozialausgaben finanzieren. Der Budgetentwurf für 2019 sieht unter anderen die Einführung eines Bürgergelds vor, das etwa dem luxemburgischen einstigen RMG und heutigen Revis entspricht.

Die Kommission hat die soziale Krise bisher weitgehend ignoriert. Sie geht im Rahmen des „Europäischen Semesters“ zwar auch auf soziale Fragen wie Arbeitslosigkeit oder Armut ein. Im Vordergrund steht aber die Einhaltung der strikten Budgetregeln, die während der Eurokrise auf deutschen Druck eingeführt worden waren – und nun für Streit sorgen. Aus Deutschland kommt daher bereits Kritik am Vorgehen der EU-Kommission.